Frau mit einem Fernsehgerät, 1956

AP/ROBERT KRADIN

TV versus Streaming

Samtene Revolution vor den Bildschirmen

Auf Netflix Serien schauen oder stundenlang auf youTube surfen. Für Fernsehsender ist das eine Herausforderung im Kampf um die Aufmerksamkeit, besonders beim jungen Publikum. Aber wer meint, dass das Sofasurfen vor dem TV-Gerät ein Auslaufmodell ist, der irrt.

Netflix-Screens mit Spiegelung

NETFLIX/STIJNSTIJL FOTOGRAFIE

Lineares Fernsehen ist immer noch "King": Achtzig Prozent der geschauten Minuten werden ganz klassisch konsumiert - vor dem Fernsehgerät, wenn das Programm läuft. Das zeigt die Bewegtbild-Studie des GfK-Instituts im Auftrag der Regulierungsbehörde RTR und der Arbeitsgemeinschaft Teletest. Für die Untersuchung, die jährlich durchgeführt wird, sind 4000 Personen über 14 Jahre gefragt worden, was sie am Tag schauen und wie - im TV, auf Netflix oder auf Plattformen wie Facebook und youTube.

Die Älteren schauen viel fern

Gewohnheit und Alter erklären die Zahlen, meint Andreas Kunigk, der bei der RTR für Neue Medien zuständig ist. "Es sind die älteren Zuseher, die länger fernschauen. Das ist schon immer so gewesen."

Noch schlägt das Sofa also das Smartphone. In der jüngeren Zielgruppe sieht das Bild schon anders aus, wie die Studie zeigt: Unter 30-Jährige verbrachten 2017 mehr als ein Drittel ihrer Zeit vor einem Bildschirm auf Online-Videoportalen, und der Anteil steigt rasant, denn nur ein Jahr davor - also 2016 - war es erst ein Viertel.

Was schauen Junge, wenn sie älter werden?

Dass die "Generation Online", wenn sie älter wird, zum klassischen TV Programm wechselt, glaubt Kunigk nicht. "Grundsätzlich ist der Trend eher der, dass die Onlinenutzung den klassischen TV-Konsum ersetzt."
Fernsehprogramm-Macher widersprechen vehement. "Fernsehen ist Teil eines Tagesablaufs. Durch neue Medien ist zusätzlich ein Angebot dazu gekommen, das ersetzt nicht das lineare Fernsehen", sagt Stefanie Groiss-Horowitz, Senderchefin von Puls4, früher beim ORF. "Ich glaube, dass Fernsehen, genauso wie Radio, den Menschen näher ist als Online."

Welche Bewegtbildangebote genutzt werden

"Netflix ohne Bezug zum lokalen Leben"

Auch im Wettkampf mit Streamingdiensten wie Netflix zähle vor allem die Relevanz, sagt Groiss-Horowitz. Netflix-Serien würden immer spezieller, das Publikum wolle aber Geschichten aus dem eigenen Leben sehen. Das abzubilden, sei die Grundvoraussetzung für erfolgreiche Eigenproduktionen.

Netflix oder Amazon Prime mit Bezahl-Abo sind in Österreich nicht stark verbreitet: Selbst in der Zielgruppe unter 30 Jahren liegt die tägliche Nutzung noch im einstelligen Prozentbereich im Vergleich zu allen anderen Bewegtbild-Angeboten. Aber Netflix holt auf und hat erst kürzlich angekündigt, eine Milliarde Dollar in neue europäische Eigenproduktionen zu stecken.

Flimmit und die TVthek

Auch der ORF hat mit Flimmit eine Video-On-Demand-Plattform. Flimmit versteht sich als "Feinkostladen" für österreichische und europäische Produktionen. Für das Nachschauen kann einzeln oder per Abo bezahlt werden. Wirtschaftlich ist das für den ORF nicht, dazu ist die Streaming-Plattform zu sehr ein Nischenprodukt. Deshalb will der ORF nun ein öffentlich-rechtliches Angebot daraus machen - Flimmit also bewusst über die Rundfunkgebühren finanzieren und einen geringeren Beitrag als bisher für die Nutzung verlangen. Das müsste allerdings die Medienbehörde zuvor genehmigen.

Sendungen nachschauen geht auch über die Mediatheken der Sender. Bei Puls4 sei der Anteil da eher klein, sagt Groiss-Horowitz. In der TVthek des ORF ist die Satiresendung "Willkommen Österreich" eine der am häufigsten abgerufenen Sendungen, immerhin acht Prozent der Zuschauer schauen sie dort entweder live oder nach.

Fernseher zeigt einen Ausschnitt aus "Game of Thrones"

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Altes Handwerk, neu interpretiert

Gute Geschichten werden das Match um die Aufmerksamkeit des Publikums entscheiden, meint auch der Fernsehjournalist Martin Thür - früher bei ATV, wo er unter anderem das innovative Interview-Format "Klartext" gemacht hat. Jetzt arbeitet Thür bei der Rechercheplattform Addendum. Altes Handwerk also, aber neu interpretiert. Wer meint, die Zukunft nur mit aufgepepptem Jugendprogramm meistern zu können, der liege falsch, sagt Thür: "Das ist vorbei. Die Leute erreichst du mit gut erzählten Geschichten, die du über alle Ausspielkanäle rausspielen musst." Online, TV, TVthek und Website bräuchten aber einen jeweils eigenen redaktionellen Zugang.

Der ORF hat im Wettbewerb mit den Privatsendern hier das Nachsehen - weil Inhalte nur sieben Tage im Netz bleiben dürfen und weil zum Beispiel auch eigene youTube-Kanäle nicht erlaubt sind. Ob die Sieben-Tage-Regelung fallen kann, wird derzeit verhandelt. Der Antrag für einen youTube-Kanal liegt zur Entscheidung bei der Medienbehörde.

Windeln wechseln und Sofasurfen

Am Ende könnte den Fernsehmachern das Leben in die Hände spielen. Die Hoffnung lebt, dass der Lockruf des Sofas wieder lauter wird, wenn die Jungen älter werden und Familien gründen. Martin Thür kennt es aus seinem eigenen Umfeld: "Ich sehe es bei meinen Freunden. Ich bin 35 Jahre alt. Vor zehn Jahren haben sie alle ihre Fernseher weggeworfen, jetzt kriegen sie alle Kinder und sind sehr viel zu Hause, und plötzlich kriegen sie alle wieder Fernseher", sagt Thür.

Service

Bewegtbildstudie 2017

Übersicht