Christine Nöstlinger

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Literatur

Christine Nöstlinger ist tot

Die österreichische Kinderbuchautorin Christine Nöstlinger ist tot. Sie starb im Alter von 81 Jahren, wie ihre Familie nach dem Begräbnis am Freitag dem ORF mitteilte. Nöstlinger veröffentlichte mehr als 100 Bücher, die Millionenauflagen erreichten und in mehr als 20 Sprachen übersetzt wurden. Ihre Figuren wie "Die feuerrote Friederike" oder "Gretchen Sackmeier" sind längst internationale Klassiker. Für den ORF erfand sie Dschi-Dschei-Wischer ebenso wie Rudi Radiohund.

Geboren wurde Nöstlinger am 13. Oktober 1936 als Tochter eines Uhrmachers und einer Kindergärtnerin in Wien - der Stadt, der sie ein Leben lang eng verbunden blieb. Das Kind aus sozialistischem Elternhaus wollte ursprünglich zur bildenden Kunst und begann ein Studium der Gebrauchsgrafik an der Akademie für angewandte Kunst in Wien. Dann kamen jedoch zwei Ehen in die Quere und zwei Töchter (geboren 1959 und 1961). Da sich Nöstlinger als Hausfrau und Mutter eher langweilte, zeichnete und schrieb sie "Die feuerrote Friederike" (1970) - ein Klassiker bis heute.

Weitere prägende Titel aus ihrer produktiven Zeit sind etwa "Die Kinder aus dem Kinderkeller" (1971), "Wir pfeifen auf den Gurkenkönig" (1972), von dem über eine Million Bücher verkauft wurden, "Ein Mann für Mama" (1972), "Achtung, Vranek sieht ganz harmlos aus" (1974), "Rosa Riedl Schutzgespenst" (1979), "Der Hund kommt!" (1987), "Der Zwerg im Kopf" (1989), "Anna und die Wut" (1990) oder "Villa Henriette" (1996), die wie zahlreiche weitere Bücher auch verfilmt wurde.

Ein freier Geist

Nöstlinger setzte sich auf humorvolle Weise mit Problemthemen auseinander, kombinierte in ihren Büchern realistische Milieuschilderungen, Sozialkritik und Fantastik in einer Sprache mit Dialektanklängen und eigenwilligen Neuschöpfungen. "Ich muß mich nicht dauernd danach richten, was Erwachsene wollen! Ich bin ein freies Kind und weiß selbst am besten, was für mich gut ist", heißt es etwa in "Hugo, das Kind in den besten Jahren" (1984). Eine solche Einstellung markierte in Nöstlingers Anfangsjahren eine Zäsur innerhalb der Tradition der Zeigefinger-Kinderbuchliteratur und traf den liberalen Nerv der Generation nach 1968.

Das hab ich alles geschaffen, denk ich mir, wenn ich in einer Bibliothek stehe und so drei Meter Bücher von mir sehe.

Die höchst produktive "Ein-Mann-Buchstabenfabrik" (Nöstlinger über Nöstlinger) verfasste aber auch selbst Drehbücher, Hörspiele und Theaterstücke und arbeitete - unter anderem als Literaturkritikerin - für den Rundfunk und diverse Zeitungen und Magazine. Für Ö3 kreierte sie etwa 1979 die Hörfunkserie "Dschi-Dschei-Wischer" später folgte Rudi Radiohund für Ö1, in ihren (unter anderen Titeln) auch in Buchform erschienenen Kolumnen für diverse Zeitungen klang stets das gesellschaftliche, politische Engagement der Autorin durch, die 1997 bis 1998 auch Vorsitzende der Menschenrechtsorganisation "SOS Mitmensch" war. Sie war lakonisch-humorvolle Kommentatorin, das Paradebeispiel einer Wienerin mit Herz, die dabei aber selten einen Mundwinkel verzog.

Christine Nöstlinger, 1997

Christine Nöstlinger, 1997

ORF

Die eigene Kindheit als Inspirationsquelle

Sie gehörte nicht zu den Erwachsenen die glauben, sie würden Kinder kennen, sagte sie in einem Interview, denn "ich glaube, ich gehöre zu den Menschen, die die Tür zur Kindheit nicht geschlossen haben, ich kann jederzeit dort hineingehen" - durch ihre Enkelkinder und weil sie ein neugieriger Mensch sei, kenne sie auch die Lebenswirklichkeit heutiger Kinder, so Nöstlinger weiter Speziell kinderlieb sei sie nicht gewesen, bekannte die Autorin, aber: "Ich hoffe, ich bin menschenlieb!"

Eine Frau sein, ist kein Sport

Nöstlingers Wirken nicht auf die Welt der kleinen Menschen beschränkt. "Eine Frau sein, ist kein Sport", heißt etwa eine zum 75er als "Hausbuch für alle Lebenslagen" erschienene Kolumnensammlung (Residenz Verlag). Zu Nöstlingers bekanntesten Texten für Erwachsene zählen die Dialekt-Gedichtbände "Iba de gaunz oaman Kinda" (1974), "Iba de gaunz oaman Fraun" (1982) und "Iba de gaunz oaman Mauna" (1987). An Sachbüchern erschien unter anderem "Ein Hund kam in die Küche. Kleines Köchelverzeichnis für Männer" (1996) und "ABC für Großmütter" (1999) - eine Rolle, die sie zuletzt selbst auch im Privatleben einnahm. Ihre beiden Töchter Christiane Nöstlinger und Barbara Waldschütz steuerten die Illustrationen zu einer Reihe ihrer Bücher bei.

Iba de gaunz oamen Leit

Ursula Strauss und der Spinat. Ö1 wiederholt das Hörspiel von Christine Nöstlinger am Samstag.

Zahlreiche Auszeichnungen

1974, 1979 und 1987 gab es den Österreichischen Staatspreis für Kinder- und Jugendliteratur, 1984 empfing sie für ihr Gesamtwerk den Hans-Christian-Andersen-Preis, 1998 den Ehrenpreis des österreichischen Buchhandels für Toleranz in Denken und Handeln und 2003 den ersten Astrid-Lindgren-Preis, den "Nobelpreis für Kinderliteratur". Im gleichen Jahr wurde Nöstlinger das Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst verliehen, 2011 das Große Ehrenzeichen für Verdienste um die Republik. 2014 kam noch der Österreichische Kinder- und Jugendbuchpreis für "Als mein Vater die Mutter der Anna Lachs heiraten wollte" und vor zwei Jahren, 2016, der Lebenswerkpreis des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen hinzu.

Zuletzt verschlechterte sich der Gesundheitszustand der legendären Raucherin jedoch zusehends. "Es steht nicht zum Besten - aber es ist noch ein angenehmes Leben", hatte Nöstlinger aus Anlass ihres 80. Geburtstag 2016 der APA versichert. Vor einigen Tagen ist Christine Nöstlinger, wie erst am Freitag bekannt wurde, nun im Alter von 81 Jahren verstorben. Das Begräbnis fand im kleinen Kreis in Wien statt.