Wilm Hosenfeld mit Familie (c) PRIVAT
Hörbilder
"Wenn wir überleben"
Der jüdische Pianist Wladyslaw Szpilman und der deutsche Wehrmachtsoffizier Wilm Hosenfeld. Ein Feature von Renate Maurer.
18. April 2018, 10:35
Erst ganz am Ende des Krieges, im November 1944, sind sie sich in den Trümmern Warschaus in einem ausgebrannten Haus begegnet. Der eine, ein Gejagter: Wladyslaw Szpilman, Jude und Pianist. Der andere, einer, der kein Jäger mehr sein will: Wilm Hosenfeld, Stabsoffizier der Wehrmachts-Kommandantur. Er führt den Halbverhungerten an ein Klavier. "Bitte spielen Sie etwas". Und Szpilman spielt - Chopins "Nocturne Cis-Moll". "Und nachher hat er mir gebracht Brot, eine Decke, einen Mantel, es war so kalt, 28 Grad Frost", so erzählt der Pianist im Feature. Der deutsche Offizier versorgt ihn mit Nahrung, mit Wärme, mit Hoffnung vor allem. Die Russen stünden schon am anderen Ufer der Weichsel. "Halten Sie durch! Sie müssen durchhalten!"
ORF/DEGETO
Szpilman überlebt mit Hilfe von Hosenfeld. Es ist nicht sein erstes Überlebenswunder während der deutschen Besatzungsherrschaft, aber sein beeindruckendstes. Beide Männer haben ihre Kriegerlebnisse und das große Sterben in Warschau in Tagebuchaufzeichnungen und Briefen dokumentiert - zur gleichen Zeit und am gleichen Ort.
Wilm Hosenfeld, geboren 1895, begeisterter Dorfschullehrer und Vater von fünf Kindern in Thalau bei Fulda, ist mit 44 schon zu alt für die Front. Er leistet "Etappendienst" in Polen, steigt in Warschau zum Offizier eines Wachbataillons und Leiter der Wehrmachts-Sportschule auf. Trotz seiner Bewunderung für das militärische "Genie Adolf Hitler" kommt er mit dem ideologischen Kurs des NS-Regimes schon früh in Konflikt. Er ist gläubiger Katholik und ein eigenständiger Denker. Als er von der planmäßigen Ermordung der Juden erfährt, schreibt er fassungslos: "... das ist eine so entsetzliche Blutschuld, daß man vor Scham in den Boden sinken möchte."
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Wladyslaw und Halina Szpilman
Wladyslaw Szpilman, Jahrgang 1911, schon vor dem Krieg in Warschau ein gefragter Rundfunk-und Konzertpianist wie Komponist, stürzt sich sofort nach der Befreiung wieder in die Musik. Bei Radio Polski kann er seine Karriere fortsetzen. 1946 erscheinen seine Erinnerungen, "Smierc Miasta", "Tod einer Stadt", aufgeschrieben vom angesehenen Musikkritiker und Feuilletonisten Jerzy Waldorff. Dort ist der Offizier und Retter Szpilmans erstaunlicherweise Österreicher. "Ich hab geschrieben, dass er ein Österreicher war, weil ich nicht sagen konnte, dass er in Wirklichkeit ein Deutscher war. Kein Deutscher durfte nach diesem schrecklichen Krieg gut sein. Und so hab ich geschrieben, dass er ein österreichischer Offizier war." Erzählt Szpilman im Interview.
Erst in den 1950er Jahren erfährt Szpilman den Namen seines Retters und versucht ihm, der nun selbst in Gefangenschaft geraten ist, zu helfen. Vergeblich. Wilm Hosenfeld wird von einem Militärtribunal in Minsk als Kriegsverbrecher zu 25 Jahren Zwangsarbeit verurteilt. Er stirbt 1952 in einem Lager bei Stalingrad. Der Pianist besucht die Frau und Kinder Hosenfelds in Thalau, die beiden Familien bleiben in Kontakt. Beide werden die Schmerzen der Vergangenheit nie wirklich los.
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Im Feature kommen Halina Szpilman, die Frau des Pianisten, und Jorinde Hosenfeld, die Tochter des Offiziers, zu Wort. Zu hören ist auch Wladyslaw Szpilman selbst, der 1999 in einem langen Interview ein Jahr vor seinem Tod noch einmal Einblicke in sein Innerstes gegeben hat.
Text: Renate Maurer
Literatur:
Hermann Vinke, Ich sehe immer den Menschen vor mir, Das Leben des deutschen Offiziers Wilm Hosenfeld, eine Biographie, Arche Verlag
Hiob 43 - Ein Requiem für das Warschauer Ghetto, ausgewählt und herausgegeben von Karin Wolff, 1983, Neukirchner Verlag
Wladyslaw Szpilman, Der Pianist - Mein wunderbares Überleben. Aus dem Polnischen von Karin Wolff, List Verlag, mit einem Vorwort von Andrzej Szpilman.
Wilm Hosenfeld, Ich versuche jeden zu retten - Das Leben eines deutschen Offiziers in Briefen und Tagebüchern. Im Auftrag des Militärgeschichtlichen Forschungsamtes, herausgegeben vonThomas Vogel, Deutsche Verlags-Anstalt, München.