Gletscherzüge

ORF/LOTHAR BODINGBAUER

Vom Leben der Natur

Gletscher - Sahnehäubchen auf den Bergen

Seit Menschen begannen, die Alpen zu besiedeln, prägt das Bild vom "ewigen Eis" ihre Einschätzung von Klima und Lebensraum der Berge. Erinnerungen werden mit Fotos, Geschichten, Sagen, Märchen und Beschreibungen von Generation zu Generation weitergegeben. Da aber die österreichischen Gletscher seit 1850 fast jedes Jahr zurückgehen, sind diese Geschichten immer auch mit Wehmut verbunden.

"Der Alpenraum ist ein sehr gefährlicher, schrecklicher Ort. Man ist von Naturgefahren umzingelt, die Einwohner sind feindselig, man muss trachten diese Reise irgendwie zu überstehen". So lautet der Eintrag von Josef Walcher in "Eisberge von Tirol" erschienen im Jahr 1773", erzählt die interdisziplinäre Gletscherforscherin Andrea Fischer.

Die österreichischen Gletscher sind seit der sogenannten "kleinen Eiszeit” um rund die Hälfte zurückgegangen. Diese "kleine Eiszeit" war eine Periode zwischen dem 15. und 19. Jahrhundert, in der es relativ kühl war und sich große Gletscherflächen bilden konnten. Ab 1850 wurde es auf der ganzen Welt wärmer –und somit war bald auch ein Rückgang der Gletscher zu beobachten.

Gletscher

Durch die Form der Felsen der Gebirgslandschaft kann man weit in die Vergangenheit zurückblicken. Historische Spuren können an den runden Gesteinsformen zum Tal hin an den Hängen abgelesen werden. Darüber sind eckige Felsen sichtbar. Die sogenannte Schliffgrenze zeigt somit die Grenze der eiszeitlichen Gletscher, die früher weit in das Alpenvorland hinausreichten und das Tal verfüllt haben.

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Die Größe der Gletscher lässt Rückschlüsse auf das Klima zu

30 Jahre muss ein Gletscher mindestens beobachtet werden, um kurzfristige Schwankungen von langfristigen Klimatrends zu unterscheiden. Der Verein "Gletscher und Klima" sammelt die Daten für Österreich.

In Österreich gibt es die "Interdisziplinäre Gebirgsforschung", fächerübergreifende Hochgebirgsforschung, die mit vielen auch international tätigen Wissenschaftler/innen unter dem Schirm der Österreichischen Akademie der Wissenschaften betrieben wird. Es geht dabei nicht nur um Fragen der Dokumentation der Klimaveränderung, sondern auch um deren Auswirkung auf die Besiedlung des Alpenraums durch Pflanzen, Tiere und Menschen.

Gletscherschmutz

Schmutz an der Gletscheroberfläche ist nicht unbedingt ein schlechtes Zeichen für den Zustand des Gletschers. Durch das regelmäßige Abschmelzen der oberen Schichten werden Gesteinsspuren der Seitenmoränen und dunkler angewehter Sand sichtbar. Diese dunklen Stellen – Kryokonitlöcher – sammeln das Sonnenlicht stärker und führen zu einer unregelmäßig geformten Oberfläche und stärkerem Abschmelzen des Eises.

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Wanderbewegungen der Gletscher

Ein Gletscher kennt unterschiedliche Zyklen: Ein großer Zyklus ist die Phase zwischen Eiszeit und Zwischeneiszeit, die durch die Einstrahlungsbedingungen der Sonnenstrahlen auf die Erde bestimmt wird. Winter und Sommer bilden darüber hinaus den saisonalen Zyklus. Zwischen September bis Mai bildet sich die winterliche Schneedecke, die über dem Sommer mehr oder weniger abschmelzen kann. Wenn die Nettobilanz positiv ist, wächst der Gletscher, wenn sie negativ ist, zieht er sich zurück. Ein Gletscher ist selten im Gleichgewicht.

Laut Gletscherbericht 2016 des Österreichischen Alpenvereins waren in Österreich von 90 beobachteten Gletschern 87 im Rückgang, zwei sind gleichgeblieben, und einer ist vorgestoßen. Ein Bild, das sich auch durch die letzten 20 Jahre zieht. Einzig 1980 wiesen 75 Prozent der Gletscher einen Vorstoß auf, nicht aufgrund einer Unterbrechung der globalen Erwärmung, sondern durch eine kleinräumige Abweichung vom Klimatrend. Da in kühleren Jahren auch die Lawinengefahr steigt, werden solche kleinräumigen Schwankungen durchaus heftig bemerkt und sind in der Erinnerung der Menschen gut verankert.

"Ein Gletscher transportiert Schutt in jedem Klimazustand. Schmutzige Gletscher sind daher nicht unbedingt Zeichen einer katastrophalen Umweltsituation", sagt die interdisziplinäre Gletscherforscherin Andrea Fischer.

Gletscher sind wahre Klimabibliotheken

Gletscher nehmen durch ihre Speicherfunktion von Eis eine besondere Rolle in der Dokumentation von ein. Schichtweise wird jeden Winter Firn an der Oberfläche der Gletscher abgelagert, zusammengepresst, aus ihm wird nach ca. 30 Jahren plastisches Eis, das zu fließen beginnt.

Die Einschlüsse in den jahreszeitlichen Schichten lassen Rückschlüsse auf den Zustand der Atmosphäre zu: ihren Gehalt an Staub, Pollen, und selbst ihre chemische Zusammensetzung wird durch Luftbläschen im Eis gespeichert. Die Wissenschaftler/innen können durch die Isotopenzusammensetzung des Wassers auch Rückschlüsse auf seine genaue geographische Herkunft ziehen. All diese Informationen münden in Klimamodelle die von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft reichen.

Gletscherschichten

Im Stubaier Gletscher befindet sich eine Eishöhle, in der die Besucher/innen an den Grund des Gletschers gehen können. Das Eis ist hier 400 Jahre alt. Sichtbar werden die schichtweisen Ablagerungen. Im Bild zu sehen auch am unteren Bildrand eine Schicht Saharastaubs, der einige Male pro Jahr über Wind und Wetter den Weg auch nach Österreich findet.

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Der Rückzug der österreichischen Gletscher hat für die Menschen, Tiere und Pflanzen in diesem Lebensraum durchaus große Bedeutung. Die wirklich dramatischen Probleme sind aber anderswo zu finden - dort wo der Anstieg der Meeresspiegel oder steigende Temperaturen wichtigen Lebensraum reduzieren, dort wo Permafrost schmilzt, wobei gespeicherte Treibhausgase freigesetzt werden, was zu einer positiven Rückkopplung der Erderwärmung führen kann, und dort, wo die höhere Energie der Atmosphäre zu mehr Stürmen und Extremwetterereignissen führt.

"Der Gletscher ist eine Geschichte sämtlicher Umwelteinflüsse, man findet hier zum Beispiel die Tritiumablagerungen der Atombombenexperimente genau so wie die Rückstände der Tschernobyl-Katastrophe und die Spuren der ersten Bergsteiger", berichtet die interdisziplinäre Gletscherforscherin Andrea Fischer.

Heute sind die Gletscherregionen touristisch stark inszeniert. Die Schigebiete prägen somit das Bild über die Gletscher, Urlauber/innen nehmen das Bild von der schneebedeckten Gebirgshaube mit nach Hause. Sie sind betroffen, wenn sie zum Beispiel den Schutt auf der Pasterze, dem Gletscher am Großglockner sehen. Diese Gesteinsspuren sind aber durchaus normal. Der wahre Klimawandel findet stiller statt.