Zerschossene Häuserfront in Rakka

AP/HUSSEIN MALLA

Wie ein syrischer Bürgermeister den IS überlebte

Seit vergangener Woche spitzt sich die Lage im Bürgerkriegsland Syrien wieder zu. Auch im an sich ruhigen Nord-Osten Syriens, der von Kurden und ihren Verbündeten kontrolliert wird, gibt es immer wieder Anschläge. Am Wochenende sind in Rakka, der ehemaligen Hauptstadt der Terrormiliz IS, zehn Menschen ums Leben gekommen. Der erste Bürgermeister von Rakka nach der IS-Zeit erzählt, wie er die Herrschaft der Terrormiliz überlebt hat.

Vier Jahre lang hat Abid al-Mihbash in Raqqa unter IS-Herrschaft gelebt. Entsetzliche Jahre, sagt der spätere Bürgermeister und muss doch zwischendurch grinsen - über die absurden Regeln der militanten Islamisten und als er freimütig erzählt, wie er sich angepasst hat, um die Zeit zu überleben.

"Ich lächle, weil ich wie ein Schauspieler war. Ich hatte einen langen Bart, immer einen langen Umhang. Meine Frau hat gesagt, Du schaust aus wie ein IS Emir. Ich habe so getan als wäre ich überzeugt von ihnen dabei habe ich überhaupt nicht an sie geglaubt."

Heute trägt der ehemalige Geheimdienst-Offizier im Assad-Regime Mihbash wieder Hemd und Sakko. Und er erzählt, wie er in der IS-Zeit genau beobachtet hat, was die Terroristen des selbsternannten Kalifats treiben.

Abid al-Mihbash

ORF/BERNT KOSCHUH

Abid al-Mihbash

"Die erste Entscheidung des IS, war, die Schulen zu schließen und Moscheen zu eröffnen."

Der spätere Bürgermeister von Raqqa erzählt auch wie der IS versucht hat, seine Hauptstadt Raqqa zu einer Festung umzubauen: "Sie haben Tunnel gegraben, Barrikaden errichtet und nach Wasser gebohrt. Sie haben Raqqa zur Militärzone gemacht, um die Stadt möglichst lange zu halten."

Das Terror-Regime zu stürzen, war daher nur mit Hilfe amerikanischer Bomber möglich, sagt Mahbash und formuliert sogar: "Ich bin froh, dass meine drei Häuser bombardiert und zerstört wurden. Unter dem IS war alles verboten - sogar Kleinigkeiten wie Fernsehen, Radio, Zigaretten. Wir hatten kein Leben, keine Freiheiten."

Vor eineinhalb Jahren ist Raqqa befreit worden durch die demokratischen Kräfte Syriens. Das sind vor allem kurdische Kämpferinnen und Kämpfer aber auch eine turkmenische Miliz, christliche Assyrer und die sunnitisch-arabische Armee der Revolutionäre.

"Durch Anschläge wollen sie die Botschaft verbreiten, dass sie nicht am Ende sind."

Abid al-Mihbash ist Araber, er hat damals die Befreier kontaktiert, sich ihnen angeschlossen. Anfang 2018 wurde er zum Bürgermeister gekürt - genauer gesagt zum Co-Vorsitzenden des Zivilrats von Raqqa, Co-, weil es im linksgerichteten Nord-Ost Syrien in allen Führungsfunktionen einen Mann und eine Frau gibt - aus unterschiedlichen Volksgruppen. In jeder Hinsicht also ein Gegenmodell zum IS, der Frauen erniedrigt und Yesidinnen sogar versklavt und verkauft hat.

Der IS und seine Schläfer-Zellen wollen sich aber nicht endgültig besiegt geben in Raqqa: "Durch Anschläge wollen sie die Botschaft verbreiten, dass sie nicht am Ende sind. An den Checkpoints werden viele unserer Security Leute ermordet und jetzt in der Erntezeit wird immer wieder Feuer gelegt auf Getreidefeldern."

"Wir haben eine Vision: Hier ein lokales Gericht zu schaffen aber mit erfahrenen internationalen Richtern als Unterstützung."

Schläfer-Zellen bekämpfen und ein Gericht für 6.000 gefangene IS-Kämpfer einrichten, seien jetzt die wichtigsten Ziele, sagt Emine Umer, die Co-Vorsitzende des demokratischen Rats für Syrien: "Wir haben eine Vision: Hier ein lokales Gericht zu schaffen aber mit erfahrenen internationalen Richtern als Unterstützung."

"Wir brauchen Hilfe aus der ganzen Welt", sagt auch Abid al-Mihbash. Aber in Raqqa leben schon jetzt viele wieder ein normales Leben, freut er sich und zeigt uns schließlich lachend ein altes Foto, auf dem man ihn mit Salafisten-Bart sieht.

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