Andrej Kurkow: "Die Welt des Herrn Bickford"

Der ukrainische Autor Andrej Kurkow ist derzeit Visiting Fellow am Institut für die Wissenschaften vom Menschen in Wien (IWM). Kurkow ist nicht nur ein gefragter Kommentator der politischen Gegenwart in seiner Heimat, er ist vor allem auch als Bestsellerautor bekannt mit skurril-grotesken, satirischen Romanen, die er gern in der sowjetischen Vergangenheit ansiedelt. So auch sein soeben auf Deutsch erschienenes Buch "Die Welt des Herrn Bickford".

Mittagsjournal, 3.3.2017

"Die Welt des Herrn Bickford" - das ist eine späte Übersetzung. Auf Russisch ist der Roman schon vor 24 Jahren erschienen, eine Patina hat er aber nicht. "Der Roman ist heute aktueller als zur Zeit seiner Entstehung", meint Andrej Kurkow, "schließlich geht es um die Evolution der russisch-sowjetischen Mentalität."

Und diese Mentalität werde von zwei Faktoren bestimmt: Zum einen ist das der Kollektivismus, d.h., wenn alle verantwortlich sind, fühlt sich keiner zuständig, sagt Kurkow. Und zum anderen ist es die Sehnsucht nach einem starken Mann. "Es ist die Tradition der Monarchie. Das Volk liebt seinen Zaren und wenn das Volk nicht zufrieden ist, wird der Zar getötet und das Volk wird den nächsten lieben."

Dynamitstangen

AFP/AIZAR RALDES

Mit einer Zündschnur durch die Taiga

Der titelgebende Herr Bickford jedenfalls war - wie der Name schon vermuten lässt - kein Sowjet-Bürger, sondern jener Mann, der anno 1831 die flexible, wasserdichte Zündschnur erfunden hat. Und mit einer solchen Zündschnur in der Tasche lässt Andrej Kurkow den jungen Matrosen Wassili Charitonow anno 1945 durch die russische Taiga wandern.

Endlos lang ist diese Schnur und sie führt zu einem mit Dynamit beladenen Boot im Japanischen Meer - für Wassili ist sie "Waffe und zugleich Stab des Richters" und je länger er marschiert, desto mehr denkt er darüber nach, diese Schnur anzuzünden. Angesichts einer ganzen Reihe skurriler Begegnungen etwa in einer Zwangsjacken-Fabrik oder in einem so genannten Musilag, einem Straflager für Musiker, träumt er von einem Feuer, das die Welt reinigen würde.

"Menschen brauchen Feinde, um glücklich zu sein"

Wie Wassili, so hat auch Andrej Kurkow anno 1980 einen Streifzug durch die Sowjetunion unternommen. "Ich versuchte damals zu verstehen, was in der Gesellschaft, in den sogenannten 'normalen Sowjetmenschen' vor sich ging", schreibt er jetzt in einem Vorwort zu dem Roman "Die Welt des Herrn Bickford".

"Ich glaube, Russland und sein Volk lieben kein großes politisches Menü, d.h. das Ein-Partei-System reicht ihnen. Jetzt haben wir das praktisch auch mit der Putin-Partei Einiges Russland. Alle anderen Politiker werden gehasst, sie sind Feinde. Und die Menschen brauchen Feinde, um glücklich und zufrieden zu sein, sie suchen diese Feinde und den Krieg." Das sei ein Befund - wie Andrej Kurkow meint - von zeitloser Gültigkeit.

Service

Andrej Kurkow, "Die Welt des Herrn Bickford", Roman, aus dem Russischen von Claudia Dathe, Haymon