Michael Heltau im Gegenlicht

APA/HERBERT NEUBAUER

Das einzig Wahre

Stimme und Sprache von Michael Heltau

Wie schreibt man eine Betrachtung über Stimme und Sprache von Michael Heltau, diese unvergleichliche Stimme, die so viele Menschen begeistert, ja ins Herz getroffen und von ihrer Jugend an durchs Leben begleitet hat - wie kann ich, wo soll ich beginnen? Vielleicht mit diesem Zitat von ihm: "Man hat immer das Alter seiner Gedanken." Wie energiereich Heltau geblieben ist, spiegelt sich in seiner Stimme, die bis in die unmittelbare Vergangenheit ihre Frische und Spannkraft behalten hat.

Morgenjournal | 05 07 2018

Gernot Zimmermann

Natürlich wurde sie tiefer, hat sich nach unten gerundet im Vergleich zu den tenorhellen Anfängen, als er, der junge Bühnenstar der 1970er Jahre, im Konzerthaus mit seinen Literaturabenden Furore machte, mit den "Leiden des jungen Werther" serienweise (nicht nur) Mädchenherzen eroberte.

Das einzig Wahre

Jene Liedtexte der Romantik, die er damals schon, "statt zu singen", in ihrer eigenartigen Schönheit ohne die vertraute Musik zum Funkeln brachte, hat er erst kürzlich für einen Zyklus im Musikverein nochmals aufgegriffen: Wilhelm Müllers kostbare Gedichte, die wir nur dank Franz Schubert überhaupt kennen, wie auch Joseph von Eichendorff, Eduard Mörike, Nikolaus Lenau - Poesie aus einer Zeit, als die Menschen einander Briefe schrieben und in der Postkutsche reisten; in seiner Darbietung erleben wir, wie unverändert nah sie unserem Fühlen heute noch ist.

Diese Vortragskunst beruht nicht zuletzt auf einer Gesangsausbildung, die der jugendliche Heltau, gerade eben ans Reinhardt Seminar gekommen, anfangs parallel zu seinem Schauspielstudium absolvierte, bis ihn die gestrenge Frau Professor Radò aufforderte, sich für eins von beiden zu entscheiden. Das hat er eingesehen. Und bei den Chansonprogrammen, mit denen er später so erfolgreich war, ist er nie in den Fehler verfallen, "singen" zu wollen, sondern hat ganz bewusst gesungen wie eben ein Schauspieler.

Silben - geformt und gefärbt

Geblieben ist, dass er beim Sprechen, speziell von Gedichten, wie ein Sänger formuliert. Er gibt dem Text seine Melodie, gestaltet jede Silbe, formt und färbt sie mithilfe der Vokale. Ein kaum noch geläufiges Wort wie "Glast" kann er aussprechen, dass man sich als Hörer/in im gleißenden Sonnenlicht wähnt.

Somit steht er auf seine Weise durchaus in der heute belächelten Tradition des "Singens", wie es dem alten Burgtheaterdeutsch eigen war. Aber bei ihm ist es etwas völlig anderes, frei von Pathos. Die Verse der Klassiker erklingen bei ihm in unbefangener Natürlichkeit, zurückgenommen und schlicht, wie eben erfunden, für unsere Ohren übersetzt.

Sie müssen jedes Wort glauben, das Sie auf der Bühne sagen.

In dieser unverwechselbaren Sprechkultur, die keine Silbe für unwesentlich erachtet, ist die Erinnerung an das Burgtheaterdeutsch in seiner schönsten Bedeutung bewahrt, mitsamt dem österreichischen Idiom, das inzwischen fast verloren gegangen ist.

"Sie müssen jedes Wort glauben, das Sie auf der Bühne sagen", hat ihm seine Lehrerin und Lebensfreundin Helene Thimig am Reinhardt Seminar einst mit auf den Weg gegeben. Er hat es sich zu Herzen genommen. Deswegen war er auch sehr wählerisch bei den Angeboten, lehnte etwa einträgliche Filmrollen mit dem Argument ab: "Da geht’s ja um nix."

Michael Heltau

APA/REINHARD MAXIMILIAN WERNER

Michael Heltau vor seinem neuen Porträt des Malers P. L. Huisman.

Die Kunst des Sprechens bewahrt

Ob Goethe, ob leichtsinniges Wienerlied - beim Heltau muss es immer um alles gehen. Daher die Intensität, mit der er in jedes Wort förmlich hineinbeißt, als wäre es das Einzige, das unbedingt gesagt werden muss, das einzig Wahre. Die Inbrunst, mit der er sich Schicht um Schicht in die kleinste Miniatur hineingräbt, lässt ihn buchstäblich darin aufgehen. Wir Zuhörer/innen lauschen - und versinken im Augenblick.

In frühen Tondokumenten konstatiert man zuweilen eine verblüffende Ähnlichkeit mit dem genialen Oskar Werner. Der Vergleich zeigt den nur elf Jahre jüngeren Heltau freilich mehr noch als Vorreiter einer neuen, modernen Schauspielergeneration - und vor allem: als ganz anders "geerdet".

Sein bodenständiges Naturell hat Michael Heltau vor den Abgründen seines Berufes gerettet. Deshalb können wir, sein Publikum, ihm jetzt zum 85. Geburtstag gratulieren und ihm für die Fülle dessen danken, womit er uns beschenkt hat - nicht zuletzt via Radio: in ungezählten Ausgaben der "Holden Kunst" wie in Leseauftritten, etwa mit den unvergesslichen Mozart-Briefen. Besondere Wertschätzung verdienen die großen literarischen Dokumente, die er im Funkhaus geschaffen hat, von jenen Autoren aus dem alten Österreich, die bei ihm so ideal aufgehoben sind: Joseph Roth, Stefan Zweig, Felix Salten. Mag die Schauspielkunst eine flüchtige sein, die Kunst des Sprechens ist hier bewahrt.

Text: Monika Mertl, freie Kulturpublizistin und Autorin des Buches "Auf Stichwort: Michael Heltau", erschienen bei Deuticke