PETER VON FELBERT
Roman
"Winterbergs letzte Reise" von Jaroslav Rudis
Pünktlich zum Gastlandauftritt von Tschechien bei der Leipziger Buchmesse erscheint der neue Roman von Jaroslav Rudis, "Winterbergs letzte Reise". Das Werk ist für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert.
29. März 2019, 02:00
Jaroslav Rudis ist einer der international bekanntesten tschechischen Autoren seiner Generation. Der 46-Jährige, der in Prag und Berlin lebt, hat zuletzt mit seinem Roman "Nationalstraße" die Kritik überzeugt, einem Roman über einen Wendeverlierer aus der Prager Vorstadt, über Fremdenhass und Abschottung.
Morgenjournal | 26 02 2019
Kulturjournal | 26 02 2019 - Gespräch mit dem Autor
Mit der Eisenbahn durch Mitteleuropa
Der Tscheche Jan Kraus lebt als Altenpfleger in Berlin. Sein aktueller Patient heißt Wenzel Winterberg und der will seine letzten Tage sozusagen auf Schiene verbringen - mit der Eisenbahn reisen Kraus und Winterberg durch Europa: Ein unglücklich Verliebter mit einer Neigung zum Alkohol und ein 99-jähriger Schwerkranker, auf den Spuren einer verlorenen Liebe und getrieben von seiner Leidenschaft für Geschichte und Eisenbahnen.
Die teilt Winterberg auch mit Jaroslav Rudis: "Es war mein inniger Wunsch Eisenbahner zu werden, aber da war mir meine Brille im Weg, ich bin leider halb blind. Also musste ich aufs Gymnasium und habe dann Geschichte und Germanistik studiert. Aber diese Liebe zur Eisenbahn ist mir geblieben und die taucht immer wieder in meinen Geschichten auf."
PETER VON FELBERT
Jaroslav Rudis
Ein Jahrhundert europäischer Geschichte
Diese Reise führt durch ein Jahrhundert europäischer Geschichte und quer durch Mitteleuropa - von Berlin über Königgrätz, Budweis und Pilsen, Wien und Budapest nach Sarajewo. "In meinem Arbeitszimmer hängt eine große Eisenbahnkarte aus der österreichischen Monarchie, und wenn man sich das anschaut, sieht man, was von Österreich-Ungarn geblieben ist: unser Eisenbahnnetz. Heute ist das viel komplizierter, da kommt man nicht so einfach mit dem Zug nach Sarajewo."
In der Tasche hat Winterberg einen Baedeker aus dem Jahr 1913, und im Kopf sämtliche Details der österreich-ungarischen Geschichte. Jaroslav Rudis hat seine Protagonisten aber nicht auf eine Nostalgie-Reise geschickt. "Es ist ja unglaublich schön, 'malerische Aussichten', steht immer wieder auch im Baedeker, aber mich hat interessiert was dahintersteckt, all diese Leichen im Wald."
Wütend und traurig
Tatsächlich ist Wenzel Winterberg ist von einem tiefen Kulturpessimismus gebeutelt. In seinen langen Monologen kann man mitunter auch Thomas-Bernhard-Anklänge vernehmen: "1913 - das ist das wahre Umsturzjahr, danach ging es mit der Eisenbahn und mit der Geschichte und mit dem Mitteleuropa auch nur bergab, es ging steil bergab in die geistige Umnachtung."
Jaroslav Rudis stimmt Winterberg zu und kommt gleich auf die rigide Flüchtlingspolitik der tschechischen Regierung zu sprechen. "Dass hier in Prag oder Brno nicht nur Tschechen gelebt haben, sondern auch Deutsche und Juden, das haben wir offenbar vergessen, zu K.u.k.-Zeiten war das alles noch viel mehr durchmischt. Jetzt sind wir unter uns und sitzen wir hier in diesem böhmischen Tal alleine und ertrinken langsam in unserem Bier. Das macht mich wütend und traurig."
In die Hauptstadt Wien
Mit "Winterbergs letzte Reise" hat sich Jaroslav Rudis zumindest die einstige Zweisprachigkeit seiner böhmischen Heimat zurückerobert, es ist der erste Roman, den er auf Deutsch geschrieben hat. "Wenn man als Tscheche beide Sprachen beherrscht, versteht man das Land viel besser. Unter Freunden sagen wir immer, wir fahren in die Hauptstadt, wenn wir nach Wien fahren." - "Winterbergs letzte Reise", das ist eine rasante Road-Novel oder vielleicht besser: Railroad-Novel, ein üppiger fakten- und pointenreicher europäischer Roman.
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Jaroslav Rudis, "Winterbergs letzte Reise", Roman, Luchterhand
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