Vom Friedensgedicht zum Welthit

200 Jahre "Stille Nacht"

„Stille Nacht, heilige Nacht – Alles schläft, einsam wacht!“ Diese Zeilen sind den meisten von uns wohlbekannt. Gemeinsam, einsam oder unter dem Tannenbaum trällern jedes Jahr Millionen Menschen, zumindest im christlichen Raum, diesen Text, den Koadjutor Joseph Mohr im Jahr 1816 in der kleinen Gemeinde Mariapfarr im Lungau schrieb.

Kapelle

Die Stille-Nacht-Kapelle in Oberndorf

APA/BARBARA GINDL

Mehr als nur Weihnachten

Vor genau 200 Jahren erlebten die dortigen Bewohner/innen ein schreckliches Jahr mit Missernten, hoher Kindersterblichkeitsrate und den spürbaren Auswirkungen der zu Ende gegangenen Napoleonischen Kriege. Die harten Umstände prägten das tägliche Leben und veranlassten womöglich auch den Verfasser zu seinem sechsstrophigen Text. In Gedichtform schrieb Mohr über Christi Geburt und das Weihnachtsfest. Er beschrieb dabei aber auch eine Sehnsucht nach Frieden, die insbesondere in der vierten Strophe deutlich wird: „Stille Nacht! Heilige Nacht! Wo sich heut alle Macht. Väterlicher Liebe ergoß. Und als Bruder huldvoll umschloß. Jesus die Völker der Welt.“

Die meisten passionierten Weihnachtssänger/innen kennen und interpretieren die Strophen eins, zwei und sechs. Diese widmen sich ganz besonders dem Weihnachtsfest. Die Mittelstrophen drei bis fünf wurden in den ersten Lieddrucken, in den 1830er Jahren, eher vernachlässigt und gerieten in Vergessenheit.

Verbreitung via Zillertal

Wir wissen heute, dass Stille Nacht von Joseph Mohr gedichtet und vom Organisten und Komponisten Franz Xaver Gruber vertont wurde. Die beiden lernten sich in Oberndorf kennen und führten das Lied am Heiligen Abend im Jahr 1818 erstmals auf. In dieser Zeit war der Zillertaler Orgelbauer Karl Mauracher mit der Reparatur einer Orgel in der Gegend beauftragt, wodurch er Franz Xaver Gruber sowie Stille Nacht kennenlernte. Er nahm es mit in seine Heimat, wo Sängerfamilien das Lied in ihr Repertoire aufnahmen. Diese Familien waren auf unzähligen Tourneen in Europa sowie später in Amerika unterwegs und gaben dabei auch Stille Nacht zum Besten. Sie prägten die „Tiroler Fassung“, auch bekannt als „Popularfassung“, die sich insbesondere am Schluss jeder Strophe deutlich von der „Salzburger Fassung“, der Originalversion, unterscheidet. „Schlafe in himmlischer Ruh“ wird hier höher angesetzt und erhält dadurch ein gewisses Pathos. Diese Version wird übrigens von den meisten gesungen.

Spekulationen über die Urheberschaft

In Salzburg ging man es gemäßigter an, sowohl vom Melodieverlauf her als auch bei der Verbreitung. Nachdem das Lied aber immer bekannter wurde und viele Spekulationen über den Urheber im Raum standen, wurden, auf Anfrage der Königlich Preußischen Hofkapelle in Berlin an das Benediktinerstift in St. Peter, Nachforschungen betrieben.

Diese führten schließlich zu Franz Xaver Gruber. In seiner Authentischen Veranlassung schrieb er, Joseph Mohr habe den Text verfasst und er die Melodie geschaffen. Damit bestätigte er für immer die Urheberschaft.

Trotz der Veranlassung taucht aber immer wieder die These auf, dass Joseph Mohr sowohl für den Text als auch für die Vertonung verantwortlich sei. Mohr war ein gebildeter, weltoffener Mann mit großem musischen Talent. Er spielte verschiedene Instrumente, sang und beherrschte die Kunst der Komposition. Aufgrund seiner Kenntnisse entwickelten sich vermutlich die unterschiedlichen Thesen. Auch bei der Uraufführung des Liedes spielte er die Gitarre und sang gemeinsam mit Gruber zweistimmig.

Ein Schlager

Die unzähligen Diskussionen und Vermutungen verdeutlichen den Stellenwert von Stille Nacht. Jeder will ein Stück von dem weltberühmten “Friedenskuchen”. 2016 ist Mariapfarr mit Jubiläumsfeierlichkeiten an der Reihe: mit eigens komponierten Musikstücken oder berühmten Gästen wie Angelika Kirchschlager. Außerdem wurde ein Theaterstück über Joseph Mohr verfasst, das seine Zeit im Lungau auf die Bühne bringt.

Es sei kein Weihnachtsstück, so der Theatermacher Robert Wimmer, denn es spiele 1816, vor der Entstehung des Liedes. Die Theaterbesucher/innen seien übrigens die wahren Experten des Liedes, so Wimmer, da es alle singen würden und jeder etwas Besonderes damit assoziiere.

Vielleicht ist es das, was Stille Nacht so einzigartig macht, der Grund dafür, dass es in mehr als 300 Sprachen übersetzt wurde und jedes Jahr neu interpretiert wird.

Ob es die Schönheit der Melodie ist, der friedvolle Text oder die besinnliche Zeit, die damit verbunden wird: Stille Nacht ist ein Hit – insbesondere unter dem eigenen Christbaum!

Text: Helene Grießlehner, Musikerin und Ö1 Sendungsgestalterin