Erich Hackl

DIOGENES VERLAG/MAURICE HAAS

Vergessener Held

Erich Hackl: "Am Seil"

Eine schnörkellose Gedenktafel am Werkstättenhof in der Wiener Mollardgasse erinnert seit 2013 an den Kunstschmied und begeisterten Bergsteiger Reinhold Duschka. Er hat dort während des Nationalsozialismus vier Jahre lang eine jüdische Chemikerin und ihre 11-jährige Tochter versteckt und damit vor der Deportation bewahrt. Der österreichische Schriftsteller Erich Hackl setzt ihm mit seinem Roman "Am Seil. Eine Heldengeschichte" ein literarisches Denkmal.

Morgenjournal | 25 07 2018

Judith Hoffmann

Kulturjournal | 25 07 2018 | Interview

Judith Hoffmann

Ein Held mit lückenhafter Heldengeschichte

Verwandte und Freunde sind bereits geflohen oder deportiert worden und die eigene Flucht scheint längst zu gefährlich, als sich plötzlich der wortkarge Bekannte Reinhold Duschka anbietet, Regina Steinig und ihre Tochter Lucia bei sich im Atelier zu verstecken. Ein ehemaliger Mitarbeiter Duschkas habe die Begebenheit an ihn herangetragen, erzählt Erich Hackl: "Und mich hat das Thema der Uboote im Zweiten Weltkrieg sehr interessiert, auch weil ich das Gefühl hatte, es wird in der Literatur bisher wenig behandelt."

Hackl begann also zu recherchieren, traf Duschkas Mitarbeiter, seine Tochter und vor allem die damals 11-jährige Lucia Heilman zu ausführlichen Gesprächen und wurde zunächst enttäuscht: "Das Problem war, dass ich kaum etwas über Duschkas Leben in Erfahrung bringen konnte, und dass sich auch Lucia Heilman an so wenige Dinge über ihn erinnern konnte. Das hängt vielleicht mit seiner Persönlichkeit zusammen: Er war so ein stiller, unscheinbarer Mensch. Aber das war vielleicht auch die Voraussetzung für diese Heldentat, weil er nie in die Gefahr kam, zu viel zu sagen."

Beharrliche Faktentreue statt Fantasie und Fiktion

Entsprechend spärlich gestalten sich die Fakten und Quellen, aus denen Hackl seine Geschichte webt. Knapp über 100 Seiten hat der schmale Band, in dem Hackl die wenigen Spuren Reinhold Duschkas von den 30er Jahren bis in die Gegenwart nachzeichnet: von gemeinsamen Arbeitstagen in der Werkstatt und ängstlichen Nächten in absoluter Stille, über gefälschte Atteste, mit denen Regina Steinig ihren Lebensretter vor dem Kriegsdienst bewahrte, bis zu den Erinnerungen seiner Tochter und seines Enkels.

Immer wieder lässt er dabei Luzia Heilman selbst zu Wort kommen, dazwischen zieht er als unauffälliger Erzähler die Fäden, verwebt Fakten mit Beweisen, deutet Möglichkeiten an und folgt einmal mehr seinem Grundsatz, "nicht Fiktion aus einem realen Fall zu machen, sondern umkehrt mit fiktiven Mitteln einen realen Fall darzustellen".
Gerade dieser Umstand allerdings macht die kurze Heldengeschichte zu einer nicht eben leicht konsumierbaren Lektüre. Völlig frei von schmückendem fiktiven Beiwerk liefert er eine klug konstruierte, knapp formulierte Erzählung, die viele Aspekte anreißt, aber nicht weiter ausführt, auch weil die entsprechenden Informanden nicht mehr am Leben seien, so der Autor.

Wenn die letzten Zeugen verstummen

"Gerade noch Lucia Heilman konnte mir die Geschichte erzählen", so Hackl. Und: "Hätte Regina Steinig, die bekannt war als sehr kommunikative, redselige Frau, noch gelebt, wäre der Roman wohl um einiges dicker geworden."

"Am Seil" steht daher auch stellvertretend für zahllose solcher Geschichten, die nicht mehr aufgeschrieben werden können. Dass der Roman gerade jetzt erscheint, sei kein politisches Statement, so Hackl, die Parallelen seien ihm aber beim Schreiben durchaus aufgefallen. Daher könne man das Buch auch als Handbuch verstehen für den Fall, dass es wieder notwendig würde, Menschen zu verstecken, um sie zu retten.

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Erich Hackl, "Am Seil - Eine Heldengeschichte", Roman, Diogenes

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