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Diagonal zu Hause bei Charles Aznavour
2. Oktober 2018, 02:00
Diagonal stellt vor | 06 10 2018
Das Magazin zu Monatsanfang wiederholt das letzte Interview, das Aznavour Ö1 gegeben hat
Ein gewisses Kribbeln in der Magengegend ist schon zu spüren, wenn ein exklusiver Interviewtermin mit einem veritablem Weltstar bei ihm zu Hause bevorsteht. Das beginnt schon damit, dass einem im Vorfeld keine Adresse mitgeteilt wird, sondern einfach nur der Name eines ländlichen Anwesens. Aber, um den guten Ausgang der Geschichte vorwegzunehmen, wir fanden das Landhaus in der Provence, Monsieur Charles Aznavour, damals 93 Jahre alt, erwies sich als äußerst zuvorkommend, freundlich, charmant und glücklicherweise in Gesprächslaune.
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Deutschstunde mit Charles Aznavour
Christian Scheib
Um von vorn zu beginnen: Die Idee, ein Diagonal "Zur Person Charles Aznavour(ian) – Sänger, Autor, Schauspieler, Botschafter" zu gestalten, entstand im Zuge der Planung unserer Schwerpunktwoche "nebenan – Erkundungen in Europas Nachbarschaft" über das Land Armenien. Immerhin war Charles Aznavour Botschafter von Armenien in der Schweiz, wie er dann auch stolz im Gespräch betont hatte. Um zu eruieren, ob Charles Aznavour bereit wäre, uns für ein Gespräch zur Verfügung zu sehen, wählten wir folglich diplomatische Kanäle. Und siehe da, irgendwann kam ein Mail von Aznavours Assistenten aus Buenos Aires, das folgende aus Sao Paulo und dann noch eines aus Rio de Janeiro. Die Zusage kam dann ein paar Tage später aus Moskau. Und ja, wir hatten dabei auf sehr unmittelbare Art gelernt, dass sich der 93-jährige Charles Aznavour gerade auf Welttournee befand. Wobei: "gerade" war irgendwie der falsche Begriff. "Permanent" kam der Sache schon näher.
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Christian Scheib bei Charles Aznavour
Aber rund um den 1. Mai des Jahres 2017 wollte Charles Aznavour in seinem Landhaus in der Nähe von Marseille ein paar ruhige Tage verbringen und falls wir wirklich mit ihm reden wollten, sollten wir uns dorthin auf den Weg machen. Wir lasen zur Vorbereitung Autobiographien und hörten auch jene Lieder, die man nicht so gut kennt, wie manche seiner Hits, aber irgendwann stand man vor dem Einfahrtstor des Landgutes und saß ihm schließlich in seinem salonähnlichen Studio gegenüber. Wie schon verraten, es war bezaubernd. Aznavour entpuppte sich als leidenschaftlicher Mann des Wortes, "Ich ernähre mich von dieser Sprache, vom Französischen. Und das ist eine wunderbare Ernährung", sagte er. Nichts tat er lieber im Leben, sagt er, als an Chansontexten zu feilen. Aber halt: Eines tat er tatsächlich noch lieber: Auf der Bühne stehen, sein Publikum spüren, die Liebe seines Publikums, und das Publikum auch spüren lassen, wie sehr er es seinerseits tatsächlich liebte. Aznavours Lebenselixier hieß "J’aime le public".