Die Händer von Computerspielern

APA/DPA/OLIVER BERG

Journal-Panorama

Spiel-, Sex- und Kaufsucht: Wenn ich nur aufhören könnt' ...

Abhängigkeitserkrankungen werden oft ausschließlich mit Drogen, Nikotin oder Alkohol in Verbindung gebracht. Doch es gibt Formen psychischer Zwänge, die nicht an die Einnahme von psychoaktiven Substanzen gebunden sind: Es handelt sich um die sogenannten "substanz-unabhängigen Verhaltenssüchte", zu denen etwa die Online-, die Glücksspiel-, die Kauf- aber auch die Sex-Sucht gehört. Auch bei diesen Süchten sind Kontrollverlust, Entzugserscheinungen, das Vernachlässigen anderer Interessen, aber auch eine nötige Dosis-erhöhung typische Anzeichen einer Erkrankung.

Weltweit könnten schon zwei Prozent der Bevölkerung an "gaming disorder" leiden, also an Online-Spielsucht. Besonders gefährdet sind junge Burschen, die in virtuelle (Spiel-)Welten abdriften und zuerst normale Sozialkontakte vernachlässigen - und dann ganz verlieren. Man agiert mit Avataren oder virtuellen Gegnern statt mit realen Menschen. Unter den 15- bis 18-Jährigen könnten neuen Schätzungen zufolge sogar schon bis zu vier Prozent online-spielsüchtig sein. Auch in Österreich.

Es gibt zwar keine genauen Zahlen, aber wenn man vorliegende Daten aus Deutschland umlegt, könnten nach Angaben von Suchtexperten bereits 80.000 Österreicher betroffen sein. Die Jugendlichen verbringen Stunden mit exzessivem Computerspielen, Häufigkeit und Dauer entgleiten ihnen. Sie haben keinen normalen Schlafrhytmus mehr und dopen sich mit Energydrinks, um nicht müde zu werden und lange durchhalten zu können, bestätigt der Leiter des Anton Proksch Instituts, Michael Musalek.

Wenn das Leben im Netz wichtiger wird, als das wahre

Seit einem halben Jahr sieht die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Online-Spielsucht als eigenständige Krankheit an. In ihrem Katalog der Krankheiten, dem sogenannten ICD-11, werden eindeutige Symptome beschrieben, die den Ärzten bei Verdacht eine Diagnose erleichtern sollen. Betreffend die Online-Sucht lautet die Definition: Wenn ein Mensch alle anderen Aspekte des Lebens dem Spielen unterordnet und trotz negativer Konsequenzen weitermacht und dies über einen Zeitraum von mehr als zwölf Monaten läuft, dann gilt er als online-süchtig.

Verhaltenssüchte werden in Gruppen- und Einzeltherapie behandelt. Für schwer abhängige Online-Süchtige ab 17 Jahren bietet das Anton Proksch Institut in Wien seit September auch ein stationäres Therapie-Angebot an - acht Wochen dauert die Behandlung. Da vollkommene Internet-Abstinenz heutzutage unrealistisch ist, werden Smartphones aber nur zu Therapiebeginn abgenommen. Sukzessive wird begrenzter Handy-Gebrauch dann wieder erlaubt. Ziel ist ein kontrollierter und dosierter Umgang mit dem Netz - denn gar nicht digital zu agieren, ist heutzutage auch nicht normal. Viele Süchtige schämen sich dafür, ihren Online-Konsum nicht unter Kontrolle zu haben.

"Es hat mit meiner Erziehung zu tun. Meine Mutter war immer sehr behütend und wollte mich immer daheim behalten. Soziale Kontakte waren für mich dementsprechend schwer aufzubauen und ich hab´ einen Zeitvertreib gebraucht. Da ist das Computerspielen sehr günstig gewesen. Es ist einfach gegangen, es ist schnell gegangen - und ich hab mich sehr gut darin verlieren können." Werner Prohaska, Astronomiestudent, war jahrelang online-spielsüchtig

Ich kauf' mir was, kaufen macht so viel Spaß ...

Das Internet kann auch für Kaufsucht-gefährdete Menschen fatal werden: Denn die Online-Shops haben rund um die Uhr geöffnet. Nach aktuellen Erhebungen sind in Österreich schon elf Prozent der Bevölkerung kaufsüchtig, jede vierte Person gilt als kaufsuchtgefährdet. Diese Zahlen hat die Arbeiterkammer erhoben und dafür Konsumenten ab 14 Jahren befragt. Kaufsüchtige erwerben Waren, die sie nicht brauchen oder die sie sich nicht leisten können. Besonders gefährdet sind junge Frauen. Der Kaufakt verschafft ein Gefühl der Befriedigung, nicht das erstandene Produkt.

Oft werden die Dinge deshalb nicht einmal ausgepackt, sondern nur aufbewahrt. Man kauft nicht einen Mixer, sondern vier; nicht ein bestimmtes T-Shirt, sondern auch andere Größen und Farben des Modells - und kommt letztlich mit einem ganzen Stapel von Leiberln nach Hause - und so weiter. Extreme Formen von Kaufsucht können in ein Messie-Syndrom münden. Weil sich die Betroffenen nicht von dem unnötig Gekauften trennen wollen, horten sie Waren, bis ihr Haus oder die Wohnung fast nicht mehr begehbar sind. Manche mieten sich sogar Lager, um die Dinge aufbewahren zu können.

Kaufsucht wird durch mangelnde Zuwendung verstärkt

Kaufsucht kann auch dadurch begünstigt werden, dass es vielen Menschen in der heutigen Welt zunehmender Singlehaushalte an Aufmerksamkeit fehlt. Die holen sie sich dann beim Shoppen, etwa wenn sich Verkäuferinnen intensiv um eine Kundin bemühen. Das kann die Sucht verstärken. Die Kundin steht im Mittelpunkt, wird hofiert, bedient und wertschätzend behandelt. Viele kaufsüchtige Frauen gehen gerne in Schuhgeschäfte, sagt die Wiener Psychologin Isabella Rankin: Schuhe kaufen ist kundenorientiert, man braucht in einem Schuhgeschäft noch eine Verkäuferin, die die Schachteln aus dem Lager holt.

Oft tritt pathologisches Kaufen parallel zu einer anderen psychiatrischen Erkrankung wie einer Depression oder einer Angststörung auf. 17 Prozent der kaufsüchtigen Österreicherinnen und Österreicher bestellen per Mausklick. Aber auch da kann der Faktor Aufmerksamkeit punkten - schließlich läutet der Briefträger immer wieder und bringt ein - vermeintliches - "Geschenk". Kaufsucht ist schambesetzt, viele leiden "heimlich" und unbemerkt. Oft fällt das Zwangsverhalten erst dann auf, wenn sich Schulden angehäuft haben und die Betroffenen zahlungsunfähig werden. Bei ausreichender regelmäßiger therapeutischer Behandlung können dennoch, so der Suchtexperte Michael Musalek, 80 Prozent geheilt werden.

Sexsucht ist alles andere als lustvoll

Weil das Internet rund um die Uhr geöffnet hat und mittels Smartphone immer dabei ist, verführt es auch jene Menschen, die permanent auf der Suche nach sexuellen Reizen sind. Schätzungen zufolge leiden drei bis sechs Prozent der Österreicher an Pornografie-Sucht. Es sind deutlich mehr Männer betroffen als Frauen. Das Verhältnis beträgt etwa fünf zu eins. Was in der Phase einer ersten Verliebtheit mit einem neuen Partner vielleicht ganz "normal" sein kann, wird zur Obsession. Immer wieder muss Druck abgebaut werden - beim Pornoschauen. Mehrmals am Tag brauchen diese Menschen sexuelle Reize, die meisten holen sie sich aus dem Netz. Viele übersehen dabei, dass sie dabei nicht anonym unterwegs sind.

Sukzessive gehen die Sozialkontakte zurück, Schule oder Beruf werden vernachlässigt. Für viele Leidende führt der unaufhaltsame Zwang dazu, dass sie von einem Partner oder am Arbeitsplatz beim einschlägigen Computer-Konsum erwischt werden. Bei "Sex-Sucht" ist nicht ganz klar, ob eine Sucht, eine Zwangsstörung oder eine nicht ausreichende Impulskontrolle von Trieben vorliegt, als anerkannte Krankheit gilt sie - noch - nicht. Bei vielen Betroffenen führt das zu viel an Cyber-Sex schnell zur Vereinsamung, sie verlernen, mit lebenden Menschen intim zu werden. Beginnt der Leidensweg schon im Teenageralter ist es möglich, dass man nie "reale" Sexualkontakte hat und auf die - Fake-Welt der Pornos geprägt wird. Der Weg aus der Pornosucht ist lang und komplex, meist ist großer Therapieaufwand nötig, manchmal auch eine Totalabstinenz über drei bis sechs Monate.

"Das ist eindimensional, da ist ja keine Interaktion mit jemandem. Es ist virtueller Cybersex. Ich habe nie kennengelernt, was Sexualität in der Ursprungsform ist. Und dass das herzlich wenig mit Pornografie zu tun hat!" Phil Pöschl, Geschäftsführer von Safersurfing, einem Verein zum Schutz vor Internet Pornografie, war jahrelang pornografie-süchtig.

Das Glück is' ka Vogerl

Zu den substanzunabhängigen Verhaltenssüchten zählt auch die Glücksspielsucht. Geschätzte 60.000 Personen leiden in Österreich daran; einer Sucht, die nicht selten im finanziellen Ruin endet. Das legale Glücksspiel in Casinos, Wettbüros sowie bei Lotterien, regelt in Österreich das Glücksspielgesetz. So manche Spielerkarriere beginnt allerdings online im "stillen Kämmerchen" oder an illegal in Hinterzimmern von Lokalen aufgestellten Automaten. Meist mit einem Spontan-Gewinn, der dann Lust auf mehr macht.

80 Prozent der Spieler in Österreich sind männlich, die meisten zwischen 35 und 45 Jahre alt, sehr oft beginnt die Suchterkrankung - wie stoffgebundene Süchte - aber auch mit einem traumatischen Erlebnis: Dem Tod eines geliebten Menschen, mit dem ungewollten Ende einer langen Partnerschaft oder dem Verlust des Arbeitsplatzes. Beginnt man in so einer Sinnkrise zu spielen, wird man zunächst abgelenkt, empfindet vielleicht Erleichterung durch das Spielen. Doch schon bald wird es eine schmale Gratwanderung zwischen Verzweiflung und Euphorie. Es kommt zum Kontrollverlust, die Sucht wird schnell zum Lebensmittelpunkt, soziale Kontakte und die Arbeit werden vernachlässigt.

Wenn der Leidensdruck existentiell wird

Pathologische Spieler sagen von sich selbst, sie seien "angefixt", jedenfalls sind sie Getriebene. Auch wenn sie sprichwörtlich schon Haus und Hof verspielt haben, können sie nicht aufhören: Sie warten auf den sogenannten "magic moment": Den Moment, in dem ihnen das Glück hold sein "muss", wie sie glauben, weil sie ja schon so viel Geld verspielt haben. Wenn der Leidensdruck existentiell wird, sieht der pathologische Spieler keinen anderen Ausweg mehr, als weiter zu spielen, um das verlorene Geld zurück zu gewinnen. Diese Menschen denken dann: "Heute ist mein Glückstag" - eine Spirale, die nur nach unten gehen kann, wie die Experten vom Anton Proksch Institut wissen.

Schon 70 Prozent jener Spieler, die in Österreich von der Spielsuchthilfe betreut werden, setzen auf das Netz. Eine gefährliche Entwicklung, meint man etwa in der Abteilung für "responsible gaming" der Casinos Austria, denn es ist nicht egal, ob Spielsüchtige alleine zu Hause am PC oder coram publico an einem Spieltisch sitzen: Beim Gamblen daheim fehlt jegliche soziale Kontrolle. Im Casino gibt es Alterskontrollen, Aufklärungskampagnen, sogar die Möglichkeit der Selbstsperre. Sollten Spielweise und finanzielle Möglichkeiten nicht mehr harmonieren, wird eine Totalsperre verhängt - das passiert in Österreich rund 1.000 Mal im Jahr.

Der Übergang von einem gesunden zu einem krankhaften Verhalten, verläuft oft schleichend. Man sollte wachsam sein: Besteht ein unbedingter Drang, ein Verhalten auszuüben? Benehmen sich betroffene Menschen über einen längeren Zeitraum auffällig? Entgleitet die Kontrolle bezüglich Dauer, Häufigkeit und Intensität eines Verhaltens? Zeigt sich ein unwiderstehliches Verlangen - sprich ein Suchtverhalten? Dreht sich immer öfter alles um das Computerspielen oder Pornoschauen, wird Unnötiges gekauft, womöglich gehortet oder entgleitet das Glücksspielen zum Balanceakt zwischen Gewinn und Existenzbedrohung? Fest steht: Alle Betroffenen leiden - und sie brauchen professionelle Hilfe.

Service

Anton Proksch Institut
Psychotherapeutische Ambulanz Sigmund Freud Privatuniversität
Responsible gaming Casinos Austria
Verein Safersurfing, für ein Leben ohne Pornografie
Pro mente OÖ

Gestaltung