Kazuo Ishiguro

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Literaturnobelpreis an Kazuo Ishiguro

Der diesjährige Nobelpreis für Literatur geht an den britischen Schriftsteller Kazuo Ishiguro, "der in seinen Romanen von großer emotionaler Kraft den Abgrund unter unserem trügerischen Gefühl der Verbundenheit mit der Welt aufdeckt", so die Begründung.

Die Nobelpreise sind nach einer Aufstockung der Dotation heuer mit neun Millionen Schwedischen Kronen (rund 940.000 Euro) dotiert. Übergeben wird der Preis alljährlich am 10. Dezember, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel. Im vergangenen Jahr hatte überraschend der Musiker Bob Dylan den Nobelpreis zuerkannt bekommen.


"Romane von großer emotionaler Kraft"

Die Schwedische Akademie vergab den Nobelpreis an Kazuo Ishiguro, "der in seinen Romanen von großer emotionaler Kraft den Abgrund unter unserem trügerischen Gefühl der Verbundenheit mit der Welt aufdeckt", so die Begründung. Ishiguro wurde am 8. November 1954 in Nagasaki geboren, seine Familie übersiedelte jedoch nach Großbritannien, als er fünf Jahre alt war.

Daniel Kehlmann im Interview

"Gerade weil Ishiguros Romane stilistisch so unauffällig daherkommen, können sie einen emotional unglaublich ergreifen." Daniel Kehlmann, Kulturjournal, 5.10.2017

Günter Kaindlstorfer

Bereits sein Romandebüt "Damals in Nagasaki" (1982, dt.: 1984) machte ihn auf einen Schlag berühmt. Für "Was vom Tage übrig blieb", sein wohl berühmtestes Buch über einen alternden Butler, bekam er 1989 den Booker-Preis. Die Horrorvision "Alles, was wir geben mussten" über als Organspender herangezogene Klone wurde unter anderem mit Keira Knightley und Sally Hawkins verfilmt. Ishiguros Werk umfasst acht Bücher, die in mehr als 40 Sprachen übersetzt und millionenfach verkauft wurden.

"Es gibt nur ein Kriterium …"

"… und zwar literarische Qualität", sagt die Vorsitzende des Nobelpreis-Komitees Sara Danius. Und ihr Kollege Horace Engdahl, Mitglied der Schwedischen Akademie seit 20 Jahren erklärt: "Es sollte eine Literatur von weltumspannender Bedeutung sein, eine Literatur, die auch außerhalb ihres Ursprungsmilieus funktioniert. Das heißt, sie soll geografische, kulturelle, sprachliche und zeitliche Distanz überwinden können."

Und so ist das Procedere: Den Sommer über lesen sich die Komitee-Mitglieder durch das Gesamtwerk von fünf - streng geheimen - Nobelpreiskandidaten und prüfen es im Hinblick auf die wenigen Kriterien, die Alfred Nobel in seinem Testament anno 1896 festgeschrieben hat. Der Preis soll für ein - wie es heißt - "in idealer Weise herausragendes Werk" verliehen werden - was allerdings ideal ist, lässt viele Deutungen zu.

"Grob vereinfacht war das in den ersten 20 Jahren erbauliche Literatur, und dann gab es eine Zeit, in der man Schriftsteller, die eine breite Leserschaft hatten, belohnte. Man vermied elitäre Literatur", erklärt Horace Engdahl. "Dann kam eine Periode, in der Schriftsteller für bahnbrechende Werke ausgezeichnet wurden, modernistische Literatur. Danach wurde der Preis geografisch internationaler. In den 1980er Jahren dominierten die großen Literatursprachen und in den 90ern gab es ein Interesse für Schriftsteller, die sich für vergessene Geschichte engagierten, wie etwa Günter Grass."

Kazuo Ishiguro mit einem Buch in der Hand

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Kazuo Ishiguro bei der Verleihung des Booker-Preises im Jahr 2005

Kazuo Ishiguro im Porträt

"Was vom Tage übrig blieb" stammt zwar aus dem Jahr 1989 und wurde im selben Jahr auch mit dem Booker Preis ausgezeichnet, ist aber wahrscheinlich bis heute das bekannteste Buch von Kazuo Ishiguro. Nicht zuletzt weil die Geschichte um einen Butler, der mit seiner Vergangenheit und seinen Gefühlen kämpft mit Emma Thompson und Anthony Hopkins verfilmt wurde. Der englische Butler, sagt Kazuo Ishiguro, stehe fast stereotypisch für einen steifen und scheinbar emotionslosen Menschen. Und so einen habe er gebraucht, weil es in dem Roman um die Unterdrückung von Gefühlen gehe.

Ortsgebundene Literatur

Kazuo Ishiguro schreibt lange, oft sehr lange an seinen Büchern. Fünf Jahre ist er über seinem vorletzten Roman "Alles, was wir geben mussten" gesessen, an seinem aktuellen, 2015 erschienen Titel "Der begrabene Riese" hat er sogar zehn Jahre gearbeitet. Der Grund dafür ist höchst ungewöhnlich. Kazuo Ishiguro: "Es ist verrückt, aber ich brauche solange für meine Romane, weil ich ewig nicht weiß, wo die Geschichte spielt, die ich erzählen will. Andere Schriftsteller wissen, sie möchten über den 2. Weltkrieg oder Vietnam erzählen und entwickeln dann dort ihre Geschichte. Bei mir gibt es zuerst die Figuren, ihre Emotionen und die Entwicklung, die sie gemeinsam durchmachen, ich weiß aber nicht, wo die Geschichte angesiedelt ist. Und ich muss dann wirklich wie ein Location Scout auf die Suche nach dem richtigen Ort und der richtigen Zeit für meine Geschichte gehen."

Der 2015 erschienene Roman "Der begrabene Riese" spielt in einem Land, das zwischen Historie und Fantasy liegt. Es gibt Angeln und Saxen, genauso aber auch Oger, Drachen und einen Ritter, der aus dem Sagenkreis rund um König Arthur stammt. Ein Ehepaar macht sich in dem Buch auf die Suche nach ihrem Sohn, zwischen ihnen und ihrem Kind liegt aber ein Nebel des Vergessens. Kazuo Ishiguro: "Es gibt oft einen seltsamen Umstand, den es aber unbedingt braucht, damit meine Geschichte funktioniert. Und hier benötigte ich ein Phänomen, das dafür sorgt, dass die gesamte Bewohnerschaft eines Landes von einem teilweisen Gedächtnisschwund betroffen wird. So etwas kann man in einem dystopischen Reich in der Zukunft durchspielen, ich fand aber den Gedanken verführerischer in eine Vergangenheit zwischen Mythos und Fantasy zurückzukehren."

Ein Tüftler

Dass Kazuo Ishiguro die Genregrenzen dabei leicht wie sein Drachen überfliegt, zeichnet seine Literatur aus. Darauf hat auch Daniel Kehlmann in seiner Lobeshymne auf den Roman aufmerksam gemacht. Auch Kazuo Ishiguro selbst hält sich nicht mit dem Nachdenken über irgendwelche Genres auf: "Ich bin wie ein Tüftler, der vor der Erfindung des Flugzeugs an einem Fluggerät bastelt. Ich kann und will nicht auf irgendwelche Prototypen zurückgreifen. Ich will nur, dass das Ding, an dem ich in meinem Hinterhof baue, fliegt."

Englisch als Quasi-Muttersprache

1954 ist Kazuo Ishiguro in Nagasaki geboren, bereits mit fünf Jahren ist er aber mit seinen Eltern nach England gezogen. Von Anfang an hat er auf Englisch geschrieben, ja Englisch sei überhaupt die einzige Sprache, in der schreiben könne, denn sein Japanisch reicht nicht einmal aus, um eine Zeitung zu lesen.

Braucht es auch nicht, denn sein Englisch halten viele und nicht nur die Schwedische Akademie für das eleganteste, das derzeit geschrieben wird.

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