DUMONT
Roman
Michel Houellebecq: "Serotonin"
Ab Montag (7.1.) gibt es den neuen Roman von Michel Houellebecq auch auf Deutsch: "Serotonin", so der Titel, ein Glückshormon, das der Protagonist, ein deprimierter 46-Jähriger ausgiebig konsumiert. Bereits vor Erscheinen ist die Houellebecq-Maschinerie mit den üblichen Provokationen des französischen Autors angelaufen.
7. Februar 2019, 02:00
Morgenjournal | 07 01 2019
Gewiss - es ist wieder ein echter Houellebecq. Seitenlang darf man erneut über den Zustand oder die Qualität von weiblichen oder männlichen Genitalien lesen, Seitenhiebe auf Holländer in einer spanischen Nudistenkolonie, sich suhlen im grenzenlosen Zynismus eines abgehalfterten Mitvierzigers aus der oberen Mittelklasse, der sich doch glatt an seine Unterschichtenleser wendet, um ihnen zu erklären, was eine Mastersuite ist.
Nichts ist neu
Der Erzähler, der keine Freunde hat, sich an permanenten Fußballübertragungen ergötzt, sich über Antidepressiva auslässt und sich von vorne bis hinten durch fast alle Sorten von Alkohol trinkt, Frauen meist als "Schlampen" bezeichnet, Homosexuelle nicht leiden kann und Europa und die gesamte Bürokratie natürlich sowieso nicht. Kurzum: nichts ist neu an diesem Houellebecq mit seinem permanent Menschen-verachtenden Unterton.
"Man kann mich loben"
Michel Houellebecq
Der Autor selbst, der gerade mal wieder keine Interviews gibt, hatte im Herbst, als er "Serotonin" schon längst abgeschlossen hatte, bei der Verleihung eines drittklassigen Literaturpreises für sein Gesamtwerk mit der reichlich hohen Meinung von sich selbst nicht hinter dem Berg gehalten:
"Es gibt eine Kategorie von Phänomenen unserer Welt, die man heute als Houellebecqsche bezeichnet und die vor mir nicht beschrieben worden waren - das stimmt wohl. Man kann mich dafür loben, Lebensweisen in unserer Welt ausfindig gemacht zu haben, die zuvor nicht beachtet worden waren."
Michel Houellebecqs "Serotonin" ist in der Übersetzung von Stephan Kleiner bei Dumont erschienen.
Friedensfreund Trump
Und weil das Erscheinen eines Houllebecqschen Romans auch immer von größeren oder kleineren Skandälchen begleitet sein muss, hat der Autor diesmal zeitgerecht für "Harper's Magazine" einen Text abgeliefert, in dem er Donald Trump als großen Präsidenten bezeichnet und als Friedensfreund preist.
Teile der französischen Kritik haben Houllebecq auch diesmal wieder - und ebenso unberechtigt wie schon vor vier Jahren beim Erscheinen seines Romans "Die Unterwerfung" - als Visionär und Propheten bezeichnet. Weil Bauern in diesem Roman jetzt eine Autobahnzufahrt blockieren, hat Houellebecq noch lange nicht die Gelbwestenbewegung vorhergesehen. Vor zwei Jahren gab es eben in der Normandie - wo ein Gutteil der Romanhandlung angesiedelt ist - die Rotmützenbewegung, die damals schon eine Ökosteuer zu Fall gebracht hatte.
Pure Provokation
Am Ende seines über dreihundert Seiten starken Werks berechnet die Hauptfigur die Fallgeschwindigkeit von nicht ganz fünf Sekunden bei dem bevorstehenden Selbstmord aus einem Wolkenkratzer im 13. Pariser Arrondissement, wo der Autor tatsächlich selbst lebt. Nicht ohne, dass Houellebecq wenige Seiten zuvor und aus völlig heiterem Himmel Goethe ein altes Rindvieh nennt, einen deutschen Humanisten mit mediterranem Einschlag und einen der grauenvollsten Schwafler der Weltliteratur.
Vielleicht ist dieser siebte Houellebecq-Roman nun doch derjenige, nach welchem es mit dem Stiefellecken ein Ende hat, vor einem Autor, der die pure Provokation und den schier unermesslichen Zynismus zum immer wiederkehrenden Prinzip seiner Romanwelten erhoben hat.
Service
Mehr dazu in:
ORF.at - Houellebecq schickt Frankreich in die Hölle
fm4.ORF.at - Houellebecq schafft sich ab
Michel Houellebecq, "Serotonin", Roman, aus dem Französischen von Stephan Kleiner, Dumont