Axel Corti 1985

ORF

Auszüge aus "Menschenbilder" mit Axel Corti, 25.10.1992

Ein Gespräch zu später Stunde, aufgenommen in der Wohnung von Axel Corti in Wien, Döbling. Corti, seit vielen Jahren verheiratet und Vater dreier Söhne, sucht eine ruhige Ecke. Zeitungen und Manuskripte werden zur Seite geschoben, eine Lampe wird angeknipst, ein Glas Wein steht bereit.

Mikrofonstimme

Axel Corti: Mir hat man ja immer gesagt: "Ich weiß nicht, ob du dich für den Rundfunk eignen wirst. Da muss man so etwas haben, das nennt man eine Mikrofonstimme." Und ich wusste nicht, was das war. "Das kann man nicht lernen, das muss sich erst herausstellen in einem Test, ob du eine Mikrofonstimme hast." Das war eine Hürde. Ich hatte keine Ahnung: Wie hat man oder kriegt man eine "Mikrofonstimme"? Später stellte sich heraus, dass ich offensichtlich eine hatte.

Er hat eine Mikrofonstimme. Kein Zweifel. In den frühen 50er Jahren durfte der Schauspielschüler Axel Corti erstmals vors Mikrophon. Im Landesstudio Tirol des ORF war er als Nachrichtensprecher tätig. Seit 1968 ist seine Stimme Woche für Woche zu hören; im "Schalldämpfer", jenem Radiofeuilleton, mit dem so manche Radiohörerinnen und -hörer groß geworden sind.

Axel Corti: Es ist so eine Art Kassiber, den ich unter die Leute schmuggle. Und es ist eine Herausforderung, die ich nicht missen möchte. Ich will Geschichten erzählen. Geschichten, die mich etwas angehen, die mich berühren, an die ich glauben kann.

Der Mythos vom Schwierigen …

Axel Corti: Ich habe oft erlebt, dass Leute Angst vor mir hatten, bevor sie mich kennenlernten. Ich kenne nicht einen Schauspieler, der gut ist - das klingt jetzt sehr hochnäsig -, der nicht gerne mit mir wieder an einem Film gearbeitet hat. Man muss das Wesentliche vom Unwesentlichen unterscheiden können. Das ist Handwerk, auch wenn es Leute gibt, die mich deswegen für schwierig halten.

… und der Mythos vom rastlosen Arbeiter?

Axel Corti: Ich bin sehr faul und fleißig gleichzeitig. Ich mache viele Sachen, aber mir kommt es nicht so viel vor. Ich quäle mich da immer wieder kurz, habe Verantwortungsschübe. Und danach denke ich mir immer wieder - und das gelingt mir jetzt manchmal -, Dinge leichter zu machen. Nicht leichter im Ergebnis, aber im Schreiben selbst. Das heißt wirklich nicht schludrig, das meine ich damit nicht - leichter Gespräche zu führen, weniger zu erwarten und sich zu freuen, dass da unter Umständen sogar mehr kommt.

Kindheit

1933 wird Axel Corti in Paris geboren. Die Eltern waren nur fünf Jahre zuvor nach Frankreich gekommen. Zu Hause, innerhalb der Familie, wird Deutsch gesprochen. Die Mutter ist Berlinerin mit weit zurückliegenden polnischen Vorfahren. Der Vater ist ein Altösterreicher, dessen Stammbaum sich bis nach Triest zurückverfolgen lässt. Die Kindheitsjahre in Frankreich sind für Axel Corti zurückblickend sehr glückliche Jahre.

Axel Corti: Meine frühesten Erinnerungen haben mit Gerüchen und Geräuschen zu tun. Es gibt den Geruch eines Waldes, in dem Buchen und Ulmen eines Parks wuchsen, der direkt hinter unserem Haus, hinter einer Mauer begann, der Park von Saint-Louis. Wir wohnten in einem hübschen Haus der Jahrhundertwende, mit Holzbalkon. Der Geruch dieses Gartens, der Geruch von Stachelbeeren, der mir eklig und gleichzeitig in einer fast eigenartigen Weise anziehend war …

Ich wusste, dass man Stachelbeeren grün nie essen soll. Ich habe Stachelbeeren nie sehr gemocht und habe sie doch in mich hineingestopft, als ganz kleines Kind. An diesen Geruch erinnere ich mich, der dann natürlich auch mit Strafe verbunden war: erstens die Strafe des Durchfalls, zweitens die Strafe der Eltern. Ich erinnere mich an ganz starke Gewitter, die manchmal dort waren, auf diesen Hügeln, und unser Kinderzimmer war unter‘m Giebel. Ich hatte furchtbare Angst vor diesen Gewittern, als ganz kleines Kind.


In seiner Wiener Wohnung hat Axel Corti ein weißes Holzpferd stehen, ein Pferd von jenem Karussell, auf dem er als Kind in Paris oft und oft gefahren ist. Heute sind die Pferde dort aus Plastik. Viele Kindheitserinnerungen werden im Erzählen lebendig. Fahrten durch Paris mit der Métro; der Besuch eines Malerateliers, in welches der kleine Junge vom Hausmädchen mitgenommen wird; das in die Wange Zwicken vor dem Haus der Eltern, damit diese glauben sollten, man wäre viel an der frischen Luft gewesen; oder das Parfum der Mutter, an das sich Axel Corti bis heute erinnern kann. "Tausend Blumen" hieß es, "mille fleurs". Oder Erinnerungen an den Vater, der Kaufmann war:

Axel Corti: Mein Vater hat dem französischen Staat Lokomotiven verkauft, Dampflokomotiven. Das war sehr toll: Ich hatte einen Vater, der mir am Bahnhof etwas erklären konnte. Er war zwar kein Techniker, doch er konnte mir erklären. Damals ging man immer zur Lokomotive vor, das war einfach ein tolles Tier, mit diesen roten Rädern, und roch so eigenartig und wild … Und mein Vater konnte mir erklären. Das konnten nicht viele Väter.

Krieg

Fünf Jahre war Axel Corti alt, als der Zweite Weltkrieg begann. Kinder aus deutschsprachigen Familien wurden in Paris in die deutsche Schule geschickt.

Axel Corti: Für mich war das sehr befremdlich, alle meine Freunde sprachen Französisch, nur zu Hause sprachen wir Deutsch, und plötzlich war alles ganz anders. Eines Tages während einer Unterrichtstunde, da war ich acht oder neun, war eine ungeheure Detonation vor der Schule. Wir mussten uns versammeln. Und da hieß es, wir dürften nicht hinausgehen, weil draußen eine Bombe explodiert sei, die nicht der Schule galt, sondern einem hohen deutschen General, der dort vorbeigefahren war auf dem Weg zu einem der vielen Hauptquartiere.

Und als die Schule zu Ende war, habe ich den Krieg zum ersten Mal direkt erlebt, beziehungsweise seine Auswirkungen: ein zerfetzter riesiger Mercedeswagen, eine riesige Blutlache und ein zerstörter großer, schwerer Baum. Die Toten waren natürlich schon weg. Und da war der Begriff des Maquis, der Widerstand - da habe ich zum ersten Mal gehört, dass es so etwas gab.

In der Schule waren sie immer so stolz. Am Montag wurde ein Appell gemacht, da wurde die Fahne aufgezogen, gegenüber von meinem Karussell. Das kam mir so fremd vor. Da mussten wir stehen und "Deutschland, Deutschland" singen. Das war so etwas wie bei anderen das Schulgebet.

Dann gingen wir in die Klasse, und die Lehrer waren immer so stolz. Bei uns zuhause war das anders. Ich hörte in schwerer Bedrückung die Sondermeldungen, fragte aber meinen Vater trotzdem: "Warum freust du dich nicht?" Er hat mich angesehen: "Ich werde dir das schon mal erzählen." Die politische Situation kannst du einem Neunjährigen nicht erklären, das wäre lebensgefährlich.


1943 bringt der Vater die Familie in der Schweiz in Sicherheit. Mit dem Verlassen Frankreichs, dem Weggang aus der vertrauten Umgebung beginnt eine neue, schwere Zeit für die Familie. Axel Corti ist zehn Jahre alt.

Axel Corti: Es war ein Bruch. Ein wichtiger Teil meiner Kindheit, der glückliche, idyllische, war damit endgültig vorbei. Und ab dann waren wir Kinder in der Schweiz. Und mein Vater ging wieder zurück. Er war in der Widerstandsbewegung und ist 1945 noch ganz kurz vor Kriegsende eines höchst unnatürlichen Todes gestorben. Deshalb bin ich so sensibel auf alles, was mit Flucht und Aufgenommen werden und Ausgestoßen werden zu tun hat, wirklich sehr sensibel … Ich will darüber nicht viel reden.

Es ging uns Kindern und meiner Mutter unverhältnismäßig gut. Ich meine, es ging uns an und für sich nicht gut, aber im Vergleich zu vielen anderen. Meinem Vater gelang es, im letzten Moment noch in die Schweiz zu entkommen. Dort wurde er den Deutschen nochmals ausgeliefert. Das weiß man … dieses Ausgewiesenwerden in eine todsichere Situation.

Ich habe das natürlich viel später erst erfahren. Wir Kinder wussten ja von all diesen Dingen und Zusammenhängen nichts, und meine Mutter wusste auch vieles nicht. Sie hat viele Jahre später so manches erfahren.

Talent

Nach dem Zweiten Weltkrieg geht Axel Corti nach Innsbruck. Er besucht die Arbeiterschule, arbeitet nebenbei als Journalist für eine Zeitung. Er lernt die Schauspielerin Traute Foresti kennen, die in einem kleinen Schauspielstudio eine Gruppe von Schauspielschülerinnen und -Schülern um sich versammelt hat. Szenische Lesungen werden aufgeführt. Beim Radio wird man auf die jungen, talentierten Schauspieler aufmerksam. Corti wird als Nachrichtensprecher eingesetzt, seine "Mikrofonstimme" kommt gut an, er darf regelmäßig für den Sender arbeiten.

Axel Corti: Das hing damit zusammen, dass ein sehr bekannter und guter Sprecher, Dietmar Schönherr - der war damals in Tirol - wegging, und da brauchten sie einen. Und offensichtlich dachten sie, ich würde das können. Da habe ich begonnen. Und ich war sehr populär innerhalb des Senders: Ich übernahm immer die Frühdienste, weil ich am Abend in die Schule gehen musste, was man im Sender nicht wissen sollte. Den Frühdienst macht ja keiner gern, ich habe den immer gemacht.

Ernst Grissemann kam etwas später. Wir hatten ja keine Autos, und damit wir in der Früh um halbsechs da waren, schliefen wir im Studio. Da habe ich alles gemacht, was man mit der Zeit im Radio so machen kann, außer Musik. Und beim Regieführen habe ich gemerkt, dass mir das besonderen Spaß macht. Und irgendwie hatte ich den Eindruck, dass ich das auch kann.

Ansprüche

Axel Corti: Je älter man wird, desto qualvoller sind die Entscheidungen, was du machst und vor allen Dingen: ob du es überhaupt machst, weil die Ansprüche an dich selber - unbewusst und bewusst - mehr und mehr steigen. Man entschließt sich zu vielem nicht mehr so unbefangen, sondern man sieht immerzu: Wo sind die Schwierigkeiten? Wo ist das fast nicht Machbare? Wie macht man aus dem fast nicht Machbaren doch etwas, ohne dass es ein Krampf ist …

Ich weiß nicht, ob das mit dem Erwachsenwerden zu tun hat; ich weiß nicht ob es damit zu tun hat, dass man einfach mehr und mehr bessere Sachen kennt. Ich war nie interessiert, vieles zu machen. Ich habe immer versucht, das, was man so schön Lebensstandard nennt, auf einem bescheidenen Level zu halten.

Unruhige Ruhe

Ob als Moderator des "Club 2", als Verfasser des legendären "Schalldämpfer", ob als Lehrer an der Wiener Filmhochschule oder als Regisseur für Oper, Theater und Film: Axel Corti hat bei all dem Erfolg immer noch das Gefühl, dass da noch sehr viel zu lernen sei.

Axel Corti: Ich werde immer zögerlicher, immer vorsichtiger, ich umkreise ein Thema. Ich habe Angst, mich darauf einzulassen, denn wenn du dich einlässt, musst du es ganz machen. Wenn du wahr sein willst, musst du genau sein. Ein Warten, Beobachten, Registrieren, Auswählen. Wie geht es weiter? Was kommt als nächstes?

Ich wollte immer alles ausprobieren, um zu sehen, wie es geht. Irgendwann muss man auch mal - von einem positiven Standpunkt aus, von einem besonnten Standpunkt aus - sagen können, lass fahren hin. Das habe ich sehr spät gelernt und kann es heute noch nicht leicht, das konnte ich im Theater viele Jahre überhaupt nicht. Ich habe mir immer gedacht, da kann man noch irgendwo einen Nagel einschlagen oder noch ein Segel aufziehen …

Zufrieden bin ich mit der Arbeit mit anderen: Wenn ich zum Beispiel manchmal meine eigenen Filme zu sehen gezwungen bin, dann bin ich glücklich über das, was einer gemacht hat, eine toller Arbeit eines Kameramanns, eine wunderbare Arbeit eines Schauspielers, der mit mir zusammengearbeitet hat, da bin ich glücklich. Doch ich denke mir nie: Das hast du gut gemacht.


Gestaltung: Heinz Janisch
Redaktion: Hubert Gaisbauer