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Radiokolleg
Der gesellschaftliche Umgang mit dem Nationalsozialismus
1967 erschien in Deutschland ein Buch, das sich als wegweisend herausstellen sollte und gleich nach seinem Erscheinen intensiv diskutiert wurde. In "Die Unfähigkeit zu trauern" legten die beiden Autoren, die Psychoanalytiker Alexander und Margarete Mitscherlich, die Deutschen auf die Couch.
28. Juni 2018, 02:00
Die beiden Psychoanalytiker attestierten ihnen so manches: Kleinheitsängste aufgrund der Gebietsverluste im Ersten Weltkriegs und der damaligen wirtschaftlichen Notlage. Daraufhin: Aggression und die Flucht in ein unrealistisches, größenwahnsinniges Selbstbild. Gefolgt von einer großen narzisstische Kränkung in Folge der Kriegsniederlage. Und schließlich: Die Derealisierung des Dritten Reiches. Durch die großzügige Wiederaufbauhilfe der US-Amerikaner sei der ehemalige Feind schnell zum neuen Freund geworden. Zeitgleich, so die beiden Psychoanalytiker, hätten die Deutschen die alleinige Verantwortung für die Nazizeit auf Adolf Hitler übertragen.
Die psychoanalytische Kollektivdiagnose von Alexander und Margarete Mitscherlich ist aus heutiger Sicht umstritten. Im Rückblick erweist sich ihr Buch dennoch als wegweisend. Und zwar, weil darin erstmals die fehlende Auseinandersetzung der Deutschen mit ihrer nationalsozialistischen Vergangenheit thematisiert wurde.
APA/ROBERT JÄGER
Kurt Waldheim, 1986
Mitverantwortung an NS-Verbrechen
"Menschen erinnern sich stets zu ihrem Gunsten", heißt es in "Die Unfähigkeit zu trauern" über den Umgang mit der nationalsozialistischen Vergangenheit. In Österreich sollte es bis zum Jahr 1986 dauern, bis die Mitverantwortung an den NS-Verbrechen Thema werden sollte. Damals begann der Wahlkampf des früheren UNO-Generalsekretärs Kurt Waldheim für das Amt des Österreichischen Bundespräsidenten.
"Waldheim hatte ja eine für Österreich typische Haltung zur NS-Zeit eingenommen. Jene, des sich nicht erinnern Wollenden - obwohl er zum Beispiel die Deportation der Juden aus Thessaloniki oder die Verbrechen am Balkan eindeutig zumindest sehen hätte müssen", sagt die Zeithistorikerin Brigitte Bailer-Galanda, langjährige wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationsarchivs des Österreichischen Widerstandes.
Innerhalb der vergangenen drei Jahre hat sich die Zahl rechtsextrem motivierter Straftaten in Österreich fast verdoppelt, nämlich von 750 auf 1313 Fälle. Zum Großteil handelt es sich dabei um Beschimpfungen und Propaganda – die Mehrheit der Anzeigen aus dem Jahr 2015 betrifft das Verbotsgesetz, das unter anderem die Leugnung des Holocaust-Leugnung sanktioniert. Körperverletzungen machen einen kleineren Teil der Straftatbestände aus.
Baustellen der Erinnerung
50 Jahre nach dem Erscheinen von "Die Unfähigkeit zu trauern", gibt es in Österreich noch einige Baustellen der Erinnerung. Beispielsweise was die Erinnerung an jene betrifft, die Widerstand geleistet haben. In Kärnten erinnert beispielsweise kein einziges Denkmal auf öffentlichem Grund an jene Kärntner Slowen/innen, die sich dem NS-Regime widersetzt haben.
Ebenfalls in Kärnten, genauer in Klagenfurt ist bis heute eine Bundesheerkaserne nach einem hoch dekorierten Generalmajor der Wehrmacht benannt, nämlich nach Alois Windisch. Und das, obwohl Vorschläge vorliegen, sie etwa nach dem Wiener Feldwebel Anton Schmid umzubenennen, der in Vilnius jüdische Zwangsarbeiter vor dem Tod gerettet hat und dafür 1943 hingerichtet worden ist.
Anlass zu Sorge gibt aber vor allem die Zunahme von neuen und alten Formen des Antisemitismus und Rechtsextremismus. Die Israelitische Kultusgemeinde benennt in ihrem aktuellen Antisemitismusbericht neben rechtsextremem Antisemitismus sowohl die Judenfeindlichkeit von links, als auch jene von islamistischen Gruppen, als Problem.