
GEORG STEKER
Le week-end
Oper erfinden!
Unterwegs mit Claudio Monteverdi in der Ägäis und mit Robert Ashley im amerikanischen Mid-West.
3. Juli 2018, 02:00
In "le week-end" erfinden wir die Oper neu. Und das gleich zweimal. Besser gesagt, wir besuchen Freunde, die die musikalischen Zeichen ihrer Zeit erkannt haben. Und daraus so waghalsige wie nachhaltige Schlüsse zogen. Wir treffen die Opernkomponisten Claudio Monteverdi und Robert Ashley. Wir sind unterwegs mit Claudio Monteverdi in der Ägäis und mit Robert Ashley im amerikanischen Mid-West.
Später in der Geschichte treibt Robert Ashley seine Linda durch den Dschungel der Großstadt. Die Szene ist ein furioses Hybrid aus Song und Polyphonie, Groove und allegorischer Geschichte. Mit verhältnismäßig hochtrabenden Analogien wurde und wird deswegen nicht gespart, wenn von Robert Ashley die Rede ist. Als den „Homer Amerikas" bezeichnete man ihn und um seine musikgeschichtliche Stellung anzudeuten, wurde er mit Claudio Monteverdi verglichen.
Mit dem Verweis auf Homer ist gemeint, dass Robert Ashley als Textautor und Komponist all seiner Opern an einer sehr speziellen Form einer amerikanischen Mythologie arbeitet. Und der Hinweis auf Monteverdi meint, Ashley habe, ähnlich wie Claudio Monteverdi, in einer Zeit hochkomplexer, polyphoner Musik an einer damals, also seit den 1960er Jahren, völlig neuartigen Form des musikalischen Geschichtenerzählens, eben an einer Art Neuerfindung des Genres Oper gearbeitet.
Robert Ashley und Claudio Monteverdi, der eine im 20., der andere im 17. Jahrhundert: Musik, die komponierende Kollegen ein, zwei Generationen früher schufen, wird absorbiert und transformiert. Monteverdi reagiert auf hochkomplexe Polyphonie einerseits, auf die musikdramatische Musik von Vincenzo Galilei, Jacopo Peri und anderen andererseits und ist dann einer jener Komponisten, die daraus das neue Genre Oper destillieren. Der 1930 geborene Robert Ashley wächst drei Jahrhunderte später in Michigan mit der ganzen Tradition des American Story Telling zwischen Blues und Country auf, amalgamiert das mit der radikalen, amerikanischen Avantgarde-Tradition seiner eigenen Generation und fokussiert all das zu seiner eigenen, speziellen Form einer wie vorbildlos erscheinenden, amerikanischen Version von Oper. Zwei Pioniere sind heute unterwegs.
Der Prolog also zuerst, beziehungsweise, die Prologe zweier Opern: In Monteverdis Ulisse stehen allegorische Figuren auf der Bühne, die Zeit, das Glück, die Liebe und vor allem: die menschliche Hinfälligkeit. „Ein sterblich Ding bin ich", „Mortal cosa son io", lautet die eröffnende und die dann kommenden vier Opernstunden definierende Einsicht der Hinfälligkeit. Robert Ashleys Allegorien hingegen spreizen den Gedankenrahmen seiner Geschichte der Verbesserung, des Improvements seiner Linda auf. „The offering of images is a radical form of Judaism.” Und diese radikale Form sei uns überliefert als "Modernism, Science and Theater as we know it.” Und welche Oper beginnt schon mit den schönen Worten: "To continue I must explain an idea".
Robert Ashley trat in seinen Opern immer auch selbst auf, mit dieser geheimnisvollen Erzählerstimme kommentiert er die Handlung und liefert rätselhafte Querverweise. Robert Ashleys Handlungen sind nämlich immer auch metaphorisch zu verstehen und das wird via Libretto mitausgesprochen. Die ganze bewusste Banalität eines amerikanischen Road-Movies ist zugleich kulturgeschichtliche Aufarbeitung europäisch-amerikanischer Mythologie. Schon im Prolog hieß es „For the sake of the argument: Don is Spain in 1492 and Linda is the Jews". Den idealen Hörer seiner als TV-Opern konzipierten Stücke stellt Ashley sich - das soll nicht verschwiegen werden - übrigens im Bett liegend vor, sagte er einmal, mit wem oder was auch immer entspannt herumlungernd, einen Drink oder zwei in der Nähe, und der Geschichte lauschend.
Gestaltung
- Christian Scheib