APA/DPA/ARNE DEDERT
Diagonal zur Person Maxim Biller
Liebe, Sex und Holocaust
Für die Sendung "Diagonal" verfasste Literaturkritiker Klaus Kastberger den folgenen Text über den Schriftsteller Maxim Biller.
20. November 2018, 02:00
"Sechs Koffer", das jüngste Buch von Maxim Biller hat es heuer auf die Shortlist des deutschen Buchpreises geschafft. Ein aktuelles Bild auf Facebook, das der Autor auf Facebook stellte, zeigt ihn und seinen Verleger wie sie den Livestream der Veranstaltung verfolgen und sich nach Verkündung der Preisträgerin gegenseitig trösten. Allzu viel Trost hat es aber im Fall von "Sechs Koffern" gar nicht gebraucht. Das Buch wurde von der bundesdeutschen Kritik geradezu abgefeiert. Ein Stoßseufzer ging durch das Feuilleton: Endlich wieder ein Roman von Maxim Biller, den man vorbehaltlos empfehlen kann.
"Sechs Koffer", das jüngste Buch von Maxim Biller hat es heuer auf die Shortlist des deutschen Buchpreises geschafft. Ein aktuelles Bild, das der Autor auf Facebook gestellt hat, zeigt ihn und seinen Verleger in einer Frankfurter Hotelbar nach der Verkündung der Preisträgerin. Billers Kommentar zum Bild: "Autor tröstet Verleger!" Allzu viel Trost hat es aber im Fall von "Sechs Koffern" gar nicht gebraucht. Das Buch wurde von der bundesdeutschen Kritik geradezu abgefeiert. Ein Stoßseufzer ging durch das Feuilleton: Endlich wieder ein Roman von Maxim Biller, den man vorbehaltlos empfehlen kann.
Beim vorletzten Buch des Autors, das vor zwei Jahren erschienen ist und ohne Zweifel Billers Opus magnum darstellt, war das anders. Das Buch hieß "Biografie". War aber keine. Vielmehr ist "Biografie" ein Roman, in dem es laut Aussage des Autors schlicht darum geht, die Abhängigkeit der Figuren von ihrer eigenen Lebensgeschichte aufzuzeigen. Für jemanden, der gerne so große Sprüche klopft wie Maxim Biller, erweckt eine solch harmlose Aussage umgehend Verdacht. Für einen Roman ist das ja wohl nichts Besonderes. Welche Figur, ob real oder fiktional, wäre in ihrem Charakter denn nicht von der eigenen Biografie abhängig?
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Höchst eigenartig ist das Buch "Biografie" dann auch aus ganz anderen Gründen. Der 2016 veröffentlichte Text umfasst knapp 900 Seiten. Zwischen Hamburg, Los Angeles, Buczaz und zahlreichen anderen Orten spannen sich verworrene Handlungsstränge. "Nach Buczacz" hätte das Buch ursprünglich heißen sollen. Das ist eine Stadt in der heutigen Ukraine, aus der die beiden Familien stammen, um die es in Biografie geht: Einerseits die Forlanis, mit einem millionenschweren Unternehmer namens Noah an der Spitze, und andererseits die Karubiners, denen der Ich-Erzähler von "Biografie" entstammt. Eingebettet ist dieser in ein ganzen Netzwerk abstrusester Figuren.
Die totale Familie
Die Hauptfigur von "Biografie", Solomon Karubiner, genannt Soli, ist Schriftsteller und als solcher ganze nahe am Autor Maxim Biller gebaut. Er ist ungefähr gleich alt wie der Autor, wie Biller in Prag geboren und mit seinen russisch-jüdischen Eltern und seiner Schwester 1968 nach Deutschland geflohen. Soli Karubiner ist ein literarischer Provokateur. Sein Vater hat den Holocaust überlebt und war dann als kommunistischer Spion tätig. Fast alle Figuren in dem Buch sind wie er vom Nationalsozialismus oder vom Stalinismus direkt gezeichnet oder leiden daran in zweiter oder dritter Generation.
Vereinendes Merkmal zumindest aller männlichen Figuren von "Biografie" ist ihr ausgeprägtes Verhältnis zum Sex. Die Schwänze, oder wie Biller sie nennt, "Dudeks", fliegen in diesem Buch wirklich sehr tief. Und ab und an tun sie es auch in Geschwader-Formation, die den Geschlechtsakt zu einer eher kruden Variante von Vergangenheitsbewältigung macht. Das reicht bis hin zu sogenannten "Goebbels-Sex-Videos", die in diesem Buch von den Nachkommen der Holocaust-Opfer in Szene gesetzt werden.
"Biografie" will eine amerikanische Sitcom sein und wirkt in seiner Gesamtheit dann auch tatsächlich so, als wären die "Royal Tenenbaums" oder etwa auch Heimito von Doderers "Die Merowinger" in eine solche geraten. Totale Familie und Tempo sind die bestimmenden Elemente des Buches. Gags und Ereignisse überschlagen sich. Einzelheiten halten den wilden Ritt von "Biografie" über hunderte von Seiten in Schwung. Soli wurde beispielsweise in einer Berliner Sauna dabei erwischt, sich beim Anblick eines nackten Frauenhinterns einen heruntergeholt zu haben. Ein unbegabter, schleimiger deutscher Schriftsteller namens Claus erpresst ihn damit. Die Sache verfolgt Soli bis hinein in seine sexuellen Phantasien.
Ein Opus magnum, das verstört
Die bundesdeutsche Literaturkritik reagierte auf das Buch "Biografie" äußert genervt. In fast allen großen Zeitungen erschienen Verrisse. Zwar sei der gewollte Schreib-Kraftakt gelungen, schrieb Lothar Müller in der "Süddeutschen Zeitung", der Roman in konsequenter Verfolgung dieses Ziels aber am Ende ziemlich restlos zu Tode geritten worden. Viel zu viele Figuren auch, eine verworrene Handlung und eine im Endeffekt nur noch dumpf wirkende Originalität.
Die wenigen Kritiker, die an dem Buch etwas zu loben fanden, wie beispielsweise Georg Diez im "Spiegel", bemühten sich zu sagen, dass sie mit dem Autor befreundet sind. Das klingt verdächtig, nämlich wie nach einer Vorab-Entschuldigung für ein mögliches Fehlurteil. Warum aber nervte Biller mit seinem Buch "Biografie" die deutschen Kritiker so? Weil er mit polternden Sprüchen immer wieder selbst als Kritiker auftritt? Oder weil er die gesamte deutschsprachige Gegenwartsliteratur alle paar Jahre kollektiv als "Schlappschwanzliteratur" bezeichnet? Oder weil er, wie er in der Auseinandersetzung mit den Rezensionen von "Biografie" selbst gemeint hat, der bundesdeutsche Betrieb noch immer in Nazi-Mustern strukturiert?
Der deutsche Kritiker Rainer Moritz hat der Antisemitismus-Keule, die Biller schwingt, in der "Neuen Zürcher Zeitung" widersprochen und damit, was den Einzelfall betrifft, auch sicher recht. Aber es gibt darüber hinaus noch etwas, das Maxim Biller und seiner "Biografie" in dieser Debatte strukturell Recht gibt. Billers Literatur nämlich stellt im größeren Rahmen der deutschen Literatur eine kleine Literatur genau in dem Sinn dar, in dem die beiden Franzosen Gilles Deleuze und Felix Guattari anhand von Kafka von einer solch "kleinen" Literatur gesprochen haben. Das Individuum äußert sich in einer solchen Literatur stets stellvertretend für die Gruppe und es erwächst seiner Rede schon deshalb ein unmittelbar politischer Sinn.
Maxim Biller spricht, wenn er in "Biografie" in ausufernden Formen und scheinbar nur noch vor und für sich selbst spricht, niemals für sich allein, sondern er spricht als Jude in Deutschland immer für die Gruppe, zu der er gehört. Gerade aus dieser Situation heraus korrespondiert auf Seiten der deutschen Literaturkritik bei allem, was sie an diesem Buch schlecht fand, ein unangenehmes Gefühl.
Nominiert für den deutschen Buchpreis
Mit seinem neuen Buch, "Sechs Koffer", bietet Maxim Biller der deutschen Kritik jetzt aber sehr schnell eine Gelegenheit, dieses schlechte Gewissen gleich wieder loszuwerden. Der Autor liefert nämlich mit diesem Roman genau das ab, was er mit dem Titel von "Biografie" versprochen hatte: Eine klassische geformte Geschichte aus der eigenen Familie. Aus sechsfacher Perspektive wird in "Sechs Koffer" ein Verrat am eigenen Großvater geschildert. Der Tate wurde bei den Stalinisten denunziert und daraufhin ermordet. Unter Verdacht steht diesmal der autobiografische Hintergrund des Buches selbst, nämlich die eigene Familie.
Die bundesdeutsche Kritik zeigte merklich erleichtert: Endlich konnte mal wieder ein Buch von Maxim Biller für gut befunden werden. Zwar hat es zum deutschen Buchpreis nicht ganz gereicht. Aber immerhin setzte sich auch das literarische Quartett wohlwollend mit dem Roman auseinander. Einziger Schönheitsfehler: Maxim Biller, der sich vor einiger Zeit aus dieser Kritikerrunde zurückgezogen hat, fehlte als Diskutant. Ohne ihn aber war auch dieses Gespräch eher flau.