Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche

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1934

Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche, Wien

Es ist einiges los vor der Christ-König-Kirche im 15. Bezirk in Wien. Der Kindergarten veranstaltet gerade eine Wasserschlacht, Mütter und Väter unterhalten sich auf dem Platz vor der Kirche. Ein Ort des sozialen Friedens und des Miteinanders möchte die Kirchengemeinde Neufünfhaus heute sein.

Eine Kirche mit politischer Vergangenheit

Hanna Ronzheimer

Pfarrer Martin Rupprecht ist daher nicht besonders erfreut darüber, dass er schon wieder ein Interview über die Vergangenheit geben soll. "Es gibt Leute, die verklärend zurückschauen und deshalb Seipel - Dollfuß Gedächtniskirche sagen. Immer wieder kommen auch Historiker, die sich mit der Vergangenheit dieser Kirche beschäftigen, aber mit unseren Gemeindeaktivitäten heute hat das alles nichts mehr zu tun."

Gedenktafel

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Das Problem ist nur: direkt vor dem Kircheneingang befindet sich unübersehbar eine Gedenktafel, die Ignaz Seipel und Engelbert Dollfuß würdigt. Bundeskanzler Seipel, verstorben 1932, gilt als ideologischer Gründungsvater des Ständestaates. Sein Nachfolger Engelbert Dollfuß regierte autoritär und schaltete Schritt für Schritt die Demokratie aus, wurde allerdings 1934 selbst von Nationalsozialisten ermordet. Im Herbst 1934 öffnet die Kirche erstmals ihre Türen – als Seipel-Dollfuß Gedächtniskirche.

Begräbnis Seipel

Begräbnis Seipel, 1932

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Bis 1939 befanden sich hier auch die Särge von Seipel und Dollfuß. Tausende Dollfuß-Anhänger pilgerten damals hierher, weiß Pfarrer Rupprecht. Der Historiker Andreas Suttner über das damalige Naheverhältnis zwischen katholischer Kirche und Politik: "Dollfuß wurde auch in den Ritus der katholischen Kirche als heiliger Engelbert eingebunden. Diese Sakralisierung zeigt eine sehr starke Verflechtung der katholischen Kirche mit dem autoritären Regime in Österreich."

1934: Das Bild zeigt den Bronzesarg von Kanzler Dollfuß in der Gedächtniskirche.

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1934: Das Bild zeigt den Bronzesarg von Kanzler Dollfuß in der Gedächtniskirche.

Neben dem Gedenkstein vor dem Kircheneingang hat Pfarrer Rupprecht eine Zusatztafel anbringen lassen, auf der sich die katholische Kirche von den autoritären Aspekten der Politik von Seipel und Dollfuß distanziert. Am liebsten würde Martin Rupprecht den Gedenkstein weg vom Kircheneingang schaffen. Für ihn steht die Person Hildegard Burjan im Zentrum, die diese Kirche einst zu Ehren von Ignaz Seipel initiiert hatte. Die austrofaschistische Diktatur hat Hildegard Burjan allerdings selbst nicht mehr erlebt. "Hier rechts geht es ins Gebetshaus, in die Kirche, und links in das Fürsorgehaus. Es war ein Anliegen von Hildegard Burjan, dass die Nächstenliebe und die Gottesliebe den gleichen Anteil haben und deshalb sind die Quadratmeterzahlen in der Kirche gleich viel wie im Fürsorgehaus", erzählt Martin Rupprecht.

Die Seipel-Dollfuß-Gedächtniskirche fügt sich architektonisch unauffällig in den Arbeiterbezirk Fünfhaus ein. Architekt Clemens Holzmeister orientierte sich mit dem schlichten, sachlichen Stil am modernen Kirchenbau der 1920er Jahre in Deutschland. Ein geplanter Kirchturm wurde wieder verworfen: "Die Hildegard Burjan wollte keinen Turm, sondern ein Haus, das so hoch ist wie die übrigen Wohnhäuser um zu zeigen, das ist ein Haus von und für jeden Menschen da und kein Machtinstrument."

Burjan-Gedenktafel

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Im Inneren der Kirche geht es vorbei an der steinernen Büste einer Mutter vor ihrem toten Sohn. Davor brennen einige Gedenkkerzen. Gestiftet hat die Büste einst ein guter Freund von Dollfuß: der italienische Diktator Benito Mussolini. "Das sind Relikte, die uns die Geschichte gegeben hat, die jetzt eine andere Bedeutung haben – wir versuchen, das Beste draus zu machen", so Rupprecht.

Mutter-Sohn-Büste

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Ein paar Stufen hinunter befindet sich dann die legendäre Kanzlergruft, in der einst die Särge von Seipel und Dollfuß aufbewahrt wurden. Heute finden hier, in den renovierten Räumlichkeiten, Kindergottesdienste und andere Veranstaltungen statt. Die Geschichte möchte Pfarrer Martin Rupprecht nicht unter den Teppich kehren – allerdings müsse man sie auch nicht ständig wieder hervorholen, ist er überzeugt: "Je mehr wir darüber reden, desto mehr gibt man dem eine Bedeutung, die es eigentlich nicht mehr hat."

Service

Pfarre Hildegard Burjan – Gemeinde Neufünfhaus

Gestaltung

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