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Björks "Utopia": Aussichten aufs beginnende Matriarchat

Monatelang hat sie es auf allen sozialen Kanälen angekündigt, heute erscheint das neue Album "Utopia" der isländischen Singer-Songwriterin Björk, das erstmals auch mit virtuellen Währungen wie Bitcoin bezahlt werden kann - 14 Songs voll atmosphärischer Leichtigkeit und geballter Weiblichkeit.

Mittagsjournal | 24 11 2017

Judith Hoffmann

Beharrlich gegen das Erwachsenwerden

Es ist ja eigentlich beneidenswert: Kaum jemand im Musikbusiness (und schon gar nicht im realen Leben) hat es geschafft, sich dermaßen konsequent, beharrlich und erfolgreich gegen das Erwachsenwerden zu stellen, wie die mittlerweile 52-jährige Björk. Da sitzt sie, bunt bemalt und mit verschnörkelter Maske bei Interviews und PR-Terminen, kichert und knistert mit den mehreren Quadratmetern Tüll und Taft, die sie kunstvoll-exzentrisch einhüllen, und antwortet mit mädchenhafter Naivität und Aufrichtigkeit auf jede noch so eigenwillige Frage. Das muss man einmal schaffen.

Nach der Trauer die Utopie

Diese strahlende Fröhlichkeit musste sich Björk freilich in den letzten beiden Jahren erst wieder zurückerobern. Ihr letztes Album "Vulnicura", das die Trennung nach 13-jähriger Beziehung zum Thema hatte, präsentierte sie noch allerorts tränenüberströmt und niedergeschlagen, egal ob bei Interviews oder Konzerten. Doch wer einmal ganz unten war, schafft es irgendwann doch, aus der Tiefe aufzutauchen und findet zu neuer Leichtigkeit und Fluffigkeit, meint Björk und statuiert auf "Utopia" gleich ein atmosphärisches Exempel.

Es ist die Ausrufung eines anbrechenden Matriarchats, das alle verqueren männlichen Seilschaften und Missstände - "The fuckups of our fathers", wie es im Song "Tabula Rasa" heißt - hinter sich lässt. Björk prophezeit es in einer musikalischen Vielstimmigkeit aus elektronischen Klängen, Vogelgezwitscher und Harfe, Chor und zwölfköpfigem, rein weiblich besetztem Flötenorchester. Aus dieser weiblichen Klangfülle heraus stemmt sie sich mit der gewohnten stimmlichen Intensität in die Höhe.

Aus tiefster Seele gehaucht und gebrüllt

Es ist das charakteristische atmosphärische Wechselspiel zwischen in den Äther gehauchten und hinausgeschrienen Textpassagen, zwischen Nachhall und Widerhall, zwischen Mantra-artigen Wiederholungen und kafkaesken Klangexperimenten. Neu allerdings, und ein völliger Kontrast zum letzten Album "Vulnicura", ist eben die Leichtigkeit, mit der sich die isländische Ausnahmeerscheinung in den 14 Nummern präsentiert. "Die geheilte Wunde in der Brust hat sich in ein Tor verwandelt, aus dem ich Liebe empfange", heißt es etwa in "The Gate".

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Im Video dazu präsentiert sie sich elfengleich im schillernden Kostüm, das in einer überdimensionalen weißen Blüte mündet, flankiert von einem Paar koketter Flügel und maskiert mit verschlungenen Blüten und Blättern, die übers Gesicht ranken. Auf dem aktuellen Cover ziert eine zur Blüte aufgefächerte Vulva-Maske ihre Stirn. Kostüm, Maske und Person sind eins, wie überhaupt Björk nicht nur Singer-Songwriterin und schrille Bühnenfigur, sondern vielmehr ein Gesamtkunstwerk ist, auch abseits der öffentlichen Auftritte. 2015 widmete ihr das New Yorker MoMA eine Retrospektive.

Harmonisches Klanggefäß mit Sollbruchstellen

Ganz eitle Wonne ist allerdings auch dieses Album nicht, zwischendurch werden immer wieder auch vehemente Kampfansagen laut. Zum Beispiel in "Tabula Rasa", wenn Björk alle Frauen aufruft, nicht mehr länger als Opfer am Boden zu liegen, sondern aufzustehen, oder wenn sie in "Sue Me" (Klag mich) den Sorgerechtsstreit mit ihrem Ex-Freund um die gemeinsame Tochter thematisiert.

https://vimeo.com/236832231

Mit "Utopia" hat Björk nicht nur zurück zu sich selbst gefunden, sondern einmal mehr ein fein gemischtes, in sich stimmiges Album vorgelegt, das sich erst bei näherem Hinhören erschließt, dann aber umso eindringlicher und nachhaltiger.

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