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Praxis
Bibeltreu und konservativ – Evangelikale auf dem Vormarsch
Als die Urenkel der Reformation könnten sie gelten, oder als deren Großneffen - je nach Stammbaumbestimmung. Kritische Beobachterinnen und Beobachter würden sie vielleicht sogar als Luthers unbequeme Verwandte beschreiben, die gar nicht selten aus der Reihe tanzen. Jedenfalls feiern auch sie heuer 500 Jahre Reformation: die evangelikalen Freikirchen in Österreich.
31. Jänner 2018, 23:59
7 Tage Ö1
Praxis - Religion und Gesellschaft (bis 24.05.2017)
Ihre historischen Wurzeln verorten die evangelikalen Freikirchen Österreichs in der Reformationszeit, in der sogenannten Täuferbewegung. Im Gegensatz zu manch anderen christlichen Kirchen, sind die Evangelikalen heute weltweit auf dem Vormarsch. Auch hierzulande werden es beständig mehr.
Evangelikale sind meistens alles andere als Taufscheinchristen: die christlichen Prinzipien, die sie aus der Bibel ableiten, prägen alle Bereiche ihres Lebens. Die evangelikale Bewegung ist ein oft schillerndes, nicht selten ambivalentes, jedenfalls vielschichtiges Phänomen.
In Österreich sind die meisten Evangelikalen unter dem Dach der Religionsgemeinschaft "Freikirchen in Österreich" organisiert, die 2013 gesetzlich anerkannt wurde. Sie hat nach eigenen Angaben circa 20.000 Mitglieder und insgesamt rund doppelt so viele regelmäßige Gottesdienstbesucherinnen und -besucher.
Willkommen im Begriffsdschungel: Was bedeutet evangelikal - im Unterschied zu evangelisch, wo sich doch beides von Evangelium ableitet? Was heißt freikirchlich? Und wie reiht sich da die derzeit am stärksten wachsende Kirchenfamilie, die Pfingstbewegung, ein?
Für den Begriff "evangelikal" gibt es keine eindeutige Definition. Es wird auch heftig debattiert, welche Gruppen nun zu den evangelikalen Bewegungen zählen – vor allem, weil es mittlerweile in vielen christlichen Konfessionen evangelikal inspirierte Gruppen gibt (zum Beispiel auch in der römisch-katholischen Kirche oder in den evangelischen Kirchen).
"Evangelikal ist ein Begriff der Gemeinsamkeiten, gemeinsame Werte, zum Ausdruck bringt. Als wichtigesten Punkt die Autorität der heiligen Schrift in Glaubens- und Lebensfragen", meint Reinhold Eichinger, Vorsitzender des Bundes Evangelikaler Gemeinden.
Die evangelikalen Bewegungen entstammen jedenfalls der protestantischen Tradition. Ein großer Teil der Evangelikalen organisiert sich aber außerhalb der evangelischen Kirchen. Dieser grenzt sich von den sogenannten "Großkirchen" ab und nennt sich freikirchlich.
Freikirchlich und evangelikal wird mittlerweile oft synonym verwendet, die Grenzen verschwimmen immer mehr. In diesem Sinn lässt sich auch die Pfingstbewegung als "evangelikale" Freikirche bezeichnen, obwohl diese auf eine jüngere, eigenständige Tradition zurückblickt.
"Wenn es um theoligsche Inhalte geht unterscheiden wir uns, aber nicht mehr so stark", sagt Walter Bösch, Pastor und Vorstandsmitglied der Pfingstgemeinden.
Kennzeichen, die alle evangelikalen Strömungen gemeinsam haben, sind: Strikte Bibeltreue, konservative Moralvorstellungen, persönliche Ergriffenheit durch den Glauben, Erwachsenen-Taufe, flache Hierarchien, Fokussierung der Gemeinde auf den Pastor/die Pastorin, ausgeprägte Endzeiterwartung, Glaube an Wunderheilungen.
"Die evangelikale Tradition setzt bestimmte Schwerpunkte, die in weiterer Folge bestimmte Probleme mit sich bringen können", sagt Franz Winter, Religionswissenschafter von der Uni Graz.
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In der Kritik stehen die Evangelikalen immer wieder für intensive und teils aggressive Missionstätigkeit (vor allem in Lateinamerika, Afrika und Asien), für ein wörtliches Verständnis der Bibel, für rigide moralische Vorgaben (z.B. ihre Haltung gegen Abtreibung und gegen Homosexualität), zweifelhafte Wunderheilungen von teilweise schweren Krankheiten und für die geringe Toleranz gegenüber anderen Religionen.
Ein weiteres Merkmal der evangelikalen, freikirchlichen Bewegungen - religiöse Veranstaltungen gleichen oftmals Pop-Events. Sie haben im Unterschied zu anderen christlichen Konfessionen kaum Schwierigkeiten, junge Menschen anzusprechen. Musik dient als Mittel zum Zweck. Daher ist es nicht verwunderlich, dass evangelikale Bewegungen global auf dem Vormarsch sind. In Lateinamerika machen sie den Mainstream-Kirchen, wie der römisch-katholischen Kirche, große Konkurrenz. In Brasilien entsteht beispielsweise laut Schätzungen jede Stunde eine neue evangelikale Gemeinschaft. Und im Gegensatz zu Europa legen evangelikale Gruppierungen in Nord- und Südamerika ein hohes politisches Engagement an den Tag.
Auch aktuell findet sich ein solcher Vertreter auf höchster politischer Ebene in den USA: Vize-Präsident Mike Pence ist bekennender evangelikaler Christ.
Abgesehen vom evangelikalen Kernland USA, verbreitet sich diese Form des Christentums auch in Afrika rasch. Evangelikaler Hotspot in Asien sei übrigens Südkorea, sagt der Religionswissenschaftler. Für ihre intensive, zum Teil aggressive Missionstätigkeit stehen die Evangelikalen immer wieder in der Kritik. Der Vorsitzende des evangelikalen Bundes in Österreich, Reinhold Eichinger, meint dazu: Auch wenn da und dort vielleicht ungeschickt missioniert werde, die evangelikalen Freikirchen würden zu ihrem Auftrag stehen.