AFP/PHILIPPE MERLE
Reportage
Opernhaus des Jahres - Ein Besuch in Lyon
Seit Jahren pilgern Opernfreunde und Kritiker aus nah und fern nach Lyon. Denn dort hat der Intendant Serge Dorny, der bei Gerard Mortier gelernt hat, etwas vollbracht, was so manche als Opernwunder bezeichnen. Er hat es geschafft, das Opernhaus, das einst von Jean Nouvel spektakulär umgebaut wurde, zum Zentrum der Diskussionen und der städtischen Aufmerksamkeit zu machen. Das Haus spricht alle Schichten der Gesellschaft an, und das Durchschnittsalter des Publikums konnte er radikal senken. Kein Wunder, dass Lyon vor kurzem von der Zeitschrift "Opernwelt" zum Opernhaus des Jahres gekürt wurde.
14. November 2017, 02:00
Intermezzo | 15 10 2017
Intendant Serge Dorny im Gespräch
Breakdance vor der Oper
Sie sind zum Markenzeichen geworden, diese jungen Leute meist mit migrantischem Hintergrund, die sich in der Vorhalle der Oper aufhalten, tanzen und singen, plaudern oder sich in den Glasflächen des Jean-Nouvel-Baues spiegeln. Sie haben sich den Platz erobert, und Serge Dorny hat ihnen das Haus auch innen geöffnet, weil er als Intendant die billigen Plätze noch billiger gemacht hat. Man kann für 5 Euro in die Oper gehen. - Die teureren Plätze hat der Intendant hingegen angehoben.
Kulturjournal | 12 10 2017
Stofleth
Jean Nouvels Bau
Die Oper von Lyon, ein Bau aus dem 19. Jahrhundert, steht gegenüber dem viel älteren Hotel de Ville, dem Rathaus, und von dort kommt auch das Geld. Man gibt mehr als 20 Prozent des Gesamtbudgets aus. Und die Stadtmitte, zwischen Rhone und Saone auf einer Insel gelegen, ist besonders stolz auf das Opernhaus, das Jean Nouvel vor mehr als zwanzig Jahren umgebaut und mit vielen Stöcken gleichsam schwarz überwölbt hat. Auch im Inneren dominiert Schwarz. Rolltreppen führen hinauf in das Parterre und an diesem Abend steht die Saisoneröffnung bevor, wie immer ungewöhnlich, mit Benjamin Brittens "War Requiem". Viele junge Menschen, Schulklassen mit schon im Foyer vermittelnden Lehrern sind zu sehen, aber auch die elegant gekleideten Bürger der alten, gemächlichen Handelsstadt.
Streik und demokratische Kultur
Allerdings ist heute Streik angesagt, wie so oft in diesen Tagen in Frankreich und ein Sprecher des Bühnenpersonals macht auf seine Unzufriedenheit mit den laufenden Tarifverhandlungen aufmerksam. Doch es wird applaudiert und auch Serge Dorny, der Intendant betritt die Bühne und lobt die demokratische Kultur des Hauses , das sei selbstverständlich und begrüßt den neuen Chefdirigenten, Daniele Rustioni, der herzlich willkommen geheißen wird.
Neuer Chefdirigent Daniele Rustioni
Der junge Mailänder hat schon einiges dirigiert in Lyon und er liebt die Begeisterung, die das Haus in der Stadt auslöst, sowie die Ausstrahlungskraft der Oper von Lyon. Das Gebäude und die Architektur Jean Nouvels stehen gleichnishaft für den Geist dieser Oper, so Rustioni, alte Tradition und neue Ideen und die Ernsthaftigkeit, Konzentriertheit, sowie die Nähe zum eigenen Publikum.
BLANDINE SOULAGE ROCCA
Brittens "War Requiem"
Das "War Requiem", das an diesem Abend aufgeführt wird, ist keine leichte Kost: eine Totenmesse, ein Requiem auf Latein - und Text des im Ersten Weltkrieg verstorbenen englischen Dichters Owen, als Mahnmal Brittens gegen den Krieg. In den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, mit Dietrich Fischer-Dieskau und Brittens Lebensgefährten Peter Pears uraufgeführt, mit drei Chören. Für Rustioni eine Gelegenheit, die ganze Vielfalt des Orchesters und des Chors von Lyon zu präsentieren.
Stofleth
Regisseur Yoshi Oida
Lyon hat kein festes Sängerensemble, die Künstler und Künstlerinnen werden für die jeweilige Produktion verpflichtet, dazu kommt bei "War Requiem" noch ein Kinderchor, den Yoshi Oida, der Regisseur, berührend frisch inszeniert. Der alte Japaner, langjähriger Star des Ensembles von Peter Brook, inszeniert minimalistisch, zeigt Rituale des Krieges, Verwundete lakonisch. Es sei keine Show, kein Unterhaltungstheater. Trotz des ernsten Grundtons des Abends, gerät das Auditorium nach der Premiere in frenetische Ekstase und Zustimmung. Was ist es nur, das Serge Dorny so richtig macht?
P. PIERANGELI
Serge Dorny
Ein glücklicher Intendant Serge Dorny
Serge Dorny hat in den letzten Jahren mit Regiearbeiten von Peter Stein oder Romeo Castellucci immer wieder für Aufsehen gesorgt, Uraufführung von John Adams oder Peter Eotvös ziehen auch Zuschauer aus anderen Städten und aus dem Ausland an. Grundsätzlich ist die Oper von Lyon heute ein Vorzeigeprojekt und Serge Dorny ist immer im Gespräch, wenn es um neue Intendanzen geht, auch zuletzt in Wien.
Gang nach Dresden unglücklich
Nur seinem Gang nach Dresden war kein Erfolg beschieden. Der machtbewusste Christian Thielemann wollte dort nicht gewisse Kompetenzen abgeben. Dorny blieb in Lyon, aber den Prozess gegen die Stadt Dresden, den hat er gewonnen. Und Thielemann ist für ihn immer noch einer der führenden Dirigenten unserer Zeit.