Ferdinand Schmalz

ORF

Tage der deutschsprachigen Literatur

Bachmannpreis an Ferdinand Schmalz

Der österreichische Dramatiker Ferdinand Schmalz hat sich beim Wettlesen um den renommierten Ingeborg-Bachmann-Preis gegen die Konkurrenz durchgesetzt. Der Grazer konnte den mit 25 000 Euro dotierten Hauptpreis der 41. "Tage der deutschsprachigen Literatur" am Sonntag in Klagenfurt für sich entscheiden.

Der 1985 geborene Theaterwissenschaftler, der als Kunstfigur auftritt und mit bürgerlichem Namen Matthias Schweiger heißt, überzeugte die Jury mit seinem inbrünstig vorgetragenem Text "mein lieblingstier heißt winter".

Der Text handelt vom geplanten Suizid eines krebskranken Mannes, dessen Vorliebe für gefrorenes Rehragout und eine ungewöhnliche Bitte an seinen Tiefkühlkost-Lieferanten. Von der Jury gab es einhelliges Lob für den Grazer. "Der Text ist tatsächlich makellos", befand die Kritikerin Sandra Kegel, auf deren Einladung Schmalz am Wettlesen teilnahm. "Wenn die Figuren sprechen, geht mir das Herz auf", lobte Kollegin Hildegard Keller die Dialoge der Männer. Für Jurorin Meike Feßmann gelang Schmalz die Mischung zwischen Klamauk und Ernsthaftigkeit und für Kritiker Stefan Gmünder war es ein Text, "der wirklich rockte".

https://www.instagram.com/p/BNHUlYEgvik/" style=" color:#c9c8cd; font-family:Arial,sans-serif; font-size:14px; font-style:normal; font-weight:normal; line-height:17px; text-decoration:none;" target="_blank">Ein Beitrag geteilt von Radio Ö1 (@oe1) am

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ORF.at - Ein Sieg mit Tiefgekühltem

"Ex libris"-Redakteur Peter Zimmermann hat den Literaturwettbewerb in Klagenfurt verfolgt und seine Bachmannimpressionen in Worte gefasst.

Klagenfurt. Blasenschwäche. Wir halten dicht!

Steigst du in den Zug nach Klagenfurt, und zwar an dem Tag, an dem das Bachmannpreiswettlesen beginnt, merkst du schon bald, was eine Blase ist. Eine Bubble, wie man in den sozialen Medien gerne sagt. Eine Bubble ist ein geschlossenes soziales System, in dem sich Menschen bewegen, die ziemlich ähnlich ticken, und die deshalb glauben, es handle sich um die Welt. Abweichungen sind irritierend, deshalb verordnet man sich sozusagen selbst Hausarrest und bleibt dort, wo man immer Recht hat und worauf das Monster der Unbildung keinen Zugriff hat. In der Bubble eben.

Zwei Damen aus Deutschland, irgendetwas mit Verlagsbranche, und eine Autorin aus Österreich, hart geworden in einem bereits Jahre währenden Stipendienstahlbad, reden sehr, sehr ernst übers Schreiben und Publizieren, während rundherum das reisende Volk, unbeeindruckt von so viel Fachkundigkeit, macht, was reisendes Volk eben macht, schlafen, übers Wetter reden, Mama anrufen, halbstark sein, aufs Smartphone starren. Die deutschen Damen, die in ihrem Leben noch nie einen Witz erzählt haben, fühlen sich vielleicht bedroht durch so viel Alltäglichkeit, sie übertönen das Banale mit Sätzen aus dem Bildungsfundus, der, seien wir uns ehrlich, nicht mehr ist als der Feuilletonfundus, Behauptungen und Fehleinschätzungen also. Das kommt davon, wenn man die Bubble als sakralen Weltinnenraum begreift und jeden beim Wort nimmt und alles glaubt, was einem Autoren, Verleger und Kritiker zuraunen.

Ich will ja das überstrapazierte Wort FAKE nicht verwenden, aber Autoren, Verleger und Kritiker fühlen sich eher nicht der Wahrheit verpflichtet. Niemand wird mir jetzt böse sein, denn diejenigen, die es betrifft, wissen es selbst: die Behauptung macht den Meister, nicht die Kunst oder irgendein Ringen um Wahrheit.

Und dann sitzt du in einem Café auf dem Alten Platz in Klagenfurt und du wähnst dich in einer Realityshow auf RTL2, über den Köpfen der Menschen wehen Fahnen mit Zitaten von Paul Nizon und Anna Baar und Gert Jonke und natürlich Ingeborg Bachmann und den Daten des Bachmannpreises vom letzten Jahr, weil dieses Bachmanndings ohnehin keine Sau interessiert, außer die Bubblebewohner, die aber ohnehin wissen, worum es geht. Die Literaturleute nehmen einander an der Hand, bewegen sich im Schutz der Gruppe vom Hotel zum Landesstudio, in ein, zwei Lokale oder an den Wörthersee. Niemand ist auf Abenteuer aus, niemand möchte mit dem Leben da draußen in Berührung kommen. Ich habe nie geglaubt, dass irgendwer, außer den mit Preisgeld ausgestatteten Autorinnen und Autoren, vom Bewerb profitiert.

Und dann, am späteren Abend, umrahmt von einem herrlichen Gewitter, hält Franzobel die Rede zur Literatur, die in früheren Jahren mitunter eine Rede über den Redner war, und diese Rede ist so erfrischend altmodisch, weil auch sie vom Glauben handelt. Jedoch nicht vom Glauben an die Behauptung irgendeiner Größe oder Wichtigkeit, an betriebsbedingtes Zurichten der Wirklichkeit, sondern an die Erzählung als Vergewisserung dessen, was der Mensch, sozusagen als Basismodul, jenseits von Ideologie, Religion und medialer Verzerrung ist. Das muss man sich zu Zeiten der eitlen Poetikvorlesungsmode einmal trauen: nicht ICH zu sagen und seiner eigenen Arbeit eine Komplexität anzudichten, mit der man höchstens seine Blasenexistenz aufwertet, sondern von der Literatur als Erkenntnismittel zu sprechen, welches gerade diese Abgrenzungen, Ausschließungen, Differenzierungen, Distinktionen unterläuft. Erzählen heißt in letzter Konsequenz, die Blase zum Platzen zu bringen.

Franzobel hat aber auch von der Relevanz der Literatur gesprochen, von der Notwendigkeit, notwendig zu sein, indem sie auf die politische, ökonomische, gesellschaftliche Wirklichkeit reagiert. Dieser Diskurs wird allerdings seit dem 19. Jahrhundert schon geführt und nie ist seither klar geworden, ob die Literatur erstens überhaupt eine Verpflichtung hat und wie zweitens eine solche Verpflichtung umzusetzen wäre. Spätestens seit Kafka wissen wir, dass Literatur weit jenseits von Realismus uns Engagement angesiedelt sein kann, um dennoch von realen Verhältnissen und Befindlichkeiten zu handeln.

Und so ist auch in Klagenfurt der Umgang mit der conditio humana, mit den Bedingungen, unter denen wir leben (müssen), auffällig und vielgestaltig. Man merkt, dass die Diskussionen um die Innerlichkeitsberauschtheit obsolet geworden sind. Es scheint, als wäre das Ich zugunsten von etwas großem Ganzen zurückgetreten in die zweite Reihe. Flucht und Migration sind ein Thema, allerdings nicht aus der Perspektive der Betroffenen, sondern jener, die ungewollt zu Zeugen dieser Bewegungen werden. Noemi Schneider, Jacki Thomae, Gianna Molinari und Maxi Obexer schreiben darüber auf je unterschiedliche Weise. Da zeigt sich aber auch, dass alles, was uns zeitlich nahe und in seinen Auswirkungen unüberschaubar ist, im Text mitunter zum spekulativen Sprachspiel gerät. Oder die konkrete Angst vor der Katastrophe zerfließt in der negativen Utopie: irgendetwas Schreckliches, Unsagbares geschieht. Nicht einmal die Täter sind auszumachen. Wobei es nicht klar ist, ob diese Kippmomente real sind oder eingebildet. Bei Karin Peschka ist das so, bei Ferdinand Schmalz, Barbi Markovic und Eckhart Nickel.

Der Großteil der Texte, die in Klagenfurt präsentiert werden, ist nicht schlecht, sie sind nur unbeholfen, weil die Autorinnen und Autoren Sprache als Abbildungsinstrument verstehen und Schreiben als Reaktion auf die sichtbare Welt und auf die Verhältnisse, die man zu begreifen scheint. Hie und da wird ein wenig hochgerechnet, und schon hat man für die unmittelbare Zukunft ein Untergangsszenario bereit, das allerdings die Leser ziemlich kalt lässt. Einzig Ferdinand Schmalz kommt auf die Idee, Wirklichkeit aus der Sprache heraus zu generieren, also nichts zu beschreiben, sondern textimmanent herzustellen. Daraus entsteht, wie bei Kafka, etwas Exemplarisches, das aber gerade dadurch, dass es auf kein konkretes Leben Bezug nimmt, von umfassender Bedeutung ist.

Ferdinand Schmalz hat schließlich den 41. Ingeborg-Bachmann-Preis gewonnen. Souverän und zurecht.