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Roman
"Ein empfindsamer Mensch" von Jachym Topol
Mit seinen wüsten Nachwende-Romanen "Die Schwester" und "Engel Exit", einem fantastischen Thriller zwischen Jugend-Szene, psychiatrischer Klinik und Drogenrausch, avancierte Jachym Topol in seiner Heimat zum Kultautor. An seine literarischen Anfänge erinnert jetzt auch sein neuer Roman "Ein empfindsamer Mensch". Nach der Wendezeit nimmt Topol hier eine Vermessung Europas in Angriff - nicht weniger rabiat.
25. April 2019, 02:00
Eine tschechische Artisten-Familie zieht durch die Lande, durch ein Europa, wo Grenzen dicht gemacht und Mauern hochgezogen werden. "Das westliche Europa - das war für uns früher das Paradies", erzählt Jachym Topol. "Jetzt fliehen meine Protagonisten aus diesem Europa, zurück in ihr tschechisches Dorf. Sie sind Osteuropäer wie ich und das Europa von heute ist für sie undurchschaubar, sie sind verwirrt und fühlen sich ausgeschlossen. - Es ist aber kein depressiver Roman, ich habe mich beim Schreiben sehr amüsiert und sehr gelacht."
Seltsame, wahnsinnige Komödianten
Tatsächlich ist es ein beklemmendes, mythisch-apokalyptisches Szenario, in dem Topols "seltsame, wahnsinnige Komödianten", wie er sie nennt, unterwegs sind. Von Brexit-Anhängern aus Großbritannien vertrieben, fahren sie gegen den Strom der Flüchtlinge in Richtung Osten, treffen auf zwielichtige Polizisten und Prostituierte, Gerard Depardieu tritt ebenso auf wie der tschechische Präsident Milos Zeman. Einmal mehr begegnen wir Jachym Topol als Autor mit einem Hang zur Groteske, ausufernder Fantasie und unbändiger Fabulierlust.
Die Vergessenen
"Ich schreibe über die vergessenen Menschen", sagt Jachym Topol, "jene die auf dem Land leben, die von ihrer Hände Arbeit leben. Sie sind manipulierbar, essen billiges Junk-Food, schauen irgendwelche dämlichen Geschichten im Internet an, sie trinken viel, sind unglücklich und verbittert. Aber mit ihnen fühle ich mich wohl und von ihnen habe ich tausende Geschichten gehört." Es sind Geschichten aus einem Alltag jenseits dörflicher Idylle, und den kennt der Sohn des bekannten Dramatikers und "Charta 77"-Mitbegründers Josef Topol. Als Wehrdienstverweigerer war er in der Psychiatrie, später auch im Gefängnis.
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"Broken Czech"
In die Dissidentenszene sei er hineingeraten, so wie man in New York in die Gangs hinein geboren wird, sagt Jachym Topol. "Es ist mein großer Vorteil, dass ich kein Intellektueller bin. Der Zugang zur Universität wurde ihm verwehrt. Ich musste die verschiedensten Arbeiten und Berufe ausüben, um mich über Wasser zu halten - als Heizer, Lagerarbeiter oder als Maurer. Heute weiß ich, dass mich das alles bereichert hat."
Bereichert, erklärt Jachym Topol, wurde vor allem seine Sprache: Den derben Umgangs- und Vulgärjargon hat er salonfähig gemacht und kombiniert mit atemlosem, expressivem Gestus die tschechische Literatursprache revolutioniert. Und wild wuchernd ist er auch, der Topol-Sound, den Eva Profousova ins Deutsche transportiert hat.
Vom Underground zum Klassiker
"Ein empfindsamer Mensch" - das ist ein irritierender Roman zur europäischen Gegenwart, der Jachym Topol auch den tschechischen Staatspreis für Literatur eingebracht hat. Jetzt heißt es endgültig: Raus aus dem Underground und rauf auf den Sockel, wo die tschechischen Klassiker stehen.
Service
Jachym Topol, "Ein empfindsamer Mensch", Roman, aus dem Tschechischen von Eva Profousova, Suhrkamp