“Desert Dream” ensemble (evening gown, shawl, and turban), Spring/Summer 2018  Polyester chiffon, Courtesy of RAŞIT BAĞZIBAĞLI and MODANISA

Fine Arts Museums of San Francisco

Praxis

Anständig gekleidet: "Modest Fashion"

"Modest Fashion" - man könnte es mit "bescheidene, schlichte oder bedeckende Mode" übersetzen - ist längst mehr als ein Schlagwort in der internationalen Modeszene. Es ist ein Trend - nicht nur für Frauen, die sich aus religiösen Gründen nicht freizügig, sondern dezent aber dennoch schick kleiden wollen. Und es ist mittlerweile ein milliardenschweres Geschäft.

Kritikerinnen und Kritiker sehen in "Modest Fashion" ein Propaganda-Instrument für islamische Verhüllung, was wegen der in Frankfurt Anfang April beginnenden Ausstellung "Contemporary Muslim Fashion" bereits zu einiger Aufregung geführt hat. Feministische Strömungen sind gespalten in Pro und Contra zum neuen Modetrend.

In Wien ging es auf einer kleinen "Modest-Fashion" Modeschau vielmehr um Inklusion: "Our bodies - our business" war der Titel der Werkschau von Naomi-Afia Günes-Schneider. Sie hat das Kolleg "KunstModeDesign" an der Wiener Mode- und Kunstschule in der Herbststraße besucht und nun in der Wiener Brunnenpassage ihre zweite Kollektion vorgestellt.

"Modest Fashion beschränkt sich für mich nicht nur auf Musliminnen und Muslime, sondern ist ein Konzept, das ich auch aus christlichen und jüdischen Kreisen kenne", meint sie. Es gehe dabei um Schnitte, die nicht gänzlich körperbetont sind oder um Stoffe, die nicht zu durchscheinend sein sollen. Im Einzelnen gebe es aber durchaus verschiedene Vorstellungen und Formen von Modest Fashion.

Schlichte Haute Couture

Große Modehäuser wie Dolce & Gabbana und Gucci bieten bereits "Modest Fashion" an, internationale Marken wie H & M, Mango oder Tommy Hilfiger stellen sogenannte Ramadan-Kollektionen vor. Insgesamt haben Musliminnen 2015 geschätzte 40 Milliarden Dollar für solche Mode ausgegeben.

Da fühlen sich türkische Firmen, die schon seit den 1990er Jahren islamische Mode produzieren, ein wenig um ihre Ideen gebracht. Aber es gibt auch Luxus-Roben, die ganz und gar nicht bescheiden sind und von Super-Reichen aus Saudi-Arabien oder den Emiraten gekauft werden.

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Bei sogenannten "Modesty Events" treffen oft Designerinnen und Kunden aus allen drei abrahamitischen Religionen aufeinander; eine orthodoxe Jüdin, die von Jerusalem aus ihre Mode vermarktet, hat hauptsächlich Kundinnen aus den USA - die Mehrzahl davon Christinnen. Und auf der New York Fashion Week verzeichnete das Label "Batsheva" einer jüdischen Designerin mit dezent-orthodoxen Entwürfen einen rasanten Erfolg.

Eine verschleierte Muslima

Wesaam Al-Badry

Valentino # X

Anständig oder unanständig gekleidet?

Aber auch afrikanische Frauen, die in Europa leben, finden oft nicht die Mode, die sie sich - zu ihrem Typ passend - vorstellen.

Naomi-Afia Günes-Schneider ist in Deutschland geboren und aufgewachsen, ihr Vater stammt aus Ghana, ihre Mutter ist Deutsche. Mit ihren Designs unter der Marke "Naomi-Afia" präsentiert sie sich selbst als Muslimin. Sie möchte aber Frauen, die sich mehr oder weniger verhüllen, keinesfalls danach bewerten.

Denn "Modest Fashion" ist auch in die Kritik geraten: Werden dadurch Frauen in "Anständige" und "Unanständige" eingeteilt, wie eine Schweizer Zeitung schrieb? Was ist Selbstbestimmtheit, was ist Manipulation? Fragen, die allerdings durchaus auch andere Stile von Mode und Kleidung betreffen.

Afrikanische Elemente

"Ich habe nicht die Motivation, mich abzugrenzen", meint dazu die Designerin Naomi-Afia Günes-Schneider. "Wir haben ja immer wieder diese Debatte um Frauenkörper und mir ist es immer sehr wichtig zu betonen, dass Frauen entscheiden sollen, was sie anziehen und was nicht, und solange das selbstbestimmt und freiwillig passiert, ist mir das relativ egal."

Die Modelle, die Naomi-Afia auf dem Laufsteg vorführen lässt, beziehen afrikanische Elemente mit ein und es gäbe individuelle Mode auch für Menschen, deren Körper und Maße nicht den Hochglanz-Katalogen großer Modehäuser entsprechen, erklärt Günes-Schneider: "In der letzten Kollektion habe ich bewusst verschiedene Menschen mit verschiedenen Körpern als Models genommen. Gerade unisex oder Schnitte, die für jeden Körper funktionieren, finde ich eigentlich am praktischsten." Außerdem komme das bei den Käuferinnen gut an, lacht die junge Designerin.

DanielShaked/Naomi-Afia

Naomi-Afia Günes-Schneider möchte nachhaltig arbeiten, denn während ihrer Ausbildung an der Wiener Mode- und Kunstschule wurde sie auf problematische Produktionsbedingungen für billige Massenware aufmerksam. In ihrer Eröffnungsrede erwähnt sie Länder, in denen der Einsturz baufälliger Fabriksgebäude und Brände in Textilfabriken zahlreichen Arbeiterinnen und Angestellten das Leben kosteten: die Schattenseiten der "Fast Fashion".

Sie habe für sich entschieden, "dass ich das nicht guten Gewissens unterstützen kann - auch aus einer islamischen Perspektive heraus, in der es eigentlich um einen bewussten Umgang mit Umwelt und Natur und den Menschen gehen sollte und nicht blindem Konsum von Dingen, die unter Ausbeutung hergestellt werden."

  • Hoda Katebi, Designerin Céline Semaan

    Fine Arts Museums of San Francisco

  • Raşit Bağzıbağlı für/for Modanisa

    Modanisa

  • Céline Semaan Vernon for Slow Factory

    Sebastian Kim/ Fine Arts Museums of San Francisco

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Unisex und gender-fluid

Die Modelle, die sie vorstellt, haben kräftige Farben wie Creme und Orange, Kontraste wie Schwarz und Weiß, Applikationen als Blickfang, aber auch feine Akzente durch Borten, Fransen und Streifen. Die Schnitte sind großzügig oder schmal und elegant, bedeckend oder ärmellos, kürzer oder länger, nicht nur für Frauen und keineswegs exklusiv für Musliminnen: "Ich habe auch Aufträge von Leuten, die sich als Mann identifizieren, als auch von Personen, die sich nicht binär sehen, also weder als Mann noch als Frau, und natürlich auch von Frauen", erklärt Günes-Schneider.

Die Modeschau wurde durch ein Arbeitsstipendium von "Kültür-Gemma" unterstützt, einem Projekt der Stadt Wien. Es wird seit 2013 jährlich vergeben. Faika El-Nagashi ist Abgeordnete zum Wiener Gemeinderat und Landtag. Ziel der Initiative sei vor allem: "MigrantInnen in ihrem Kunstschaffen zu unterstützen und zu stärken, die üblicherweise in dem Mainstream-Kulturschaffen keinen stark verankerten Platz haben, beziehungsweise nicht so leicht Zugang finden oder oft an einen bestimmten Platz verwiesen werden", meint El-Nagashi.

Zeina Nassar, Boxerin/boxer

Nike, Inc.; Nike Pro Hijab

Ausstellung "Contemporary Muslim Fashion" in Frankfurt

Permanent seien gerade Frauenkörper und -kleidung Thema der politischen Diskussion - Stichwort: Kopftuchdebatte. Anfang April wird im Museum für Angewandte Kunst in Frankfurt die Ausstellung "Contemporary Muslim Fashion" eröffnet. Die Schau, die bereits in europäischen Medien Wellen schlägt, war zuvor in San Francisco zu sehen.

Naomi-Afia Günes-Schneider wurde nach Frankfurt eingeladen: "Ich habe die Ehre, dort zwei Stücke aus der ersten Kollektion auszustellen, die dann von April bis September zu sehen sein werden. Ansonsten mache ich gerade einen Gründungsworkshop an der Uni Wien, weil ich weiterhin in dem Bereich bleiben möchte."

Service

im Museum für Angewandte Kunst - "Contemporary Muslim Fashion"
Vogue
EMMA - Werbeausstellung fürs Kopftuch
Was ist Modest Fashion?
Kültür gemma
Batsheva