ORF/LOTHAR BODINGBAUER
Vom Leben der Natur
Gletscher - Sahnehäubchen auf den Bergen
Seit Menschen begannen, die Alpen zu besiedeln, prägt das Bild vom "ewigen Eis" ihre Einschätzung von Klima und Lebensraum der Berge. Erinnerungen werden mit Fotos, Geschichten, Sagen, Märchen und Beschreibungen von Generation zu Generation weitergegeben. Da aber die österreichischen Gletscher seit 1850 fast jedes Jahr zurückgehen, sind diese Geschichten immer auch mit Wehmut verbunden.
1. Juli 2017, 02:00
"Der Alpenraum ist ein sehr gefährlicher, schrecklicher Ort. Man ist von Naturgefahren umzingelt, die Einwohner sind feindselig, man muss trachten diese Reise irgendwie zu überstehen". So lautet der Eintrag von Josef Walcher in "Eisberge von Tirol" erschienen im Jahr 1773", erzählt die interdisziplinäre Gletscherforscherin Andrea Fischer.
Die österreichischen Gletscher sind seit der sogenannten "kleinen Eiszeit” um rund die Hälfte zurückgegangen. Diese "kleine Eiszeit" war eine Periode zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, in der es relativ kühl war und sich große Gletscherflächen bilden konnten. Ab 1850 wurde es auf der ganzen Welt wärmer –und somit war bald auch ein Rückgang der Gletscher zu beobachten.
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Die Größe der Gletscher lässt Rückschlüsse auf das Klima zu
30 Jahre muss ein Gletscher mindestens beobachtet werden, um kurzfristige Schwankungen von langfristigen Klimatrends zu unterscheiden. Der Verein "Gletscher und Klima" sammelt die Daten für Österreich.
In Österreich gibt es die "Interdisziplinäre Gebirgsforschung", fächerübergreifende Hochgebirgsforschung, die mit vielen auch international tätigen Wissenschaftler/innen unter dem Schirm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betrieben wird. Es geht dabei nicht nur um Fragen der Dokumentation der Klimaveränderung, sondern auch um deren Auswirkung auf die Besiedlung des Alpenraums durch Pflanzen, Tiere und Menschen.
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Wanderbewegungen der Gletscher
Ein Gletscher kennt unterschiedliche Zyklen: Ein großer Zyklus ist die Phase zwischen Eiszeit und Zwischeneiszeit, die durch die Einstrahlungsbedingungen der Sonnenstrahlen auf die Erde bestimmt wird. Winter und Sommer bilden darüber hinaus den saisonalen Zyklus. Zwischen September bis Mai bildet sich die winterliche Schneedecke, die über dem Sommer mehr oder weniger abschmelzen kann. Wenn die Nettobilanz positiv ist, wächst der Gletscher, wenn sie negativ ist, zieht er sich zurück. Ein Gletscher ist selten im Gleichgewicht.
Laut Gletscherbericht 2016 des Österreichischen Alpenvereins waren in Österreich von 90 beobachteten Gletschern 87 im Rückgang, zwei sind gleichgeblieben, und einer ist vorgestoßen. Ein Bild, das sich auch durch die letzten 20 Jahre zieht. Einzig 1980 wiesen 75 Prozent der Gletscher einen Vorstoß auf, nicht aufgrund einer Unterbrechung der globalen Erwärmung, sondern durch eine kleinräumige Abweichung vom Klimatrend. Da in kühleren Jahren auch die Lawinengefahr steigt, werden solche kleinräumigen Schwankungen durchaus heftig bemerkt und sind in der Erinnerung der Menschen gut verankert.
"Ein Gletscher transportiert Schutt in jedem Klimazustand. Schmutzige Gletscher sind daher nicht unbedingt Zeichen einer katastrophalen Umweltsituation", sagt die interdisziplinäre Gletscherforscherin Andrea Fischer.
Gletscher sind wahre Klimabibliotheken
Das älteste in den österreichischen Alpen gefundene Eis stammt aus dem Holozän, es ist ca. 7000 Jahre alt. Üblicherweise ist das Eis der Gletscher in Österreich nur wenige 100 Jahre alt. Denn so lange dauert es, bis aus Schnee und Eis von der Oberfläche Gletschereis gebildet wird, das bis zur Gletscherzunge fließt, wo es abschmilzt.
Gletscher nehmen durch ihre Speicherfunktion von Eis eine besondere Rolle in der Dokumentation von ein. Schichtweise wird jeden Winter Firn an der Oberfläche der Gletscher abgelagert, zusammengepresst, aus ihm wird nach ca. 30 Jahren plastisches Eis, das zu fließen beginnt.
Die Einschlüsse in den jahreszeitlichen Schichten lassen Rückschlüsse auf den Zustand der Atmosphäre zu: ihren Gehalt an Staub, Pollen, und selbst ihre chemische Zusammensetzung wird durch Luftbläschen im Eis gespeichert. Die Wissenschaftler/innen können durch die Isotopenzusammensetzung des Wassers auch Rückschlüsse auf seine genaue geographische Herkunft ziehen. All diese Informationen münden in Klimamodelle die von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft reichen.
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Der Rückzug der österreichischen Gletscher hat für die Menschen, Tiere und Pflanzen in diesem Lebensraum durchaus große Bedeutung. Die wirklich dramatischen Probleme sind aber anderswo zu finden - dort wo der Anstieg der Meeresspiegel oder steigende Temperaturen wichtigen Lebensraum reduzieren, dort wo Permafrost schmilzt, wobei gespeicherte Treibhausgase freigesetzt werden, was zu einer positiven Rückkopplung der Erderwärmung führen kann, und dort, wo die höhere Energie der Atmosphäre zu mehr Stürmen und Extremwetterereignissen führt.
"Der Gletscher ist eine Geschichte sämtlicher Umwelteinflüsse, man findet hier zum Beispiel die Tritiumablagerungen der Atombombenexperimente genau so wie die Rückstände der Tschernobyl-Katastrophe und die Spuren der ersten Bergsteiger", berichtet die interdisziplinäre Gletscherforscherin Andrea Fischer.
Heute sind die Gletscherregionen touristisch stark inszeniert. Die Schigebiete prägen somit das Bild über die Gletscher, Urlauber/innen nehmen das Bild von der schneebedeckten Gebirgshaube mit nach Hause. Sie sind betroffen, wenn sie zum Beispiel den Schutt auf der Pasterze, dem Gletscher am Großglockner sehen. Diese Gesteinsspuren sind aber durchaus normal. Der wahre Klimawandel findet stiller statt.