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Ex libris
Kaffee und Zigaretten
Ferdinand von Schirachs biografische Erzählungen.
4. April 2019, 16:00
Ex libris | 10 03 2019, 16:00 Uhr
Rezension von Irene Binal
Mit seinen kurzen, trocken erzählten Geschichten über menschliche Abgründe ist der deutsche Schriftsteller Ferdinand von Schirach bekannt geworden: Erzählbände wie "Verbrechen" und "Schuld" sowie die Romane "Tabu" und "Der Fall Collini" wurden zu internationalen Bestsellern. In seinem neuen Buch präsentiert er sich allerdings etwas anders. Hier hat er zahlreiche sehr unterschiedliche Texte versammelt, kleine Erzählungen, Notizen, Beobachtungen, Abrisse, manche nicht länger als ein paar Zeilen. Oft schimmert Ferdinand von Schirachs Biografie durch - für den bekanntermaßen zurückhaltenden Autor ein ungewöhnlicher Schritt.
"Es ist kein Ernährungsratgeber"
Ferdinand von Schirach
"Ich schreibe so ein bisschen wie ein Beamter - jeden Tag dreieinhalb Stunden. Dabei entsteht etwa eine Seite, mehr nicht. Daraus können Sie sehen, dass es alles andere als sprudelt." Ferdinand von Schirach
Mittagsjournal | 01 03 2019 | Rezension von Andreas Jölli
Prägende Erlebnisse
Die Geschichten sind vielfältig. Ferdinand von Schirach erzählt von England, wo er als Kind die Sommerferien verbrachte, von seinen Erinnerungen an Süddeutschland, von Begegnungen mit Imre Kertesz oder Lars Gustafsson - und er widmet sogar seinem Großvater, dem damaligen Reichsgauleiter von Wien, Baldur von Schirach, ein paar Zeilen, obwohl er eigentlich nicht gern über ihn schreibt oder spricht.
"Die Abscheu über meinen Großvater macht einen Teil meiner Biografie aus, und zwar keinen kleinen Teil."
Nicht alle Texte sind direkt autobiografisch. Der Autor denkt über Gesellschaftliches nach, er schreibt über Hate Speech, über Pokémon Go und Donald Trump, über die RAF-Anwälte, über Raubkunst, Ausmalbücher für Erwachsene oder die Farbe Magenta.
Flüchtige Momente
Es ist ein vielfältiges Buch, wie ein Mosaik aus vielen bunten Steinchen, in dem kleine und große Themen behandelt werden - Juristisches, Persönliches, Komisches und Tragisches, Aktuelles und Vergangenes. Oft zieht sich eine leise Melancholie durch die Texte, ein nostalgischer Anklang, Erinnerungen an früher - eine Stimmung, die man schon aus Ferdinand von Schirachs bisherigen Büchern kennt.
Der Autor über seine Grundstimmung.
Dabei ist Ferdinand von Schirach weit davon entfernt, das Gestern romantisch zu verklären. Vieles sei heute sehr viel besser, meint er - aber er hänge eben an alten Dingen. Insgesamt 48 Geschichten sind es, die der Autor für sein Buch zusammengestellt hat - 48 Geschichten, die keine Titel haben, sondern durchnummeriert sind. "Ich finde, es macht das Buch schneller. Und ich mag ganz gerne, wenn der Leser unterhalten wird. Wenn ich jeder Geschichte einen Titel geben würde, dann hätte er so ein feuilletonistisches Gewicht, das würde mir nicht so gefallen."
Der "gemütliche" Titel
"Ich weiß", sagt der Autor über seine Titelwahl "Kaffee und Zigaretten", "beides sind Suchtmittel, und das will man nicht mehr in einer modernen Welt, aber es beschreibt mich ganz gut. Ich lebe von Kaffee und Zigaretten und ich finde das so als Titel ganz gemütlich, man kann sich so meine Stimmung ganz gut vorstellen, wenn man den Titel hört."
Und so kann man Ferdinand von Schirachs Buch mit oder ohne Kaffee und Nikotin genießen - und wenn die Texte den Leser berühren und ein bisschen nachdenklich machen, dann hat der Autor sein Ziel erreicht.
Worum es beim Schreiben geht.
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Ferdinand von Schirach: "Kaffee und Zigaretten“, Luchterhand Verlag