Elif Shafaks Roman "Der Geruch des Paradieses"
"In der Türkei gab in den vergangenen Jahrzehnten einen ständigen Rückschritt, was die Frauenrechte anlangt", sagt die Autorin Elif Shafak. In ihrem neuen Roman, "Der Geruch des Paradieses", erzählt sie von drei Studentinnen mit muslimischen Hintergrund in Oxford.
8. April 2017, 21:58
MYCHELE DANIAU / AFP / picturedesk.com
Morgenjournal, 31.10.2016
Angeklagt wegen "Herabwürdigung des Türkentums"
Elif Shafak zählt neben Orhan Pamuk zu den international prominentesten Autoren der Türkei. Ihre Bücher, übersetzt in rund 30 Sprachen Bücher erreichen Millionenauflagen - Romane wie "Der Bonbonpalast" oder "Der Bastard von Istanbul", in dem der Völkermord an Armeniern zur Sprache kommt. Vor zehn Jahren brachte ihr das eine Anklage wegen "Herabwürdigung des Türkentums" ein - auch ein Schicksal, das Elif Shafak mit Orhan Pamuk teilt.
Die Autorin ist weltoffen und polyglott. Als Tochter einer türkischen Diplomatin 1971 in Straßburg geboren, ist sie in Madrid, Amman, Köln und Istanbul aufgewachsen. In Ankara hat sie Politologie studiert und in den USA an der University of Arizona unterrichtet. Heute lebt sie in Istanbul und London und sagt: "Wenn du eine türkische Autorin bist, hast du nicht den Luxus, unpolitisch zu sein."
Persönliche Beobachtungen verarbeitet
Um Themen wie Identität und Islam, Feminismus und Reformen, Glaube und Zweifel kreist denn auch der neue Roman von Elif Shafak. Es ist die Geschichte von drei jungen Frauen mit muslimischem Hintergrund, drei Studentinnen in Oxford: eine Atheistin, eine gläubige, praktizierende Muslimin, und Peri, eine Türkin, zerrissen zwischen zwei Kulturen.
"In diesem Buch sind viele persönliche Beobachtungen. Es hat sich jahrelang in mir angesammelt, Stück für Stück. Ich wollte Frauen mit verschiedenen Schicksalen eine Stimme geben. Tatsächlich gab es in der Türkei in den vergangenen Jahrzehnten einen ständigen Rückschritt, was die Frauenrechte anlangt, und die Politiker kümmern sich nicht darum. Die Fälle häuslicher Gewalt haben sich verdreifacht. Die türkische Gesellschaft von heute ist sehr sexistisch, sehr patriarchalisch. Das ist an sich sehr gefährlich."
Anschläge, Putsch, Säuberungen
In der Türkei ist Elif Shafaks Roman ein sensationeller Erfolg. Seit dem Erscheinen Ende Juni führt "Der Geruch des Paradieses" die Bestsellerlisten an, 300.000 Exemplare sind bereits verkauft. Die Buchpremiere - das war ihr bisher letzter Besuch in Istanbul.
"Als ich da war, sind diese Flughafen-Anschläge passiert, mit 45 Toten und mehr als 260 Verletzten. Es war alles so traurig, und dann bin ich im Juli nach England zurückkehrt; kurz danach gab es diesen schrecklichen Putschversuch und jetzt diese Säuberungen. Etliche meiner Freunde sitzen derzeit im Gefängnis. Es ist so viel zerstört worden, ich mache mir große Sorgen."
"Wir können nicht einmal mehr gemeinsam trauern"
Wenn wir über die Türkei reden, meint Shafak, sollten wir nicht nur über Präsident Erdogan reden. "Wir müssen über die strukturellen Probleme reden. Wenn ein Land so polarisiert ist, vergisst man die gemeinsamen Werte. Wir können nicht einmal mehr gemeinsam trauern. Vor einem Jahr, als bei dem Anschlag in Ankara mehr als 100 Menschen starben, nicht einmal da haben wir es geschafft, als Nation in der Trauer zusammen zu stehen. Die Frage ist: Wie können wir diese schlimme Polarisierung überwinden?"
Elif Shafak setzt auf die Literatur. Mit ihren Romanen, sagt sie, wolle sie Brücken bauen. Der Druck ist enorm, sagt sie. Und: Es wird in der Türkei immer schwieriger, eine Autorin zu sein.
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