ARCHITEKTURZENTRUM WIEN, SAMMLUNG, FOTO: MARGHERITA SPILUTTINI
1928
Haus Wittgenstein, Wien
"Er war in mancher Hinsicht ein Despot, und wenn er nicht eine Schwester gehabt hätte, die ihn unendlich geliebt hat und deren Geldbeutel stets geöffnet blieb, wäre dieses Werk nie und nimmer gelungen", sagt die Autorin Margret Greiner über jenes Palais, das der Philosoph Ludwig Wittgenstein für seine Schwester Margaret Stonborough-Wittgenstein entwarf und baute.
18. Oktober 2018, 13:44
Nackte Glühlampen und perfekte Proportionen
Anna Soucek
Fertigstellung: 1928
Architektur: Paul Engelmann, Ludwig Wittgenstein
Adresse: 1030 Wien, Kundmanngasse 19
Unendliche Reichtümer erbten Margaret und Ludwig Wittgenstein von ihrem Vater Karl, einem Wiener Großindustriellen. Ludwig, der Philosoph, hatte zugunsten der Geschwister auf die Erbschaft verzichtet und sich – als Volksschullehrer – in die niederösterreichische Provinz zurückgezogen. Nachdem er einen Schüler geschlagen hatte und dieser bewusstlos wurde, gab er den Beruf und das karge Leben auf.
Die mit einem Amerikaner verheiratete Saloniere und Mäzenatin Margaret Stonborough-Wittgenstein hingegen wollte Mitte der 1920er Jahre – nach Aufenthalten in Paris, Zürich und Berlin – in ihrer Heimatstadt Wien sesshaft werden.
ÖNB/SIMONER
Das Haus Wittgenstein 1971
Auf einer mit Kastanien bewachsenen Parzelle in Wien-Landstraße wollte sie ein Palais bauen und begeisterte ihren Bruder für das Bauprojekt – wohl auch als therapeutische Maßnahme gegen seine Lebenskrise und die depressiven Tendenzen.
Vom ursprünglich beauftragten Architekten, Paul Engelmann, einem Loos-Schüler, übernahm Ludwig die Planung alsbald - obwohl er keine Erfahrung und keine Ausbildung in diesem Gebiet hatte. Dennoch sollte das Palais Stonborough, oder Haus Wittgenstein, wie es heute heißt, zu einer Ikone der modernen Architektur werden. "Er hat einmal gesagt, mein Haus für Gretl ist das Produkt entschiedener Feinhörigkeit, guter Manieren und der Ausdruck eines großen Verständnisses für Kultur", sagt Margret Greiner, deren biografischer Roman "Margaret Stonborough-Wittgenstein. Grande Dame der Wiener Moderne" unlängst im Verlag Kremayr & Scheriau erschienen ist.
Mit seiner Detail-Besessenheit und der bis in den Millimeter gehenden Präzision trieb Ludwig Wittgenstein den Bauleiter und die Handwerker 1928 fast in den Wahnsinn. Die beglaubigten Anekdoten über Ludwigs kostspielige Sonderwünsche sind zahlreich und skurril. So ließ er die fertig gegossene Betondecke der Eingangshalle wieder abreißen, da sie seiner Meinung nach drei Zentimeter zu niedrig war. Er sei in seiner Ästhetik eben kompromisslos gewesen, sagt Greiner.
ARCHITEKTURZENTRUM WIEN, SAMMLUNG, FOTO: MARGHERITA SPILUTTINI
Kompromisslos waren auch Ludwig Wittgensteins Anordnungen zur Inneneinrichtung des Palais mit etwa 1.000 Quadratmetern Wohnfläche: Kunststeinboden statt Perserteppiche, kahle Wände statt Damastbezug, rohe Glühbirnen statt Kronleuchtern. Aus ihrem vorhergehenden Domizil, einem Palais in der Altstadt, war Margaret Stonborough-Wittgenstein anderes gewohnt.
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"Das was er in seiner Philosophie, also im Tractatus versucht, einen sehr präzisen Zugang zur Sprache und zur Welt zu entwerfen, das versucht er auch als Architekt in einer Weise, dass Nüchternheit, Regelmäßigkeit, Symmetrie, Perspektive, Proportion, stimmen. Architektur bedeutet einen guten Gedanken zu haben, sagte er, also: Mit der Architektur setzt man etwas um, was man vorher gedacht hat."
Service
Haus Wittgenstein - Bulgarisches Kulturinstitut
Margret Greiner, "Margaret Stonborough-Wittgenstein. Grande Dame der Wiener Moderne", Verlag Kremayr & Scheriau
Gestaltung
- Anna Soucek