Elif Shafak

Kein & Aber

Kritikerin Erdogans

Elif Shafak eröffnet Literaturfestival Berlin

Gestern Abend wurde in Berlin das Internationale Literaturfestival eröffnet. Eröffnungsrednerin war die türkische Schriftstellerin Elif Shafak, von der Nobelpreisträger Orhan Pamuk einmal gesagt hat, sie sei die beste Autorin, die das Land in den 90ern hervorgebracht hat. Shafak, die heute in London lebt, gilt aber auch als vehemente Kritikerin der Erdogan-Regierung, was in ihrer gestrigen Rede mehrfach zum Ausdruck kam.

Morgenjournal, 7.9.2017

Wolfgang Popp

"Es gibt keine wohlwollende Diktatur"

Sie sei eine Nomadin, sagt Elif Shafak. Geboren in Straßburg als Tochter einer türkischen Diplomatin, hat sie in Jordanien, Deutschland, in den USA und immer wieder auch in der Türkei gelebt. Seit acht Jahren wohnt sie nun in London, kommt aber regelmäßig nach Istanbul und die Länder des Nahen Ostens, wo sie eine neue Form der Demokratieverdrossenheit bemerkt hat.

Elif Shafak: "Viele sagen, Demokratie ist eine westliche Erfindung, die vielleicht gar nicht unserer Mentalität und Tradition entspricht. Vielleicht brauchen wir viel eher einen starken Führer, sagen sie und verwenden dann Begriffe wie ‚autoritäre Demokratie‘ und sogar ‚wohlwollende Diktatur‘. Aber weder gibt es so etwas wie eine wohlwollende Diktatur, noch eine undemokratische Nation, die stabil ist."

Rückwärtsgang der Geschichte

Die jüngste Vergangenheit habe gezeigt, so Shafak weiter, das Demokratien fragile Ökosysteme sind, die gehegt und gepflegt werden müssen. Gerade in der Türkei konnte man beobachten, in welch verblüffender Geschwindigkeit eine Demokratie verschwinden und die Geschichte sich rückwärts bewegen kann. Trotzdem sei sie, so Shafak weiter, von der Stärke der türkischen Zivilgesellschaft überzeugt.

Was vielerorts fehle, sei hingegen Einigkeit: "Mich schmerzt die fehlende Solidarität innerhalb der Opposition. Da gibt es so viele Gerüchte, Ressentiments und Zersplitterung. Aber wenn Demokraten derart gespalten sind, ist der einzige Nutznießer der Status Quo."

Dazu kommt, dass zahlreiche kritische Stimmen ohne Verurteilung im Gefängnis sitzen. Die Türkei habe da jüngst einen traurigen Rekord aufgestellt, denn mittlerweile seien dort mehr Journalisten inhaftiert als in irgendeinem anderen Land der Welt. Mehr sogar als in China.

"EU steht für Erinnerung"

Während des Brexit-Referendums hat sich Shafak aber in London aufgehalten. Bei zahlreichen Diskussionen sei ihr dort aufgefallen, dass es fast ausschließlich um die finanziellen Folgen des EU-Ausstiegs gegangen sei. Als wäre die EU ein reines Wirtschaftsbündnis. Elif Shafak: "Die EU steht für mich in erster Linie für Erinnerung. Sie erinnert uns daran, wohin ein Stammesdenken führen kann, und dass wir diese Richtung nicht mehr einschlagen dürfen."

Elf Tage dauert das Internationale Literaturfestival Berlin. In den nächsten Tagen werden Autoren aus 58 Ländern auftreten, darunter Bestsellerautorinnen wie die Inderin Arundhati Roy und die Französin Yasmina Reza, aus Österreich sind etwa Robert Menasse oder Raul Schrott zu Gast in Berlin.

Service

Literaturfestival Berlin - bis 16. September 2017
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