Papst Franziskus und Kardinäle in Rückenansicht

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Praxis

Anti-Missbrauchskonferenz war "verpasste Chance"

Doris Wagner-Reisinger, jene ehemalige Ordensfrau der sogenannten Neuen geistlichen Familie "Das Werk", die erst kürzlich mit ihrem Buch über spirituellen Missbrauch in der katholischen Kirche und ihrem öffentlichen Gespräch mit Kardinal Christoph Schönborn aufhorchen ließ, zieht im Religionsmagazin "Praxis" eine ernüchternde Bilanz des vatikanischen Bischofsgipfels.

Papst Franziskus hat bei seiner Abschlussrede der Anti-Missbrauchskonferenz im Vatikan erneut ein hartes Durchgreifen der katholischen Kirche gegen sexuellen Missbrauch und ein Ende der Vertuschung versprochen. Allerdings zeigte er bei seiner Rede keine konkreten Schritte auf, wie die Kirche zu diesem Ziel kommen will.

Papst und Kardinäle, Blick durch den Mittelgang einer Kirche

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Missbrauchsopfer haben empört darauf reagiert. "Es sind nur leere Worte“, kritisierte etwa ein Sprecher der Organisation "End of Clergy Abuse“, die während des Gipfeltreffens wiederholt auf dem Petersplatz demonstriert hatte. Eine "verpasste Chance“, nennt Doris Wagner-Reisinger die Konferenz gegenüber dem Ö1 Religionsmagazin "Praxis"- zumindest, was die Einbindung von Missbrauchsopfern betrifft. Dabei wären sie so nahe gewesen, gewissermaßen ums Eck, so Wagner-Reisinger.

Die ehemalige Ordensfrau der sogenannten Neuen geistlichen Familie "Das Werk" hat am Rande der Konferenz in Rom andere Menschen getroffen, die Opfer sexueller, physischer oder psychischer Gewalt durch Geistliche geworden sind. Diese Treffen seien solidarisch und in sehr guter Atmosphäre verlaufen, erzählt die studierte Theologin und Philosophin.

Kardinal Reinhard Marx

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Kardinal Reinhard Marx

Gegenseitige Unterstützung der Betroffenen

Die Betroffenen wären mit einer "unglaublichen gegenseitigen Unterstützung, einem positiven Geist und einem großen Selbstbewusstsein" präsent gewesen und auch von den Medien wahrgenommen worden. "Das war eine wahnsinnig positive und starke Stimmung“, so Doris Wagner-Reisinger. Diese positive Stimmung sei sogar auf einige Bischöfe übergeschwappt, die "sehr weitreichende Forderungen gestellt und auch sehr klar gesprochen haben und anscheinend mehr begriffen haben als der Papst, worum es jetzt geht“.

Namentlich nennt Wagner-Reisinger etwa den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, der für die Einrichtung kirchlicher Verwaltungsgerichte plädiert hatte. Damit kirchliche Verwaltung künftig dem eigenen Anspruch gemäß handle, müssten Verwaltungsvorgänge transparent und nachvollziehbar sein. Nur dann könnten sich Menschen gegen Fehler im Handeln der Verwaltung wehren, so Marx.

"Das ist eine gute Forderung, die schon lange überfällig ist“, findet die ehemalige Ordensfrau Doris Wagner-Reisinger. Vor dem Gipfel hätte sie sich nicht vorstellen können, "dass ein Bischof so etwas fordert“. Das stimme sie zuversichtlich.

Missbrauchsopfer demonstrieren in Rom

Missbrauchsopfer demonstrieren in Rom

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Missbrauchsopfer vor den Toren des Vatikans

Doch insgesamt seien die Missbrauchsopfer zu wenig eingebunden gewesen. Doris Wagner-Reisinger sieht darin eine verpasste Chance, die sich auch äußerlich wiedergespiegelt hätte: Die Betroffenen, die meist auf eigene Kosten angereist waren, wären "draußen gestanden, vor den Toren des Vatikan und niemand ist auf den Gedanken gekommen, die einfach mit rein zu nehmen. Man hätte ja am zweiten oder dritten Tag sagen können: Wir machen die Türen auf, kommt rein, setzt Euch mit an den Tisch. Das ist nicht passiert." Diese Bilder, "wie die Betroffenen draußen stehen, während die Bischöfe in ihren Limousinen in den Vatikan chauffiert werden“, sei "irgendwie bezeichnend und traurig" gewesen, meint Doris Wagner Reisinger.

Abschlussrede war "kein Versehen“

Schwer enttäuscht ist Doris Wagner-Reisinger vor allem von der Abschlussrede des Papstes: "Ich hab mir beim Anhören gedacht, ich kann das nicht glauben, das gibt’s ja nicht." Sie könne das auch nicht als "Versehen oder ein unglückliches Manuskript betrachten“. Denn es sei klar gewesen, am Ende dieses Gipfels und all den Jahren zu "diesem Thema, das wirklich das Pontifikat prägt und das eine Krise der Kirche ohnegleichen bedeutet, musste der Papst wissen, welche Bedeutung seine Worte haben."


Die ehemalige Ordensfrau habe es "ganz schlimm gefunden, dass er erstmal zehn Minuten lang über Missbrauch in allen möglichen Kontexten gesprochen hat, als ob er das relativieren wollte und sagen wollte, die Kirche ist nur ein Schauplatz von vielen und bei uns ist es eigentlich nicht schlimmer als anderswo“.

Ein weiterer Punkt, der sie an der Abschlussrede von Papst Franziskus gestört habe, sei, dass er "diese Kategorie des Bösen und das Mysterium des Bösen" bemüht habe, die "immer suggeriert, dass das irgendwie von außen auf eine geheimnisvolle Art und Weise in die Kirche hinein kommt und die Kirche eigentlich nichts damit zu tun hat“.

Darüber hinaus habe es keine konkreten oder weitreichenden Zusagen oder Entscheidungen gegeben, sondern der Papst sei sehr vage geblieben. "Das geht einfach nicht“, stellt Wagner-Reisinger im "Praxis“-Interview fest, "in diesem Moment der Kirchengeschichte“. Und sie resümiert: "Das hat mich schon sehr erschreckt, das hätte ich so nicht erwartet.“

Doris Wagner-Reisinger

Doris Wagner-Reisinger, Filmstill aus "#Female Pleasure"

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Bischöfe: Spreu trennt sich vom Weizen

Die ehemalige Ordensfrau, die selbst sexuelle Gewalt durch einen Geistlichen erfahren hat, hat sich in zwei Büchern intensiv mit ihren Erfahrungen auseinandergesetzt. Sie setzt sich nicht nur für die Rechte von Opfern ein, sondern versucht mit ihrem kürzlich erschienenen Buch über spirituellen Missbrauch in der katholischen Kirche auch, die Sensibilität für die Thematik innerhalb der Kirche zu schärfen.

Bis in die hohen Klerikerränge habe sich das Verständnis dafür allerdings noch nicht durchgesetzt, meint Doris Wagner-Reisinger. "Diese Krise ist ganz oben in der Kirche angekommen und jetzt geht es darum: Welche Bischöfe haben den Mut und die moralische Größe und haben verstanden, worum es geht und handeln jetzt richtig und welche Bischöfe verweigern sich." Sie vermutet: "Wir werden in den nächsten Jahren zusehen, wie sich da die Spreu vom Weizen trennt unter dem Druck, der weiter bestehen bleiben wird.“

Service

Buch-Tipp: Doris Wagner, "Spiritueller Missbrauch in der katholischen Kirche", Verlag Herder

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