MATTHIAS HORN
Berliner Ensemble
Castorf bringt "Galileo Galilei" auf die Bühne
Der frühere Intendant der Berliner Volksbühne, Frank Castorf, hat seit dem Auslaufen seines Vertrages kein "eigenes" Theater mehr und inszeniert deshalb jetzt am Berliner Ensemble. Auch dort hat sich seit dem Abgang von Claus Peymann einiges verändert. Der neue Intendant Oliver Reese hat als eine seiner ersten Amtshandlungen Castorf in Berlin eine neue künstlerische Heimat geboten. Und der probt jetzt einen Theaterabend von und nach Bertolt Brecht unter dem Titel "Galileo Galilei. Das Theater und die Pest." Am Samstag ist Premiere.
18. Februar 2019, 02:00
Morgenjournal | 18 01 2019
Birgit Schwarz
Frank Castorf nennt das Berliner Ensemble das "schöne, dunkle Theater am Schiffbauerdamm", Bertolt Brechts Theater. Den "Galilei" habe er sich auf Bitte von Intendant Oliver Reese vorgenommen. Die Geschichte des Mathematikers Galileo Galilei, der beweisen kann, dass sich die Erde um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, und der damit ins Visier der Inquisition gerät, sei ein historischer Schinken mit einer schönen Rolle, so Castorf. Und die übernehme zum Glück der immerhin schon 86-jährige Ausnahmeschauspieler Jürgen Holtz.
MATTHIAS HORN
Jürgen Holtz in der Titelrolle
Ein besonderer Mensch, der auch die notwendige Weisheit in den Stoff mit einbringe, so Castorf: "Insofern haben wir uns ganz gut verstanden, weil ich nicht widerspreche, und er macht, was er will." So habe sich Holtz durchgesetzt mit dem Wunsch als Galilei zu Beginn des Stücks nackt aufzutreten - unverdorben wie ein Neugeborenes. Noch kein Opportunist, der seine Thesen widerruft, um sich zu schützen.
Was nie bezweifelt wurde, das wird jetzt bezweifelt. Doch genau diese Zweifel sind unerwünscht. Galilei bekommt es mit der Inquisition zu tun. Und der Schöpfer des Stücks, Bertold Brecht, soll in seinem amerikanischen Exil in der McCarthy-Ära öffentlich dem Kommunismus abschören. Für Frank Castorf eine Parallele: "Er wird später im Ausschuss für unamerikanische Tätigkeiten sitzen, und er wird sich ähnlich wie Galilei in seinen vier Anhörungen vor der Inquisition verhalten. Klug vielleicht, vielleicht auch opportunistisch - aber überlebend."
APA/BARBARA GINDL
Frank Castorf
Das kollektive Bewusstsein verändern
In Castorfs Theateruniversum gibt es nie nur einen Fixstern. Auch diesmal vermischt der Regisseur die Vorlage von Bertolt Brecht mit anderen Texten, diesmal von Antonin Artaud, dem anarchisch-experimentellen französischen Theatertheoretiker. Artaud geht es wie Castorf um größtmögliche Grenzüberschreitung. Beide sehen Theater als Mittel, das kollektive Bewusstsein der Zuschauer zu verändern.
Wobei der Linke Castorf zu diesem Anspruch gleich wieder auf ironische Distanz geht: "Das kennen wir ja als Linke. Wir denken, wir müssen die ganze Gesellschaft ändern, deshalb gehen wir an einem Bettler vorbei – wir selbst müssen nichts mehr geben. Das ist eine Systemfrage."
Theater als Zustand des Außer-sich-Seins
Und genau diesen Fragen will Castorf als Theatermacher nachspüren. Mit den von ihm bevorzugten Mitteln. Theater als Zustand des Außer-sich-Seins. Seinen Schauspielern verlangt er körperliche Höchstleistungen ab. Auch diese Inszenierung wird mehrere Stunden dauern. Und er selbst weiß sich dabei in einer sehr geschützten und privilegierten Position. "Theater - das ist doch das Wunderbare in Deutschland, Österreich, in der Schweiz -, dass wir hier einen staatlich subventionierten Freiraum haben. Wir kriegen Geld dafür, dass wir solche Fragen stellen."
Und offenbar interessiert sich in Berlin auch eine große Fangemeinde für Castorfs Art, auf der Bühne Fragen zu stellen. Die Premiere und die ersten Vorstellungen sind längst ausverkauft.