Haruki Murakami

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Literatur

"Die Ermordung des Commendatore" von Haruki Murakami

Haruki Murakami gilt als "Popstar der japanischen Literatur", seine Werke verkaufen sich millionenfach in aller Welt, seine Fans, die sogenannten "Harukinisten" stehen halbe Nächte lang Schlange, um das jeweils neue Werk am Erstverkaufstag zu ergattern. Vier Jahre nach seinem letzten Roman erscheint heute der neueste Wurf des Starautors in deutscher Übersetzung: "Die Ermordung des Commendatore Band 1: Eine Idee erscheint". Ein waschechter Murakami.

Morgenjournal | 22 01 2018

Judith Hoffmann

"Wie eine ungelüftete Wohnung, die man wieder besucht, und wo die Aussicht immer noch dieselbe ist." Wolfgang Paterno

Kulturjournal | Diskussion

Über Murakamis neues Buch diskutieren die Japanologin und Übersetzerin Judith Brandner und Kulturkritiker Wolfgang Paterno mit Judith Hoffmann.

Einsamer Mittdreißiger, vom Abenteuer gepackt

Ein Künstler, Mitte 30, der seinen Lebensunterhalt mit Auftragsporträts bestreitet, wird jäh aus der Bahn geworfen, als ihn seine Frau nach sechsjähriger Ehe plötzlich verlässt. Er packt seine Sachen und mietet sich, nach mehrwöchigen ziellosen Autofahrten durch unterschiedliche Regionen, in das Landhaus des betagten, dementen Künstlers Tomohiko Amada ein.

Hier findet er auch Amadas titelgebendes Bild "Die Ermordung des Commendatore", gut verpackt und versteckt auf dem Dachboden. Der Fund zieht eine Reihe magischer Vorkommnisse nach sich und schon steckt man wieder tief drin in der Erzählwelt des Haruki Murakami mit ihren steten Grenzüberschreitungen zwischen Realismus und Fantastik.

Gemächlicher Plauderton auf knapp 500 Seiten

Die verzweigten Erzählstränge des Romans werden gemächlich eingeführt und die Fäden oft 20 bis 30 Seiten lang nicht weitergesponnen: Da ist die verhängnisvolle Verwicklung des Künstlers Amada in ein Attentat auf einen Nazi-Funktionär während seiner Studienzeit in Wien, dort taucht ein mysteriöser neuer Auftraggeber namens Menshiki auf, der sich für eine exorbitante Summe vom Protagonisten porträtieren lassen will, und schließlich manifestiert sich auch noch die Erkenntnis, dass eine Idee fähig ist, Gestalt anzunehmen - im konkreten Fall die des Commendatore aus Mozarts Oper "Don Giovanni" und aus Amadas Bild - und mit dem Künstler Zwiesprache zu halten.

Nach zwei Romanen in der dritten Person wechselt Murakami diesmal wieder in die Ich-Perspektive und er lässt seinen namenlosen Ich-Erzähler ungefiltert drauflos plaudern. Zahlreiche Redundanzen und ausschweifende, detailverliebte Schilderungen markieren die Sprache des neuen Romans.

Ich befand mich in vielfacher Hinsicht in einem Ausnahmezustand, den ich erlebte wie ein Schwimmer, der bei ruhiger See unversehens in einen reißenden Strudel gerät

Ohne nennenswerte eigene Interessen und Vorlieben ausgestattet, greift der Protagonist die Lebensentwürfe und Ideen seiner Mitmenschen auf, die Plattensammlung des alten Künstlers Amada genauso wie die Lebensanschauung seines neuen Mäzens Menshiki. "Er ist gewissermaßen ein Mann ohne Eigenschaften, der das Geschehen um sich herum aufgreift und in seiner Kunst verarbeitet", sagt dazu die Übersetzerin Ursula Gräfe.

Traue keinem im Murakami-Universum

Vielschichtig und undurchsichtig sind wie immer die Figuren gezeichnet. Es sind wenig vertrauenswürdige Gestalten, die den Ich-Erzähler umgeben und zu vereinnahmen versuchen. Es gelingt Murakami auf verblüffende Weise, den Argwohn seiner Leserschaft ihnen gegenüber zu hegen und Seite für Seite zu nähren.

Bücherstapel

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Verkaufsvorbereitungen in einer japanischen Buchhandlung

Marketingmasche und Millionengeschäft

Beide Bände des Originals erschienen im Februar 2017 und lösten in Japan den längst zur Gewohnheit gewordenen Murakami-Hype aus. Wie immer gab es vorab keinerlei Informationen zum Inhalt und trotzdem war wohlweislich schon vor Verkaufsbeginn die zweite Auflage vorbereitet. Über eine Million Exemplare gingen in den ersten Wochen über die Ladentische, und auch die internationalen Verkaufszahlen dürften wieder vielversprechend sein.

Warum der Starautor eine derart große weltweite Fangemeinde hat? "Er spricht wohl ein gewisses Lebensgefühl an, in dem sich viele Menschen wiederfinden. Dieser junge Mann, dessen Beziehung zerbricht, der trotzdem ein gutes, wenn auch etwas leeres Leben führt, und der plötzlich eine Reihe unerwarteter, spannender Dinge erlebt, das spricht viele Leser an", sagt Ursula Gräfe, die seit 2001 alle Werke des Autors ins Deutsche übersetzt hat.

Wo Murakami draufsteht, ist Murakami drin

Der zweite Band des umfangreichen Erzählwerks mit dem Untertitel "Eine Metapher wandelt sich" ist für Mitte April angekündigt, doch schon die Lektüre des ersten Teils offenbart: Wo Murakami draufsteht, ist auch Murakami drin. Wer den Autor verehrt, wird auch diesen Roman lieben, wer ihm skeptisch gegenübersteht, sollte vielleicht doch auf eine andere Frühjahrsneuerscheinung zurückgreifen.

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Haruki Murakami, "Die Ermordung des Commendatore Band 1. Eine Idee erscheint", DuMont

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