Petrischalen mit Zitrussetzlingen, die im Bereich der Genetikforschung eingesetzt wurden

AP/FEDERICA NARANCIO

Radiokolleg

Epigenetik

Die Wissenschaft vom Ein- und Ausschalten der Gene.

Marshall Warren Nirenberg

AP/BOB SCHUTZ

Marshall Warren Nirenberg, 1968

Die Molekulargenetik hat das wissenschaftliche Weltbild des 20. und 21. Jahrhunderts grundlegend verändert. Von der Dechiffrierung des genetischen Codes durch Marshall Warren Nirenberg und Heinrich Matthaei in den 1960er Jahren bis zur Entwicklung der sogenannten Genschere, der CRISPR/Cas-Methode, durch die Arbeitsgruppe von Emmanuelle Charpentier und Jennifer Doudna 2015 arbeiteten Wissenschaftler/innen weltweit an der Frage, wie sich die Entschlüsselung des Erbguts nutzen lässt.

Von Lebensbedingungen beeinflusst

Genmanipulierte Lebensmittel sind keine Utopie mehr. Im Medizinstudium gehören Gendiagnostik und Gentherapien zum Standardlehrangebot. Unter der Kontrolle von Ethikkommissionen ist die Vision eines maßgeschneiderten Lebens greifbar geworden. Lassen sich Pflanzen, Tiere und Menschen im Labor beliebig designen? In diesem Diskurs gewinnt die Epigenetik an Bedeutung. Denn Gene, so die Erkenntnis der Wissenschaft, sind ausschließlich das biologische Grundgerüst des Erbguts. Ob und wie sie aktiviert werden, bestimmen die Epigenome. Diese werden von den Lebensbedingungen maßgeblich beeinflusst.

Das Genom besteht aus zwei Teilen: dem genetischen Code, der DNA, und dem Epigenom. Seine Marker sind rund um das Genom platziert. Sie haben die Aufgabe, die Aktivität eines Genoms zu regulieren. Das Epigenom bestimmt, wann ein Genom aktiv wird und wann nicht. Außerdem reagiert es auf Umweltveränderungen und gibt diese Informationen an die nächste Generation weiter.

Veränderungen wirken bis in die dritte Generation nach

Am Institut für Neuroepigenetik an der Eidgenössischen Technischen Hochschule (ETH) Zürich widmet sich das Forschungsteam von Isabelle Mansuy der transgenerationellen Weitergabe von Erfahrungen. Die Wissenschaftler/innen konnten nachweisen, dass traumatische Erlebnisse Aspekte des Genoms verändern. Beobachtet wurde das am Traumamodell für Mäuse: Mäusejungen wurden extremen Stresssituationen ausgesetzt. "Wenn sie erwachsen werden, zeigen sie depressive Züge, sie verhalten sich antisozial, sind wesentlich risikofreudiger und nehmen Gefahren weniger wahr, und sie haben Probleme mit ihrem Erinnerungsvermögen."

Gelbe Walderdbeere

AP/JACQUELYN MARTIN

Diese gelbe Erdbeere ist eine Variation der Walderdbeere, deren Genom bereits sequenziert wurde. Im Vergleich zum Menschen ist das "Erdbeer-Genom" kurz und einfach. Ziel ist bessere Erdbeeren schneller produzieren zu können.

Die Forscher/innen konnten aber auch Veränderungen im Stoffwechsel dieser Tiere feststellen. Veränderte epigenetische Markierungen wurden sowohl in Ei- als auch in Samenzellen gefunden. Die Stresserfahrung wurde also an die nächste Generation weitergegeben. Isabelle Mansuy: "Wir haben herausgefunden, dass die Veränderungen bis in die dritte Generation nachwirken. Die vierte und fünfte Generation werden von uns noch untersucht."

Reparatur durch positive Umgebung

Negative Erfahrungen verändern die epigenetischen Marker. Doch: Gilt das auch für positive Erfahrungen? Wenn das Epigenom flexibel ist und dynamisch auf äußere Bedingungen antwortet, sollten sich durch eine positive Umgebung zumindest einige Defekte wieder reparieren lassen, so die These der Forscherin. Dafür entwickelte sie im Labor ein weiteres Setting. Traumatisierte Mäusejungen wurden unter optimalen Lebensbedingungen gehalten, sie bekamen reichlich Futter und Spielzeug und lebten in einer größeren Gruppe. "Nun konnten wir beobachten, dass diese Mäuse, obwohl sie traumatisiert waren, keinerlei Depressionen entwickelten. Sie verhielten sich prosozial und ihre Gedächtnisleistung war normal. Auch die nachfolgende Generation verhielt sich völlig normal."

Die epigenetische Forschung zeigt, wie maßgeblich sich die Lebensbedingungen auf das Wohlbefinden eines Lebewesens auswirken und noch in den nachfolgenden Generationen nachzuweisen sind. So regulieren epigenetische Marker nicht nur das Genom, sondern auch die Vision eines designten Lebens.

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