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Geyrhalter-Film "Erde": Wie Berge versetzt werden

Letztes Jahr hat Nikolaus Geyrhalter für seinen Film "Die bauliche Maßnahme" über die Errichtung eines Grenzzauns am Brenner den Großen Preis der Diagonale gewonnen. In seinem neuen Film "Erde" beobachtet er, wie der Mensch Jahr für Jahr Milliarden Tonnen Erdreich bewegt und dadurch das Gesicht unseres Planeten massiv verändert.

Mittagsjournal | 13 05 2019

Wolfgang Popp

Sechzig Millionen Tonnen Erdreich werden tagtäglich durch Wind, Flüsse und andere Naturkräfte bewegt. Fast zweieinhalbmal so viel bewegt jedoch der Mensch.

Macht und Ästhetik

Im kalifornischen San Fernando Valley wird derzeit etwa ein Höhenzug begradigt, um darauf eine neue Stadt zu errichten. Nikolaus Geyrhalter: "Die Wirkung solcher Orte ist schier umwerfend und das habe ich auch versucht, ins Kino zu übersetzen, denn da liegt eine sehr starke Ästhetik drin. Natürlich hat das etwas sehr Mächtiges, wenn große Maschinen eine Arbeit verrichten, für die man früher mit der Hand Wochen gebraucht hätte."

Kulturjournal | 13 05 2019
Nikolaus Geyrhalter im Gespräch

Wolfgang Popp

Erdbewegung auf Knopfdruck

Geyrhalter hat für "Erde" neben Kalifornien die imposanten Steinbrüche von Carrara besucht, wo der blendend weiße Marmor in enormen Blöcken aus dem Berg gebrochen wird. Oder die Bauarbeiten am Brennerbasistunnel, wo sich eine riesenhafte Maschine Tag für Tag Meter für Meter in den Berg frisst. Nikolaus Geyrhalter: "Spannend ist ja, dass diese Arbeit ohne körperliche Anstrengung vonstattengeht. Man bedient in diesen Maschinen nur zwei Joysticks oder ein paar Knöpfe und dadurch verändert sich total das Verhältnis des Menschen zu dem Boden, auf dem wir stehen."

Tunnelastronauten

Ein Ingenieur, der beim Bau des Brennerbasistunnels im Einsatz ist erzählt im Film von dem Entdeckergefühl, das ihn oft bei seiner Arbeit befällt. "Wir bohren direkt ins Fleisch des Gebirges - dadurch gibt es diesen unmittelbaren Kontakt zur Erde, zu den verschiedenen Schichten und der Schieferung des Gesteins. Da fühlt man sich dann ein wenig wie ein Astronaut, weil man dieser Stelle ja als erster Mensch begegnet."

Berge versetzen

Geyrhalter holt Bauleiter und Ingenieure, aber auch einfache Arbeiter vor die Kamera und fängt in den Interviews eine seltsame Mischung aus Stolz und Unbehagen ein, die diese Männer gegenüber ihrer Tätigkeit empfinden: "Wenn mich eine Frau in einer Bar fragt, was ich arbeite, sage ich ihr, dass ich Berge versetze. Natürlich glaubt sie mir nicht, aber genauso ist es. Mein Job ist es, Berge zu versetzen."

Steinbruch

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Verschlossene Bergwerkstüren

Wo Berge versetzt werden, da hält sich die Rücksicht auf Verluste in Grenzen. Als Nikolaus Geyrhalter sich für seinen Dreh auf die Suche nach Bergwerken und Minen gemacht hat, merkte er bald, "dass viele Unternehmen gar kein Interesse daran haben, Filmteams in ihre Anlagen zu lassen. Wir hätten gerne in Südamerika oder Russland gedreht, aber wir haben dort nicht einmal Absagen bekommen, sondern sind so lange hingehalten worden, bis wir nicht mehr länger warten konnten. Das ist bei diesen Firmen die neue Strategie."

Keine Journalisten!

Ein Ölfeld im kanadischen Fort McKay hat er deshalb zusammen mit dort lebenden Angehörigen der First Nations nur umkreisen können. Nikolaus Geyrhalter: "Der Ölsandabbau wird dort von vier Firmen betrieben und die haben uns klipp und klar gesagt, ihr werdet unsere Anlagen nicht betreten, weil wir seit zehn Jahren keinen einzigen Journalisten mehr hereingelassen haben."

Radioaktiver Austritt

Völlig offen ging man wiederum im deutschen Wolfenbüttel mit den Missständen um. Dort, im ehemaligen Salzbergwerk Asse, wurden von 1967 bis 1978 radioaktive Abfälle endgelagert, völlig sicher, wie man damals annahm. Nikolaus Geyrhalter: "Ursprünglich wurde die Asse als Versuchseinlagerung genehmigt, nur hat sich das irgendwann verschliffen." Ein Ingenieur erklärt im Film, denn auch, "dass hier das permanente Risiko besteht, dass sich die Lösung einen neuen Weg sucht".

Schönheit, die weh tut

Bei der Auswahl des Sujets für das Filmplakat für "Erde" wird Nikolaus Geyrhalter wieder die Qual der Wahl gehabt haben, denn fast jede Einstellung würde man sich gerne als gerahmtes Foto ins Wohnzimmer hängen. Dass Humor, der wehtut, zum Erkenntnisinstrument taugt, ist hinlänglich bekannt. Mit "Erde" beweist Nikolaus Geyrhalter aber aufs Neue eindrücklich, dass man der Wirklichkeit auch mit Schönheit, die schmerzt, zu Leibe rücken kann.

Service

Erde - Ein Film von Nikolaus Geyrhalter, A 2019, 115 Min.

Gestaltung

  • Wolfgang Popp