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VOLKSKUNDEMUSEUM/KOLLEKTIV FISCHKA/KRAMAR

Hörbilder

"Die möcht ein Freudenhaus eröffnen."

Das erste österreichische Frauenhaus und seine Geschichte(n). Anlässlich des Jubiläums "40 Jahre Wiener Frauenhäuser".

"Ich habe das Handy geschnappt und mich im Park versteckt, weil ich Angst hatte, dass er mich verfolgt. Ich habe furchtbar gezittert, aber mich zusammengerissen und den Notruf vom Frauenhaus gewählt." Selma hat es geschafft. An jenem Tag hatte der Ehemann ihr wieder einmal einen harten Gegenstand nachgeworfen, weil sie seiner Meinung nach nicht ordentlich geputzt hatte.

Ausstellungsplakat

Das Volkskundemuseum Wien zeigt noch bis Ende September die Ausstellung "Am Anfang war ich sehr verliebt..." 40 Jahre Wiener Frauenhäuser.

VOLKSKUNDEMUSEUM WIEN/KOLLEKTIV FISCHKA/KRAMAR

Gewalt nicht länger ertragen müssen

Davor lagen drei Jahre Demütigungen, Beschimpfungen, Freiheitsbeschränkungen, regelmäßige körperliche Attacken und die Drohung, sie umzubringen, sollte sie ihn verlassen. Dieser Schritt war daher unvorstellbar schwierig. Aber Selma hat es gewagt und ist mit ihrer Tochter in ein Frauenhaus geflüchtet. Dort waren sie endlich in Sicherheit. Und dieser erste Schritt eröffnete ihr einen Weg in ein selbstbestimmteres, freieres Leben.

Hätte Selma nicht in den 2000er- sondern in den 1970er-Jahren gelebt, hätte sie die schwierige Situation wohl noch länger ertragen müssen, sie wäre der Gewalt ihres Mannes schutzlos ausgeliefert gewesen. Denn das erste Frauenhaus in Österreich wurde erst 1978 gegründet. Johanna Dohnal, damalige Gemeinderätin und spätere Frauenministerin, hat dem Frauenhaus politisch zur Durchsetzung verholfen. "Das war alles andere als einfach", erinnert sie sich in dem 2008 für dieses Feature geführten Gespräch. Der damalige Wiener Bürgermeister etwa soll gemeint haben: "In Wien werden keine Frauen geschlagen!" und Gemeinderatsmitglieder scherzten: "Die Dohnal möcht´ ein Freudenhaus eröffnen!"

Audio: Johanna Dohnal und Marilies Flemming

"Was ich da gehört hab über die Fraktionen hinweg von männlicher Seite, hat dazu geführt, dass ich am Abend gekotzt habe."

Das aus dem Jahr 1811 stammende Ehe- und Familienrecht hatte die Diskriminierung der Frau vor dem Gesetz und auch im gesellschaftlichen Bewusstsein festgeschrieben. Der Mann galt als das Oberhaupt der Familie und die Frau hatte ihm zu gehorchen.

Das Gesetz wurde erst in den 1970er-Jahren reformiert und war die Grundlage dafür, dass eine Institution wie das Frauenhaus überhaupt entstehen konnte. Ohne eine engagierte Lehrende an der Sozialakademie und vor allem ohne eine Gruppe feministisch orientierter, unerschrockener Studentinnen hätte die Realisierung wohl aber noch länger gedauert. Nach dem Vorbild der bereits bestehenden Frauenhäuser in London und Berlin konzipierten diese jungen Frauen, alle noch keine 20 Jahre alt, das erste Frauenhaus Österreichs.

"Wir haben das erste Wiener Frauenhaus eröffnet – und es war sofort voll. Das war für uns bestürzend!" (Rosa Logar)

Am 1. November 1978 wurde es eröffnet. "Das war die Enttabuisierung der Gewalt gegen Frauen", so Johanna Dohnal. "Es war wie eine große Wohngemeinschaft", sagt Elfriede Fröschl, eine der damaligen Gründerinnen, über das erste Frauenhaus, das eigentlich kein Haus, sondern eine große Altbauwohnung im 9. Wiener Gemeindebezirk war.

Alle im selben Boot?

Es gab keine räumlichen Abgrenzungen zwischen Büro- und Wohnbereich, alle Entscheidungen wurden basisdemokratisch, gemeinsam mit den Bewohnerinnen, beschlossen. Denn die politische Grundüberzeugung der angehenden Sozialarbeiterinnen war: "Wir Frauen sitzen alle im selben Boot. Alle sind von männlicher Gewalt betroffen, die einen von struktureller, die anderen von direkter körperlicher Gewalt."

"In Wien werden keine Frauen geschlagen."
(Bürgermeister Leopold Gratz)

Auch der Frauentag am 8. März wurde gemeinsam begangen: Plakate wurden gemalt und auf auf gings zur Demo. Die Erwartungen an die Frauensolidarität waren hoch. Bald traten die ersten Enttäuschungen ein. Die Bewohnerinnen sollten in ein Kuvert freiwillige Beiträge für Essen und sonstige Anschaffungen stecken. Doch das Kuvert blieb recht leer. Es entstanden einige Freundschaften zwischen den Bewohnerinnen, doch die Hoffnung der Frauenhausgründerinnen, dass die Frauen sich auch später unterstützen und zusammen leben würden, erfüllte sich nicht. Unverständnis herrschte unter den Sozialarbeiterinnen, wenn die Frauen wieder zu dem gewalttätigen Ehemann zurückkehrten.

Sicherheitsvorkehrungen werden nötig

Und die ersten ernsthaften Zwischenfälle traten auf. Ein Mann stieg durch das Fenster ins ungesicherte Frauenhaus ein und verletzte seine ehemalige Frau schwer. Das machte Sicherheitsvorkehrungen notwendig, Begleitschutz durch die Polizei und letztlich auch Regeln für die Bewohnerinnen, die einzuhalten und nicht diskutierbar waren: Geheimhaltung der Adressen, kein eigener Schlüssel, Rückkehr ins Frauenhaus bis Mitternacht.

Audio: Rosa Logar

"Man hat befürchtet, dass die Frauen den Männern dann scharenweise weglaufen", erzählt Rosa Logar, Mitbegründerin des ersten Frauenhauses.

Das erste Frauenhaus war von Anfang an chronisch überfüllt. Schon 1980 wurde das zweite eröffnet. Das 1997 geschaffene Gewaltschutzgesetz war ein weiterer wesentlicher Schritt – Stichwort: Wegweisung des Täters durch die Polizei und Betretungsverbot. Dass der Bedarf von Frauen Gewaltschutz gegeben ist, zeigt allein ein Blick auf die aktuellen Zahlen: 2017 wurden in 26 Frauenhäusern in ganz Österreich 1.634 Frauen und 1.707 Kinder aufgenommen.

Kundgebung des Vereins Wiener Frauenhäuser 1994 vor dem Parlament mit der Forderung nach einem dritten Frauenhaus in Wien

Kundgebung des Vereins Wiener Frauenhäuser 1994 vor dem Parlament mit der Forderung nach einem dritten Frauenhaus in Wien

VEREIN WIENER FRAUENHÄUSER

Professionalismus statt Feminismus?

Die starke Nachfrage zeigte freilich bald Auswirkungen auf die Organisation der Frauenhäusern: Das Zusammenleben im Haus und die Arbeitsaufteilung wurden strukturierter und professioneller. Das Wissen über die psychischen Folgen von Gewalt für Frauen und Kinder ist gewachsen, dementsprechend haben sich die Beratungsangebote entwickelt. Das Sie-Wort hat das Du-Wort abgelöst, die Abgrenzung zu den Bewohnerinnen wird deutlicher gezogen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind streng.

Obwohl die Gründerinnen von damals diese Entwicklung heute großteils für gut und wichtig befinden, blicken sie doch mit ein wenig Wehmut zurück, vor alle auf das damals vorherrschende Gefühl: "Wir können alles erreichen und alles durchsetzen! Gemeinsam sind wir Frauen stark." Dieser feministisch motivierte Zugang der Mitarbeiterinnen sei etwas verloren gegangen, bedauert die Leiterin eines Frauenhauses, die seit den Anfängen dabei ist.

Vor 40 Jahren wurde das erste Österreichische Frauenhaus von einer Gruppe wagemutiger und ambitionierter junger Frauen gegen enorme gesellschaftliche Widerstände und Ignoranz durchgesetzt – heute kann die Notwendigkeit dieser Institution von niemandem mehr ernsthaft in Frage gestellt werden. Doch auch gegenwärtig müssen Frauen wegen Platzmangels abgewiesen werden.

Heute wieder Rückschritte?

Die Zusammenarbeit zwischen Gewaltschutzeinrichtungen und der Polizei hat sich seit den Anfängen stetig intensiviert und verbessert - die jüngst verkündete Einstellung der gemeinsamen Fallbesprechungen (MARAC) wird von vielen im Gewaltschutz Engagierten als Rückschritt bewertet.

Die Frauenhäuser haben heute vielfältige Aufgaben zu erfüllen, die weit über den unmittelbaren Schutz vor Gewalt hinausgehen. Der Verein AÖF (Autonome österreichische Frauenhäuser) verweist in einer aktuellen Aussendung auf das größte Problem: "Wenn die gesetzlichen Maßnahmen nicht vor Armut schützen, sind hier auch den Mitarbeiterinnen der Frauenhäuser Grenzen gesetzt. Wir fordern daher eine Existenzsicherung von Frauen und Kindern, um ein Abrutschen in die Armut zu verhindern. Außerdem fordern wir einen Ausbau des Personals in den Frauenhäusern, um die bestmögliche Betreuung aller gewaltbetroffenen Frauen und Kinder zu gewährleisten."

Service

Das Volkskunde Museum Wien zeigt von 27.4 .- 30.9.2018 die Ausstellung "Am Anfang war ich sehr verliebt..." 40 Jahre Wiener Frauenhäuser.
Volkskundemuseum Wien

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