POLYFILM VERLEIH
Interview
Journalist Ron Suskind zu "Life, Animated"
Der Sohn von Ron Suskind erkrankte als Kleinkind an regressivem Autismus. Jahre später verarbeitete der preisgekrönte Politjournalist die Geschichte seines Sohnes im Buch "Life, Animated", das Roger Ross Williams verfilmte. Ö1 hat Suskind zum Interview getroffen und mit ihm über das einschneidende Jahr der Dreharbeiten und sein Leben zwischen Disneyrollenspielen und Weißem Haus gesprochen.
4. August 2017, 02:00
Im Alter von drei Jahren erkrankte Owen Suskind an regressivem Autismus, hörte auf zu sprechen und zog sich völlig in sich zurück. Erst Jahre später merkten die Eltern, dass es mittels der Disney-Filme, die er Tag für Tag schaute, möglich war, mit Owen Kontakt aufzunehmen. Viel später, Owen war mittlerweile volljährig, begann sein Vater, der Pulitzer-preisgekrönte Politikjournalist Ron Suskind, die Geschichte seines Sohnes aufzuschreiben. Der Filmemacher Roger Ross Williams wurde auf "Life, Animated" aufmerksam. Seine gleichnamige Oscar-nominierte Dokumentation beschreibt nicht nur, wie Owen es durch Disney-Klassiker wie "Dschungelbuch", "Aladin" oder "König der Löwen" schaffte, ins Leben zurückzukehren, sondern räumt auch mit einigen Vorurteilen in Sachen Autismus auf.
Kulturjournal, 4.7.2017
Wolfgang Popp
Ö1: Ron Suskind, Ihr Buch "Life, Animated" war die Grundlage für den gleichnamigen Film. Was war für Sie der Auslöser, das Schicksal Ihres Sohns öffentlich zu machen?
Ron Suskind: Das Buch setzt ein, als Owen 19 war. Damals wurde er sich vieler Dinge bewusst und ganz wichtig wurde ihm plötzlich, wie ihn die Außenwelt wahrnahm. Die Menschen wissen nicht, wer ich bin, sagte er uns damals und dann fügte er noch eine Zeile aus Aladin, dem Disneyfilm aus dem Jahr 1992 hinzu. Er sagte, "ich bin ein ungeschliffener Diamant".
Owen selbst gab also den Startschuss für das Projekt, weil er wollte, dass ihn seine Umwelt vollständig wahrnimmt. Was auch immer die Konsequenzen sein würden. Ja, und so kam es zu dem Buch.
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Es gibt im Film diese intensiven Momente, in denen Owen seine Disney-Filme schaut und dabei völlig in diese Zeichentrickwelten eintaucht. Dabei blickt er aber direkt in die Kamera. Wie funktioniert das?
Das wird Ihnen gefallen. Das ist nämlich ein Trick, den nur Filmfanatiker kennen. Es gibt in den U.S.A. einen Dokumentarfilmer, Errol Morris, der hat ein Gerät entwickelt, das nennt er Interrotron, mit dem er seine intensiven Interviews filmt. Durch ein ausgeklügeltes System an Spiegeln und Monitoren sieht der Interviewpartner dem Interviewer in die Augen gleichzeitig aber auch genau in die Kamera. Und genauso ein Interrotron hat unser Regisseur Roger Ross Williams benutzt, wenn Owen seine Disney-Filme schaut. Der Zuschauer hat deshalb das Gefühl, in dem Film zu sein und wird dadurch zu Balu, Baghira oder der sprechenden Grille aus Pinocchio. Und das entfaltet eine ungeheure Wucht und lässt den Zuschauer die Welt aus Owens Augen sehen.
Im Film werden wir Zeugen, wie Owen auszieht, wie er mit seiner ersten Freundin zusammen ist und wie sie sich von ihm trennt. Waren das inszenierte Szenen oder hatte der Regisseur einfach Glück, dass diese Dinge vor laufender Kamera passierten?
Alles im Film ist reine Dokumentation. Das fand alles tatsächlich so statt. Natürlich war uns klar, dass es durch Owens Auszug ein Jahr der großen Veränderungen sein würde. Für ihn war das der so heiß ersehnte Schritt in die Unabhängigkeit. Aber, dass sich Emily von ihm trennte in der Zeit war reiner Zufall. Für ihn und für die Familie war das natürlich die große Katastrophe, für Roger und "Life, Animated" aber der große Glücksfall. Denn plötzlich war es kein Film mehr, der sich allein um Autismus drehte, sondern viel universaler, das Porträt eines Heranwachsenden.
Bei Autisten kommt es ja häufig zu sogenannten Inselbegabungen, in einem bestimmten Bereich können diese Menschen ganz einzigartige kognitive Fähigkeiten entwickeln. Bei Owen ist es das Vermögen, seine Disney-Filme auswendig zu kennen. Haben Sie jemals nachgerechnet, um wie viele Stunden es sich da handelt?
Wir haben keine Ahnung. Er überrascht uns da jedes Mal aufs Neue. Aber es sind bestimmt hunderte von Filmstunden. Er kann an jede beliebige Szene zurückgehen und sie nicht nur spielen, sondern leben. Vor kurzem hat er einmal gemeint. Ich habe in diesen Figuren gelebt und jetzt leben sie in mir und helfen mir, dass meine Wünsche in Erfüllung gehen. Aber geht es nicht jedem von uns so? Erinnern wir uns nicht alle an prägende Filmmomente? Vielleicht kennen wir die Dialoge nicht auswendig, aber die besondere Atmosphäre der Szene, die Stimme von Jack Nicholson oder den Gesichtsausdruck von James Stewart haben wir noch ganz genau im Kopf. Das sind magische Momente, die keine Grenzen kennen und auf der ganzen Welt wirken. Geschichten der Menschheit einfach, die jeden von uns formen.
Sie sind jahrelang in die Rollen von Disney-Figuren geschlüpft, um mit Ihrem Sohn kommunizieren zu können. Gleichzeitig haben Sie Bücher über die Bush- und die Obama-Regierung geschrieben. Ich kann mir vorstellen, dass es da nicht nur einmal vorgekommen ist, dass Sie untertags im Weißen Haus gesessen sind und Präsidenten interviewt haben und abends einen Panther oder einen Bären aus Dschungelbuch gespielt haben. Welche Welt war denn unwirklicher für Sie?
Eine gute Frage. Ich würde sagen, dass mir die Gespräche mit Owen oft realer vorgekommen sind. Ich bin damals auch auf ein großes Manko gestoßen, nicht nur bei unseren Politikern, sondern weltweit. Sie verstehen einfach nicht mehr, welche Macht eine Geschichte entfalten kann. Früher haben die großen politischen Führer Bilder von der Zukunft entworfen, die waren so lebendig, dass man sich in ihnen bewegen konnte. Und auf diese Weise ein Gemeinschaftsgefühl in den Menschen wachrufen zu können, das macht einen politischen Führer aus. Die meisten Politiker heute haben aber vergessen, dass es um Geschichten geht.
Was ist denn die Geschichte, die Donald Trump erzählt? Was macht sie so mächtig oder war sie einfach nur die stärkste unter lauter schwachen Geschichten, die im US-Wahlkampf erzählt wurde?
Das Interessante an Trump ist, dass er tatsächlich Geschichten erzählen kann. Er ist der Star einer Reality Show, oder besser umgekehrt, der Star in einer Show der Wirklichkeit. Und darin ist er Experte. Nicht für die Wirklichkeit, wohlgemerkt, sondern für eine Show der Wirklichkeit. Und dazu ist das Geschichtenerzählen, so wie er es betreibt, leider zerstörerisch.