ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Orgien-Mysterien-Theater
"Leibliche Wirklichkeit" - Nitsch wird 80
Der Maler, Aktionskünstler, Schriftsteller und Komponist wird am 29. August 80 Jahre alt. Drei Tage später zelebriert Hermann Nitsch in seinem Museum in Mistelbach die Fortsetzung seines Orgien-Mysterien-Theaters. Die "155. Aktion" wird die erste große seit 13 Jahren in Österreich - samt neuer Symphonie.
23. September 2018, 02:00
Morgenjournal | 23 08 2018
Um das Schloss Prinzendorf im Weinviertel, den einstmaligen Tempel des Orgien-Mysterien-Theaters, mag es - auch aus den bekannten finanziellen Gründen - ruhig geworden sein, auf dessen Hohepriester Hermann Nitsch trifft das jedoch keineswegs zu.
In den letzten Jahren habe er im Ausland viel verwirklicht, berichtet der Künstler - die größte Aktion außerhalb Prinzendorfs erst im vergangenen Jahr in Australien, in der tasmanischen Hauptstadt Hobart. Im Nitsch-Museum in Mistelbach brachte er zu dessen Zehn-Jahr-Jubiläum eine Symphonie mit dem Titel "Traubenfleisch" zur Uraufführung. Eine Art Vorstufe zu dem, was nun am 1. September am selben Ort zu erleben sein wird.
"Mit Fleisch und Blut kann ich noch tiefer gehen in die leibliche Wirklichkeit."
Musik immer wichtiger
"Ich hab’ mir überlegt: Wie kann ich das noch steigern? Und bin dann auf die Idee gekommen, eine Art Einführung für mein Sechs-Tage-Spiel in Mistelbach aufzuführen", berichtet Nitsch. "Die Musik wird im Zentrum stehen, aber es wird auch gezeigt werden, wie weit Musik und Aktion miteinander verbunden sind."
Die Musik spielte immer schon eine wichtige Rolle in den Arbeiten von Hermann Nitsch, "und ich würde fast sagen, je älter ich werde, desto wichtiger wird sie mir."
Mit Schreichören, Lärmorchestern und seit einiger Zeit verstärkt auch mit der Orgel schichtet Nitsch langgezogene Töne aufeinander, die letztlich die Musik seines Theaters hörbar machen wollen, so der Künstler. "Die Wurzeln meiner Musik liegen tatsächlich im Wesen der Tragödie, im exzessiven Schrei, in exzessiven Schmerz- und auch Lustlauten."
Fleisch, Blut, Wirklichkeit
Lust und Schmerz, Geburt und Tod, alles, was verdrängt wird, nach außen zu kehren, liegt ja auch im Wesen des Orgien-Mysterien-Theaters, das den Mittelpunkt des Nitsch-Universums bildet. In seinen Schriften hat Nitsch immer wieder auf die große Bedeutung von Blut und Fleisch in der gesamten Kunst- und Religionsgeschichte verwiesen. Als Symbol für irgendetwas wolle er das organische Material jedoch nicht sehen, sagt er nun.
"Mich fasziniert zum Beispiel die Materie der Farbe. Die schleimige Farbe, die man verschmieren kann, mit der man etwas verschmutzen kann", so Nitsch. "Fleisch und Blut sind nur die Steigerung der Materie der Farbe. Mit Fleisch und Blut kann ich noch tiefer gehen in die leibliche Wirklichkeit."
Einst vom Boulevard geschmäht und dämonisiert, gilt Hermann Nitsch heute als Galionsfigur des Wiener Aktionismus. Zumindest einen Traum hat der Künstler noch: 2020 soll in Prinzendorf noch einmal sein Opus Magnum, das 1998 verwirklichte Sechs-Tage-Spiel, aufgeführt werden. "Das könnt’ ich noch aus mir herausdrücken."