Geröll in Pongau

APA/MARKUS WINKLER

Roman von Hanna Sukare

Schwedenreiter

Ein zwischen Fakten und Fiktion changierende Roman von Hanna Sukare.

Mit "Schwedenreiter" ist Hanna Sukare wohl eines der wichtigsten Bücher des Gedenkjahrs gelungen. Der Roman ist ein kraftvoller Aufschrei gegenüber der österreichischen Geschichtsvergessenheit, ein Buch, dessen Nachhall weit über die Literatur hinausreicht. Mehr als 70 Jahre nach Kriegsende, so führt uns Sukare jedenfalls unmissverständlich vor Augen, wird noch immer viel vertuscht, verdrängt und zurechtgebogen. Der Zweite Weltkrieg wuchert weiter, bis in unsere Gegenwart hinein.

Verkehrtes Geschichtsbild

Die Gegenwart, das ist auch jene von Paul Schwedenreiter, dem Ich-Erzähler, der aus Stumpf im Innergebirge stammt. Sein Großvater war Wehrmachtsdeserteur, seine Urgroßmutter deswegen im KZ. Der Mann ebenso wie der Ort ist Fiktion, die dahinter liegende Geschichte nicht. In "Schwedenreiter" hat Hanna Sukare, 1957 geboren und 2016 mit dem Rauriser Literaturpreis ausgezeichnet, den Umgang mit dem "Goldegger Sturm" aufgearbeitet:

Im Juli 1944 hatten Nazi-Schergen die Pongauer Ortschaft Goldegg nach Wehrmachtsdeserteuren durchsucht und dabei 14 Menschen ermordet und 50 ins KZ deportiert. Die Autorin hat Verwandtschaft in der Gegend und weiß schon lange um die Täter-Opfer-Umkehr, die bis heute das lokale Geschichtsbild prägt: In der Ortschronik von 2008 werden die Deserteure als "Landplage" bezeichnet, ein SS-Offizier wird dagegen als Retter des Ortes gefeiert.

Auf den Spuren des Gebirgsjägers

Hanna Sukare zeichnet ihren Protagonisten Paul Schwedenreiter als einen Einzelgänger, der seit dem Tod seiner Lebensgefährtin die Last der Vergangenheit ganz alleine schultern muss. Und diese wiegt schwer: Nach dem Krieg wurde seine Urgroßmutter als "KZlerin" gedemütigt und blieb als sogenannte "Politische" ohne finanzielle Unterstützung. Sein Großvater schämte sich den Rest seines Lebens, desertiert und überlebt zu haben.

Von Berufs wegen übt Schwedenreiter die metaphorisch aufgeladene Arbeit des Brückenmeisters aus, die ihn, wie er sagt, zum "Rissexperten" macht. Die Risse in Stumpf weiß er aber nicht zu kitten: Die Ortgemeinschaft will von der politischen Rehabilitierung der Deserteure in Österreich nichts wissen und begegnet Pauls Ansuchen um eine solche mit Ignoranz - was ihn schließlich zum hartnäckigen Geschichtsrechercheur werden lässt.

Das Vorhaben, die veröffentlichte Ortschronik zu widerlegen, lässt ihn tief in den Werdegang des angeblichen Ortsretters, des sogenannten "Gebirgsjägers", eintauchen: Seine Nachforschungen sind ein zehrendes Unterfangen, das ihn an den Rand seiner Kräfte bringt. Im Dickicht der erlogenen Biografie, das sich in Form von Zetteln, Ordnern und Dokumenten mehr und mehr in seiner Wohnung ausbreitet, kann Paul letztlich nur erahnen, dass der hochrangige, kriegsversehrte Nazi die Gemeinde vermutlich nicht vor einer Deportation bewahrt hat, diese ist nirgendwo belegt.

Ein literarisches Denkmal

Bitterböse und pointiert ist "Schwedenreiter" - und gespickt mit Sätzen, die den Zorn auf die schlampige Entnazifizierung, die laschen Gesetze und die verkrustete Ortgeschichte widerhallen lassen. Den Sachlichkeitszwang, den Paul sich auferlegt hat, lässt Hanna Sukare ganz bewusst scheitern und zeigt, was Literatur in der Beschäftigung mit historischen Faktizitäten sprachlich und erzählerisch leisten kann.

Mit ihrem "Heimatroman", so der Untertitel, ist es der Autorin auch abseits des literarischen Terrains gelungen, aufzuwühlen, was schon lange vor sich hin schwelte. Nicht nur zum Wohlgefallen: Die lokale Presse sah in "Schwedenreiter" eine Art Nestbeschmutzer-Roman; kurz nach Veröffentlichung des Buches wurde sogar das auf Privatgrund errichtete Deserteursmahnmal beschmiert. Die Ortschronik von Goldegg, sie wird, Sukare sei Dank, jetzt tatsächlich überarbeitet.

Neben Empörung, Last und Ohnmacht klingt in diesem Buch, so lässt sich noch hinzufügen, auch viel Zuneigung an: Nicht zuletzt ist "Schwedenreiter" eine ungeheuer zärtliche, auf ihre Art eigenwillige Verneigung vor den Toten - inklusive seltsamer Rituale wie gesungener Litaneien und Erinnerungs-Seifenblasen, die Paul zur Dachluke hinauslässt. Ein Stück weit also auch ein literarisches Denkmal für die österreichischen Wehrmachts-Deserteure - für, wie Hanna Sukare es sagt, "unsere mutigen Feiglinge, unsere feigen Mutlinge".

Text: Paula Pfoser

Service

Hanna Sukare, "Schwedenreiter", Otto Müller Verlag

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