François Silvestre de Sacy / FDC
"Aus einer Bitterkeit entstanden"
Michael Haneke über "Happy End"
In Cannes hat am Montag Michael Hanekes jüngster Film "Happy End" seine Weltpremiere. Haneke steht damit im Wettbewerb um die Goldene Palme, es wäre seine dritte, nach "Das weiße Band" 2009 und "Liebe" 2012. Das Echo der internationalen Fachpresse war gestern verhalten und höchst unterschiedlich, in der Pressekonferenz heute Mittag stellte sich Haneke den Fragen der Journalisten.
22. Juni 2017, 02:00
Kulturjournal, 22.5.2017
Was Michael Haneke ärgert
Der Ärger darüber, wie blind manche Menschen durchs Leben gehen, sei am Beginn seines jüngsten Films gestanden, so Michael Haneke Montagmittag bei der Pressekonferenz in Cannes: "Der Film entstand aus einer gewissen Bitterkeit heraus bezüglich unserer Art zu leben und wie wir uns nur um uns selbst kümmern, aber nicht um das, was uns umgibt. Das nervt mich und das zu zeigen war auch die Absicht des Films", so der Regisseur.
Ins Zentrum der Handlung stellt er den Zerfallsprozess einer großbürgerlichen Unternehmerfamilie im nordfranzösischen Calais, den Haneke als Mosaik aus vielen kleinen Handlungssträngen, Gesten und wortkargen Dialogen zusammensetzt und bis zum Schluss nicht auserzählt.
Keine "fertige" Geschichte
Möglichst wenig zu erzählen, um die Fantasie der Zuschauer möglichst stark zu fordern, sei wie immer sein Ziel gewesen, sagte Hanke vor der internationalen Presse. Und dieses "Möglichst wenig erzählen" gilt einmal mehr auch für Journalistenfragen zu Inhalt und Anliegen des Films. Politische und soziale Themen wurden von Regisseur und Schauspielern elegant umgangen, so auch die im Film gestreifte Flüchtlingsthematik von Calais.
Überhaupt gilt für Haneke: "Auf solche Fragen antworte ich gar nicht, denn sie zielen darauf ab, dass ich meinen eigenen Film interpretiere. Das vermeide ich. Ich gebe in meinen Drehbüchern und Filmen nur Indizien, dann lasse ich die Zuschauer mit ihren Köpfen und Herzen arbeiten. Und ich werde sie nicht daran hindern, indem ich erzähle, was ich mit dem Film sagen wollte."
François Silvestre de Sacy / FDC
Applaus für Huppert und Trintignant
Viel lieber erzählt er von der Zusammenarbeit mit seiner Crew. Haneke betrat gleich mit zehn Schauspielerinnen und Schauspielern - fast dem gesamten Cast - das Podium, wie um zu zeigen: Das ist nicht nur ein Film über eine großbürgerliche Familie, sondern auch eine große Filmfamilie, die einander in Zuneigung verbunden ist und immer wieder gerne zusammenkommt.
Zum Beispiel Jean-Luis Trintignant, im Film das demente Familienoberhaupt George, der bei der Pressekonferenz mit großem Applaus empfangen wurde. Schon rund um Hanekes Film "Liebe" gab er bekannt, wenn überhaupt, dann nur noch mit ihm zu arbeiten. Am Montagnachmittag schilderte er humorvoll und entspannt von den Dreharbeiten, etwa auch für das entscheidende Ende des Films: "Es gab mehrere Möglichkeiten, den Film enden zu lassen. Er heißt ja ‚Happy End‘ und jetzt ist es vielleicht ein glückliches, vielleicht ein unglückliches Ende. Michael Haneke hat es so entschieden und was auch immer er tut, finde ich gut", meinte der Schauspieler und erntete dafür Applaus und Gelächter.
Längst zur Familie gehört auch Isabelle Huppert, die auf vier gemeinsame Arbeiten mit Haneke zurückblickt. Bei aller thematischen Vielfalt - von ganz intimen Filmen wie "Liebe" bis zu historischen oder politischen Themen - sei seine Art zu arbeiten, stets dieselbe geblieben.
Filmische Präzision und schauspielerische Freiheit
Es sei Hanekes großes Interesse an den Figuren und deren bewusstem wie unbewusstem Handeln, die sie an der Zusammenarbeit schätze, so Huppert. Ebenso wie seine große Präzision und klare Bildsprache, ausgehend von der sie als Schauspielerin völlige Freiheit verspüre.
Seine Filme basierten stets auf einem bis ins kleinste Detail ausgearbeiteten Drehbuch, erzählte Haneke selbst. Die Initialzündung dafür suche er nie aktiv, so auch diesmal nicht, man müsse lediglich mit offenen Augen durch die Welt gehen.
Letztes Projekt "Flashmob" nicht vollendet
Und nicht immer sei ein Filmprojekt realisierbar, so etwa "Flashmob", dem er zuletzt zwei Jahre Arbeit widmete, um es doch nicht zu vollenden. Daher auch die für Haneke ungewöhnlich lange Zeit von fünf Jahren zwischen "Amour" und nun "Happy End". Geblieben ist von "Flashmob" der Einsatz der neuen Medien als formales und dramaturgisches Stilmittel im Film - unumgänglich für eine gesellschaftliche Momentaufnahme, so Haneke: "Die Welt hat sich in den letzten 20 Jahren in einer nie dagewesenen Art verändert, vor allem in Bezug auf die Medien. Ich habe das Thema immer schon behandelt, weil man die Gesellschaft von heute gar nicht beschreiben kann, ohne es zu erwähnen. Aber es ist nicht das Hauptthema des Films."
Vielmehr setze sich der Streifen aus vielen Themen zusammen, anstatt eine durchgängige Handlung aufzuweisen. Ein vielschichtiges Sittenbild rund um fehlende Empathie und gestörte Kommunikation, das zumindest die Fachpresse nicht restlos für sich gewinnen konnte.