2016 – Ein Popjahr klingt nach Trauermarsch
Während Fans trauern, jubilieren die Bilanzbuchhalter der Musikindustrie – trotz oder gerade wegen der prominenten Todesfälle.
8. April 2017, 21:58
Associated Press
Morgenjournal, 31.12.2016
„2016 – das Jahr in dem die Musik starb.“ Mit solchen Schlagzeilen wird vor allem eines angepeilt: Aufmerksamkeit schaffen, um Zeitungen zu verkaufen und Quote zu machen. Unbestritten, dass 2016 außergewöhnlich viele Musikerinnen und Künstler verstorben sind. Der gern zitierte Great Gig in the Sky, das Konzert der verblichenen Legenden hoch oben über den Wolken wird langsam zum Big Band Auftritt. Mit David Bowie und Leonard Cohen verstarben auch zwei prominente Vertreter des „Classic Rock“ – so lautet der gängige Code für Popmusik aus den Sechziger und Siebziger Jahren, der sich aufgrund der Kaufkraft der Babyboomer Generation nach wie vor in den Regalen hält. Während also Fans trauern, jubilieren die Bilanzbuchhalter der Musikindustrie – trotz oder gerade wegen der prominenten Todesfälle.
Man möge doch bitte Paul McCartney, Mick Jagger und Keith Richards in einen gut temperierten Raum sperren und die Tür erst 2017 wieder öffnen - so oder so ähnlich klangen diese Woche Kommentare in den sozialen Medien als sich mit George Michael der nächste Große für immer von der Bühnen verabschiedete.
Tote Bestseller
Früher, da waren Alter und Tod noch die natürlichen Feinde der Popmusik. Dann doch lieber sterben bevor sich das rebellische Antlitz in Falten legen kann - so das Motto von The Who 1965. Dass ausgerechnet The Who fünfzig Jahre später immer noch ihre Generation besingen ist ein gutes Symbol für die Dominanz der Golden Ager im aktuellen Musikbusiness. Elvis wird seit Jahrzehnten ausgequetscht bis auch der letzte irgendwann irgendwo aufgenommene Ton in Dollar transponiert wurde. Die Beatles zählen auch 2016 zu den Bestsellern im Pop-Supermarkt. Bis 1970 hatte die Band 19 Alben in den amerikanischen Billboard-Charts. Posthum sollten 13 weitere folgen. Kaum auszudenken, welche Umsätze da noch warten, wenn Paul und Ringo einmal abtreten.
Desert Trip-Festival als vergoldete Zeitreise
Das Desert Trip-Festival versammelte im vergangenen Oktober die Creme de la Creme der noch verbleibenden goldenen Popgeneration. Der Ort: Indio, mitten in der kalifornische Wüste. Auch ein passendes Sinnbild für die relative finanzielle Steppe abseits der Oase der Oldies. Mit dabei nicht nur The Who, sondern auch Bob Dylan, die Rolling Stones, Paul McCartney oder Roger Waters. Der zarte Altersdurchschnitt: 72 Jahre. Noch nie war ein Festival kommerziell erfolgreicher - 125 Millionen Euro spülten die nicht gerade günstigen Tickets in die Kassen.
Michael Jackson – wieder der unbestrittene King of Pop
Für die Musikindustrie ist das von den Medien ausgerufene annus horribilis natürlich alles andere als furchtbar. Die Controller über den Bilanzen der großen Player wissen längst: tote Stars sind die besseren Verdiener. Michael Jackson etwa lukrierte im Jahr 2016 sagenhafte 790 Millionen Euro - mehr als je ein Künstler zuvor, tot oder lebendig. Und Prince verkaufte heuer 2 Millionen Alben mehr als 2015.
Das Ende von Pop als Leitkultur
Historisch betrachtet, schließt sich wohl gerade jenes Zeitfenster in dem Popmusik Leitkultur war. Künstlerisch relevant, gesellschaftlich aufregend und durchdringend. Heute ist sie zwar global aber nicht selten marginal. David Bowie etwa war Projektionsfläche für unterschiedlichste Generationen, Sehnsüchte und Fantasien. Heute regieren millimetergenau parzellierte Mini-Genres. Nicht weniger vital, aber als atomisiertes Spartenprogramm meist nur ein Echo der einstigen kulturellen Wucht.
When I’m Sixty-Four, Seventy-Four, Eighty-Four,…..
Andererseits: so lange Mick Jagger täglich Yoga und Ballett macht, Keith Richards sich auf Jamaica sonnt und Chuck Berry mit 90 für 2017 ein neues Album ankündigt, werden die Erinnerungen an die wunderbaren Jahre des Pop noch nicht gänzlich verblassen.
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ORF.at - Keine Kinder von Traurigkeit