Boualem Sansal, ein unbeugsamer Autor
Für seinen 2015 erschienenen Roman "2084 - Das Ende der Welt" hat der frankofone algerische Schriftsteller Boualem Sansal den renommierten Preis der Académie française bekommen. Es ist ein düsterer Science-Fiction-Roman über das Leben in einer absolutistischen religiösen Diktatur.
8. April 2017, 21:58
Immer wieder setzt sich Sansal in seinen Werken mit Macht und Religion auseinander, und auch in seinen Interviews nimmt er sich kein Blatt vor dem Mund - wenn er etwa vor den Gefahren eines radikalen Islam warnt.
Kulturjournal, 28.12.2016
APA/AFP/FRANCOIS GUILLOT
Mittagsjournal, 28.12.2016
"Einst moderne, offene Länder"
Für Boualem Sansal sind die islamistischen Attentate in Europa ein Déjà-vu-Erlebnis: "Die Maghreb-Länder Marokko und Algerien waren moderne, offene Länder; Algerien gar ein sozialistisches Land. Zuerst gab es dort eine innere Migration: Da sind die Menschen vom Land in die Stadt gezogen, weil am Land das Leben immer schwieriger wurde. Und im Kontext der Entwurzelung bekommt die Religion eine sehr wichtige Rolle. Sie wird zum Refugium, zum Zufluchtsort."
Nach und nach gab es dann erste Anzeichen eines religiösen Selbstbewusstseins, man sah immer mehr Mädchen mit Schleier oder Männer mit Bärten. "Und dann kamen die 'Moralisierungsaktionen' - in diesem Viertel leben viele Moslems, und da gibt es eine Bar, die Wein ausschenkt. Sie gehen zum Patron, und sagen ihm, er soll damit aufhören. Der schmeißt sie zuerst hinaus, aber sie kommen wieder und zünden ihm die Bude an. Solche Dinge gab es viele", erzählt Sansal.
"Bei den Mädchen dasselbe: Sie wurden geschlagen, manchen schütteten sie Säure ins Gesicht - und auch da wurde nicht reagiert! Im Gegenteil: Man sagte, man müsse ihren Glauben respektieren. Bis irgendwann die Idee in deren Köpfen auftaucht: 'Wir können die Macht ergreifen!' Da beginnt dann der Terror und schließlich der Bürgerkrieg - wie es in Algerien geschehen ist. Länder wie Frankreich, Belgien, aber auch England sind in der Phase, wo der Terror ist schon da."
"Von sehr starken Institutionen bewacht"
In der Debatte über einen möglichen europäischen Islam hat etwa Frankreich versucht, Organisationen zu schaffen, um Ansprechpartner zu haben. Die Leiter dieser Institutionen aber seien Doppelagenten, so Sansal: "Eine dieser Institutionen arbeitet für Algerien, eine andere in Bordeaux für Marokko, und wieder eine andere ist von der Moslembruderschaft unterwandert."
Zwar sage man: "'Nicht wir sollen den Islam reformieren, das sollen die Moslems selbst tun!' Man mobilisiert Intellektuelle oder Imame, um darüber nachzudenken. Doch ein Moslem kann den Islam nicht reformieren - jedenfalls kein x-Beliebiger. Denn der Islam wird von sehr starken Institutionen überwacht, gegen die man keine Chance hat", sagt der Autor. Und somit sei man in einer Sackgasse.
Warum beschäftigt man sich erst jetzt damit?
Fast überall in Europa legen die populistischen Parteien zu, was auch mit der vielerorts verbreiteten Angst vor dem Islam zu tun hat. "Warum beschäftigt man sich jetzt mit dem Islam und dem Islamismus? Weil die Islamisten in einer gewalttätige Phase angelangt sind: Sie zünden Bomben und töten Menschen. Und da gibt es den radikalen Diskurs der extremen Rechten, der uns zwingt, bewusster nachzudenken und nach vernünftigeren Lösungen zu suchen, als die der Rechtsextremen, die sagen, man soll sie zurückschicken, umbringen, ins Meer werfen. Und so tragen die Populisten zur Meinungsbildung bei!"
Obwohl er immer wieder bedroht wird, lebt Boualem Sansal übrigens nach wie vor mit seiner Frau und zwei Töchtern in Boumerdès bei Algier.
Service
Ein ausführliches Interview mit Boualem Sansal hören Sie im "Kulturjournal" (17.09 Uhr).