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Gedanken für den Tag, 03. Mai, 2018
Opium des Volkes - Teil 3
Zum 200. Geburtstag von Karl Marx spricht Oliver Tanzer, Autor und Leiter des Wirtschaftsressorts der Wochenzeitung "Die Furche". - Gestaltung: Alexandra Mantler
7. November 2019, 11:23
Marxismus ist nicht nur eine politische und wirtschaftliche Frage. Er ist eine Stilfrage. Gewöhnlich wird die Ökonomie als ein Feld für bebrillte Langeweiler gesehen. Karl Marx ist in diesem Sinn kein herkömmlicher Ökonom. Denn seine Schriften sind von einer eigentümlichen Sprachgewalt durchdrungen.
Seine Beschreibungen der Realität sind Anklageschriften, seine Datensammlungen Armeen, die er gegen den Kapitalismus ins Feld schickt. Seine Sprache ist monumental und sie entspricht der Absicht, dass hier die letzten Geheimnisse der Welt enthüllt werden. Marx bedient sich dabei nicht nur an biblischem Vokabular. Fegefeuer, Erlösung, Sünde, Vergebung, heilige Pflicht, etc. Auch in seiner Wucht hält er sich an jene der biblischen Propheten.
Wie sie arbeitet sich Karl Marx an den Widersprüchen der Gesellschaft ab. Mehrwert ist Raub am Arbeitenden, das Kapital ist Motor der Verelendung und der Reichtum der einen erzeugt sinkende Löhne der anderen. Der Satz des Propheten Jesaja: "Ich werde zeugen gegen die, die den Lohn des Tagelöhners drücken." Oder der Satz des Amos: "Um Silber habt ihr den Rechtschaffenen verkauft, den Armen um ein Paar Sandalen, niedertretend das Haupt der Kleinbauern", könnte so auch von Marx nachformuliert im Kapital stehen.
Wie die Propheten kündigt Marx den Untergang des Systems an und wie einige von ihnen eine durch das Leiden und die Läuterung kommende Erlösung. Wenn man es plakativ ausdrückt, dann ist seine Geschichte des Menschen in der Unterdrückung durch den Kapitalisten die babylonische Gefangenschaft Israels und seine Expropriation der Expropriateure die Errettung aus der Sklaverei. Wie die Propheten wettert Marx gegen die Oberschicht und deutet die Welt und ihre Götzen neu aus. Und letztlich verbindet er nach prophetischem Vorbild mit seinem historischen Materialismus das Heute mit dem Morgen, das Tun hier mit dem künftigen gesellschaftlichen Schicksal. Nur ist sein Befreier aus all dem Leid nicht Gott, es ist der Mensch. Und der hat die schwierigste Aufgabe von allen: Die Selbsterlösung.