Run DMC, 1985

AP/SURIANI

Von den Bronx in die Charts

Hip-Hop and you don't stop

"Popmuseum"-Kurator Wolfgang Kos über die Anfänge von Hip-Hop.

Zu den letzten bedeutenden Handwerksberufen, die knapp vor der Digitalisierung aller Lebensbereiche erfunden wurden, gehört das DJing. In den 1970er Jahren wurde diese analoge Kulturtechnik von afroamerikanischen Teenagern für improvisierte Tanzpartys in derangierten Vierteln des New Yorker Stadtteils Bronx entwickelt, die damit eine musikgeschichtliche Lawine lostraten.

South Bronx, 1975

South Bronx, 1975

AP

Cutting, Scratching oder Phasing

Kids wie der Elektrolehrling Joseph Saddler alias Grandmaster Flash machten als Nichtmusiker bislang ungehörte neue Musik, setzten zu Turntables umfunktionierte Plattenspieler als Instrumente ein und nutzten auf Schallplatten gespeicherte Sounds als frei kombinierbaren Rohstoff. Mit Hand, Ellbogen und gelegentlich auch den Füßen traktierten sie die sich drehenden Vinylscheiben, trieben sie an, stoppten sie, sorgten mit Verschleifungen für noch nie gehörte Klangeindrücke.

Es entstanden Techniken wie Cutting, Scratching oder Phasing, die zugleich simpel und komplex, und wenige Jahre später weltumspannend im Handwerkszeug der DJs verankert waren und die Hörgewohnheiten grundsätzlich verändern sollten. Entscheidend war das Herausisolieren, Verlängern und Collagieren von kurzen Passagen (Breaks) aus groovenden Funkoder Disconummern, in denen der Rhythmus kurz freisteht. "Es dauerte lange", so Grandmaster Flash, "bis ich herausfand, wie man die Beats zusammenschließt und synchron schaltet."

Afrika Bambaataa, 2008

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Afrika Bambaataa, 2008

Bedeutung mit Verzögerung erkannt

Die Turntable-Artistik war ein integraler Bestandteil der Hip-Hop genannten Hybridkultur, zu der auch die Kunst der Sprayer, das Breakdancing und das als Rapping bezeichnete Sprechsingen gehörten. Es ist bemerkenswert, dass auch der nach dem Blues und dem Jazz dritte entscheidende afroamerikanische Beitrag zur Musikkultur des 20. Jahrhunderts an der Peripherie des Musikbetriebs entstand und in seiner epochalen Bedeutung erst mit jahrelanger Verzögerung erkannt wurde.

In New York kam das Staunen über die Scratcher zuerst in der experimentellen Kunst- und Musikszene an. Pioniere wie Afrika Bambaataa wurden in Rockclubs und Art Spaces eingeladen, in der "Village Voice" wurde über das dekonstruktive Potenzial des Klangzerstückelns und Remixens reflektiert.

"Plattenmanipulateure", keine Musiker

Auf Schallplatten gab es Hip-Hop erst in den frühen 1980er Jahren. Betreiber von kleinen Labels spürten zwar, dass sich Aufregendes tat, doch die Übertragung einer Livetechnik, deren Originalität nicht darauf beruhte, "eigene" Musikstücke zu erfinden, war tricky. Das rhythmische Grundmaterial unterschied sich nicht wesentlich von Funk und Disco, und die DJs waren eben "Plattenmanipulateure" und keine Musiker. Deshalb holte die Produzentin der ersten erfolgreichen Hip-Hop-Platte, "Rapper’s Delight", erfahrene Musiker ins Studio (keinen DJ) und gab der real nicht existierenden Truppe den Namen Sugarhill Gang.

Erst mit dem Transfer auf die Schallplatte rückten die Stimmen ins Zentrum, das Rappen von rhythmisch gehechelter Trümmerpoesie wurde zum wesentlichen Merkmal des Hip-Hops. Dank der Dominanz der Stimmen und neuen Remixtechniken - mit dem Producer als weiterer Inkarnation eines "musizierenden" Nichtmusikers - kam jene Bewegung in Gang, die aus einem Subkulturphänomen eine immer neu variierbare globale Leitmusik machen sollte, mit der sich begabte Gettokids zu Milliardären hocharbeiten konnten.

Viereinhalb Jahrzehnte nach Pionierhits wie "The Message" oder "Planet Rock" sei daran erinnert, dass damals niemand daran dachte, etwas Bleibendes entwickelt zu haben.