Michael Köhlmeier

HASLINGER

M. Köhlmeier und P. Klein über "March Movie"

Radio ist wie das Café Demel

Interview mit Michael Köhlmeier und Peter Klein. Beilage zur "Wiener Zeitung", Januar 1986

Peter Klein

Peter Klein

HASLINGER

Peter Klein und Michael Köhlmeier, Sie haben seit 1983 gemeinsam Hörspiele produziert, wenigstens vier davon in einer besonderen Machart. Das waren "March Movie", "Das weiße Haus in Casablanca", "Hörspiel Hörspiel" und zuletzt "Konrad". Was ist das Besondere an der Machart dieser Hörspiele?

Peter Klein: Ich muss vorrausschicken, dass wir uns über die Arbeit kennengelernt haben. Allerdings nicht über die Arbeit an Hörspielen. Wir arbeiteten und arbeiten immer noch zusammen mit anderen als freie Mitarbeiter der Kulturredaktion des ORF-Studios in Dornbirn. Da gibt es seit mehreren Jahren eine Art Wochenendbeilage, "Das Hörfenster". Das ist wichtig, denn die Dramaturgie des "Hörfensters" - in dieser Sendung werden alle möglichen Themen behandelt, vom Theaterbeitrag bis zum Waldsterben - ja, und die Dramaturgie des "Hörfensters" hat unser erstes gemeinsames Hörspiel "March Movie" beeinflusst.

"March Movie" hat die Dramaturgie einer Reportage, sehe ich das richtig?

Michael Köhlmeier: "March Movie" ist eine Reportage. Diese Reportage hat nichts Außergewöhnliches an sich. Der Gegenstand der Reportage, die Story ist außergewöhnlich. Bei einem Blasmusikfest verschwindet eine ganze Blaskapelle, Jahre später findet ein Mann die Verschollenen, inzwischen sind sie winzig klein und leben unter einem Stein. Ein Reporter geht der Sache nach. Würde so eine Sache in der Wirklichkeit passieren, würden wir in der "Hörfenster"-Redaktion der Sache nachgehen - in der gleichen Weise wie der Reporter in "March Movie" - ihn spielt übrigens der Peter.

Michael Köhlmeier, Sie haben vorher ja eine ganze Reihe von Hörspielen geschrieben. Was war an "March Movie" neu?

Michael Köhlmeier: Viele Hörer, die uns nach "March Movie" geschrieben haben, haben gemeint, es habe sich tatsächlich um eine Reportage gehandelt.

Und warum das Ganze, warum kein Text, keine Schauspieler?

Michael Köhlmeier: Bei den meisten Hörspielen ist es so: Du schaltest das Radio ein, hörst fünf Sekunden hin und weißt, aha, Hörspiel - ob gut, ob schlecht, sofort wird es im Hirnkasten unter Hörspiel abgeheftet. Beim Feature zum Beispiel ist es anders.

Peter Klein, Sie kommen vom Feature …

Peter Klein: Hörspiel war ja ursprünglich Adaption von Theater im Hörfunk - ist es heute natürlich längst nicht mehr. Das Feature hingegen ist eine originäre Hörfunkerfindung, seine Dramaturgie ist aus dem Medium entwickelt. Ein Schuss Feature, haben wir gedacht, würde dem Hörspiel auch gut tun.

"Wie der Dichter mit den Worten in seinem Kopf arbeitet, so arbeiten wir mit den Worten auf dem Tonband." Peter Klein


Mit Original-Ton wurde ja auch schon vorher im Hörspiel gearbeitet. Das sogenannte O-Ton-Hörspiel in den Sechziger- und Siebzigerjahren …

Peter Klein: Bei einem Feature läuft das so ab: Man hat ein Thema, das einen packt, und mehr vorerst eigentlich nicht. Und dann zieht man mit dem Tonbandgerät los und holt sich zwanzig Bänder á eine halbe Stunde Material zu diesem Thema, Interviews, Geräusche, Dokumente und so weiter. Und dann hockt man sich an den Schneidetisch und baut die Geschichte …

Michael Köhlmeier: Ja und so haben wir es auch mit den Hörspielen gemacht …

Ist das nicht umständlich? Ich meine, wenn Sie den Text aufschreiben würden, und die Laien würden ihn lesen, dann müssen Sie nicht mehr aussuchen …

Michael Köhlmeier: Dann würde das ganze nach Laientheater klingen. Das Authentische kommt ja gerade dadurch zustande, dass die Leute ihre eigene Sprache sprechen … Und da muss man auswählen, was am besten war. Manche Passagen haben wir zwanzig-, dreißigmal gemacht.

Peter Klein: Und dann kommt es vor, dass wir beim Abhören am Schneidetisch draufkommen, dass der erste Teil des Statements am besten in der dritten Version steht, der zweite Teil in der achten Version und so weiter. Dann wird die Szene am Schneidetisch gebaut. In der Regel sind die Aufnahmen zu lang. Wie der Dichter mit den Worten in seinem Kopf arbeitet, so arbeiten wir mit den Worten auf dem Tonband.

"Auf die Musik kann man sich verlassen. Sie haucht dem Wort Seele ein." Michael Köhlmeier

Sie schneiden Ihre Bänder selbst?

Michael Köhlmeier: Immer. Der Schnitt ist nach den Aufnahmen und der Regiearbeit, die dabei nötig ist, der wichtigste dramaturgische Schritt. Das "nach" ist dabei keine Wertigkeit, sondern zeigt nur die chronologische Reihenfolge an.

Dann wird also das Bandmaterial zurechtgeschnitten …

Michael Köhlmeier: Schneiden tut der Peter … jeder Teil wird auf einen eigenen Bobby gewickelt …
Peter Klein: Und dann überlegen wir die Montage …

Die Montage wird dann im Studio gemacht, mit einem Tonmeister?

Peter Klein: Ja, das macht dann die Seele des Hörspiels aus. Da spielt die Musik eine große Rolle und die Geräusche …

Michael Köhlmeier: Der O-Ton allein klingt manchmal furchtbar trocken. Aber auf die Musik kann man sich verlassen. Sie haucht dem Wort Seele ein.

"Die Musik sollte die Traurigkeit dessen in sich tragen, der sich vom Menschsein verabschiedet." Peter Klein

Sie arbeiten auch mit Komponisten zusammen.

Peter Klein: Nehmen wir zwei Beispiele, "March Movie" und "Hörspiel Hörspiel". Bei "March Movie" spielte die Musik eine Hauptrolle. Es ging um die verschollene Blasmusik. Die Musik war die einzige Möglichkeit, diese Blasmusik sprechen zu lassen. Dabei gab es verschiedene Probleme. Erstens: Es sollte ein Marsch gespielt werden aus der Zeit, als die Blaskapelle noch voll da war. Zweitens: Wir brauchten einen Marsch, den die auf Daumengröße zusammengeschrumpfte Kapelle spielte. Drittens: Zum Schluss geht die Kapelle in den Waldboden über und spielt dabei einen Abschiedsmarsch. Alle drei Märsche sollten als Musik ein- und derselben Kapelle zu erkennen sein. Und die Musik sollte die Traurigkeit dessen in sich tragen, der sich vom Menschsein verabschiedet.

Michael Köhlmeier: Das war die Aufgabe, die wir dem Komponisten Gerold Amann gestellt haben. Gerold Amann ist ein Genie, das muss man wissen. Was hat er gemacht? Er hat mit dem Tonband einen quietschenden Fensterflügel aufgenommen, hat ihn drei- oder viermal verlangsamt, bis die sonst unhörbaren Obertöne ihre Melodie preisgegeben haben, hat zu dieser Melodie einen Marsch komponiert, hat diesen Marsch von einer Dorfblaskapelle spielen lassen, und dann haben wir im Studio den Fensterflügel darübergelegt. Das Ergebnis hat uns vom Stuhl gehauen.

Und was war bei "Hörspiel Hörspiel"?

Peter Klein: Wir, der Michael und ich, sind bei den Hörspieltagen in Schloßhofen eingeladen worden, einen Vortrag zu halten über die Art und Weise, wie wir Hörspiele machen. Da haben wir gedacht, wir machen lieber ein Hörspiel über die Art und Wiese, wie wir Hörspiele machen.

Sie haben eine feste Truppe, mit der gemeinsam Sie diese Hörspiele machen?

Peter Klein: Eine feste Truppe ist übertrieben. Es kommen immer wieder neue Leute dazu. Hubert Dragaschnig ist immer dabei, als Schauspieler wie auch als Mitautor. Er hat die Hauptrolle in "March Movie" gespielt und auch in "Konrad". "Konrad" war das bisher letzte Hörspiel.

"Fernsehen ist wie McDonald's. Radio ist wie das Café Demel. Wir sitzen lieber im Demel als im McDonald's."

Michael Köhlmeier: "Konrad" war mit Abstand die schwierigste und auch aufwendigste Produktion. Wir haben zwar weitgehend mit der alten Truppe gearbeitet - mit Hubert Dragaschnig und Gerty Sedermayer als Sängerin -, wir hatten diesmal keinen Erzähler, keinen Reporter wie bei "March Movie". Ein Erzähler erleichtert vieles. Die Geschichte von "Konrad" wurde kollektiv erzählt. Jeder Beteiligte hat den Anteil erzählt, den er an der Geschichte hat. Das ist schwieriger, als es klingt.

Peter Klein: Dennoch ist "Konrad" in Zusammenhang mit "March Movie" zu sehen. Inhaltlich. Konrad ist ein Riese, den es nicht gibt, dem die Menschen nachrennen. "Konrad" ist der zweite Teil einer geplanten Trilogie der Macht.
Michael Köhlmeier: Der dritte Teil steht noch aus. Man wird sehen.

Was fasziniert Sie am Radio?

Michael Köhlmeier: Radio ist exklusiv, vornehm. Es liegt zur Hälfte im Kopf, im Kopf der Hörer, im Kopf der Produzenten.
Peter Klein: Fernsehen ist meistens wie Neckermann, wie McDonald's.
Michael Köhlmeier: Radio ist wie das Café Demel.
Peter Klein: Wir sitzen lieber im Demel als im McDonald's.