ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Die Verfasstheit von Menschen
Der "Ex libris"-Klassiksommer
Was ein Klassiker ist, lässt sich so genau nicht bestimmen. Natürlich kann man sich auf einen literarischen Kanon berufen. Doch kein Kanon hält ewig.
26. September 2019, 12:00
Die "Ex libris"-Redaktion legt sich darauf fest, dass das Prädikat "klassisch" auf jene Bücher zutrifft, die trotz ihres Alters und ungeachtet des kommerziellen Erfolgs von der gegenwärtigen Leserschaft als zeitgemäß empfunden werden. Weniger stilistisch als aufgrund dessen, was sie über die Verfasstheit von Menschen erzählen. Die historische Kulisse ändert sich, nicht oder kaum hingegen das menschliche Verhalten.
"Ex libris"-Klassiksommer
14. Juli bis 18. August, sonntags, jeweils um 16:00 Uhr
Radiogeschichten - Akustische Literaturgeschichte Österreichs
15. Juli bis 26. August, montags, jeweils um 11:05 und 21:00 Uhr
Zeugnisse des Handelns und Verhaltens
Robinson Crusoes radikales Ausgesetztsein wirft Fragen auf, die vor mehr als 300 Jahren ebenso gültig waren wie heute. Was unterscheidet den Exzentriker in Charles Baudelaires Spleen von Paris von den eigensinnigen Überlebenskämpfern in den Romanen von Herman Melville? Wie und wie weit deformiert der Krieg die Menschen?
André de Richaud erzählt in "Der Schmerz" über den Ersten, Bruno E. Werner in "Die Galeere" über den Zweiten Weltkrieg. Beide Autoren tauchen übrigens in keinem Kanon auf, dennoch sind ihre Bücher herausragende Zeugnisse menschlichen Handelns und Verhaltens in Krisenzeiten.
Akustische Literaturgeschichte Österreichs
Als Ergänzung ist in der "Ex libris"-Nachlese in den "Radiogeschichten" jeweils am Montag eine akustische Literaturgeschichte Österreichs in sieben Teilen zu hören. Das bietet die seltene Gelegenheit, Aufnahmen von Autor/innen sowie Ausschnitte aus Lesungen und Hörspielen von den 1930er Jahren bis in die Gegenwart zu hören.
André de Richaud, "Der Schmerz", Roman, aus dem Französischen übersetzt und mit einem Nachvort versehen von Sophie Nieder, Dörlemann Verlag. Originaltitel: "La Douleur"
Als der 23-jährige Philosophielehrer André de Richaud 1930 sein Manuskript "La Douleur", "Der Schmerz" für den "Prix du premier roman" bei der "Revue hebdomadaire" einreicht, bringt er die Jury in eine schwierige Situation, die sie mit der Entscheidung löst, den Preis schon im zweiten Jahr seines Bestehens auszusetzen. Der Grund: de Richauds Text ist künstlerisch den Mitbewerbern weit überlegen, würde aber die Leser der Revue schockieren. Darauf folgt eine große öffentliche Debatte über Kunst und Moral. Denn de Richaud beschreibt in seinem Roman nicht nur die Liebesbeziehung zwischen einer französischen Offizierswitwe und einem deutschen Kriegsgefangenen - was zwölf Jahre nach Kriegsende Skandal genug wäre - darüber hinaus breitet er in nie dagewesener Weise das Gefühlsleben einer Frau aus, die unter dem Entzug von Sex leidet. Hinzu kommt eine Mutter-Sohn-Beziehung, die sich am Rande des Inzestuösen bewegt, freilich ohne ihn je zu überschreiten. Vieles an diesem 1931 bei Grasset veröffentlichten Roman beeindruckt. Die kleinen, Atmosphäre schaffenden Beschreibungen der provenzalischen Landschaft, die wunderbaren, in wenigen Strichen gezeichneten Nebenfiguren, die Dynamik des Dramas selbst mit seiner Protagonistin und der ihr vom Erzähler schwankend entgegengebrachten Sympathie. De Richauds "Der Schmerz" ist eine Entdeckung für den deutschsprachigen Raum. Für Albert Camus - erfährt man im Nachwort der Übersetzerin Sophie Nieder - soll er sogar die Initialzündung zur Schriftstellerexistenz gewesen sein.
"Die Galeere" von Bruno E. Werner
Ex libris | 11 08 2019
Carsten Hueck
Bruno E. Werner, "Die Galeere", Roman, mit einem Nachwort von Hellmut Freund, Suhrkamp
Bruno E. Werner, "ein Mann voller Anmut" wie "Die Zeit" 1964 in seinem Nachruf schrieb, war Feuilleton-Chef der "Deutschen Allgemeinen Zeitung" in Berlin und außerdem ab 1929 Herausgeber der vom Bauhaus stark beeinflussten Kulturzeitschrift "Die neue Linie". Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten galt Bruno E. Werner aufgrund seiner jüdischen Mutter als "Halbjude". Es folgte ein jahrzehntelanges Katz-und-Maus-Spiel, erinnerte sich seine Tochter, die Bildhauerin Imogen Stuart, 2009 in einem Interview mit der "Irish Times". Für sie und ihre jüngere Schwester Sibylle fühlte sich das alles wie ein großes Abenteuer an, denn Bruno E. Werner und seine Frau Katharina waren sehr darum bemüht, ihre beiden Töchter von den Gräueln jener Zeit abzuschirmen. Die Familie floh von Berlin über Bayern nach Wien, wo sie sich bis Kriegsende versteckte. Vier Jahre später, 1949, veröffentlichte Bruno E. Werner seinen Roman "Die Galeere". Dieser wurde mit Begeisterung, aber auch mit Betroffenheit aufgenommen. Denn der Autor prangert darin nicht nur das Nazi-Regime an, sondern auch das "Bildungsbürgertum", dem er selbst angehörte.
"Ich war ein hässliches Mädchen" von Annemarie Selinko
Ex libris | 04 08 2019
Annemarie Selinko, "Ich war ein hässliches Mädchen", Milena Verlag
Annemarie Selinko kam 1914 als Tochter eines jüdischen Textilfabrikanten auf die Welt und zählte zu den erfolgreichsten deutschsprachigen Unterhaltungsschriftstellerinnen ihrer Zeit. Annemarie Selinko war mit einem dänischen Diplomaten verheiratet und schloss sich während des Zweiten Weltkriegs der dänischen Widerstandsbewegung an. 1943 wurde sie von der Gestapo verhaftet; nach gelungener Flucht nach Schweden arbeitete sie wieder als Journalistin und gegen Kriegsende als Dolmetscherin für das Rote Kreuz.
Gerade mal vier Romane hat die Autorin verfasst, ihr erfolgreichster, der 1951 veröffentlichte Weltbestseller "Desirée", wurde bereits drei Jahre später mit Jean Simmons und Marlon Brando in den Hauptrollen verfilmt. Die Autorin hat dieses Buch ihrer von den Nationalsozialisten ermordeten Schwester gewidmet. 2018 hat der Milena Verlag den Roman "Heute heiratet mein Mann" neu aufgelegt. Auch davon gibt es eine Filmadaption - mit Liselotte Pulver und Johannes Heesters. Vor kurzem ist eine Neuauflage von Annemarie Selinkos Debütroman aus dem Jahr 1937 erschienen: "Ich war ein hässliches Mädchen" ist auf den ersten Blick eine Variation der Pygmalion-Geschichte. Annemarie Selinko war 23 Jahre alt, als ihr Debütroman erschien. In "Ich war ein hässliches Mädchen" gibt sie Einblick in bürgerliche Konventionen ihrer Zeit und sie schreibt mit viel Ironie über den auch damals herrschenden Schönheitswahn.
"Werke" von Hermynia zur Mühlen
Ex libris | 04 08 2019
Hermynia zur Mühlen, "Werke", Zsolnay
Der eigenartige Nachname der österreichischen Schriftstellerin Hermynia zur Mühlen rührt von einer kurzen Ehe mit einem baltischen Gutsbesitzer her. Einen speziellen Namen hatte sie jedoch bereits vor der Hochzeit: Hermine Folliot-Crenneville de Poutet. Die 1883 in Wien geborene Gräfin entstammte dem Hochadel, der berühmteste Vorfahre, der Großvater Hermynias, war kaiserlicher Oberstkämmerer und Vertrauter Franz Josephs. Ihr Leben war geprägt vom Widerstand gegen die Familie, gegen die Unterdrückung der Frau, gegen soziale Ungerechtigkeiten und gegen den Faschismus. Sie musste schreiben, um finanziell zu überleben und wurde daher zu einer Allrounderin. Sie schrieb politische Fortsetzungsromane in Zeitungen; sie verfasste Skizzen und Feuilletons; sie wurde zur Mitschöpferin eines eigenen Genres: des politisch engagierten Märchens; und sie übersetzte unermüdlich, sie war die Entdeckerin und Übersetzerin des Werks von Upton Sinclair - diese Tätigkeit trug ihr größere Bekanntschaft ein. Völlig unbekannt blieb sie hingegen als Kriminalautorin: Bei den von ihr in den Zwanzigern verfassten Krimis fungierte sie offiziell als Übersetzerin eines pseudonymen US-Autors. 1939 emigrierte Hermynia zur Mühlen nach Großbritannien, wo sie 1951 starb. Eine Wiederentdeckung dieser politischen Erzählerin bietet nun eine im Zsolnay Verlag erschienene, vierbändige Werkausgabe.
Herman Melville, "Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen - Von Walen, Dichtern und anderen Herrlichkeiten", Übersetzung: Alexander Pechmann, Jung & Jung
Herman Melvilles Geburtstag jährt sich am 1. August zum 200. Mal. 1819 kam er in New York City zur Welt. Herman Melville diente als junger Matrose auf Kriegs- und Walfangschiffen und schrieb Abenteuerromane über das Leben auf See. Doch seine Laufbahn als Schriftsteller war nach dem Misserfolg des 1851 veröffentlichten "Moby Dick" schnell zu Ende. Den Rest seines Lebens arbeitete Melville als Zollinspektor im Hafen von New York. Im Sortiment des Jung & Jung Verlags findet sich nicht nur "Moby Dick", seit kurzem gibt es auch eine Sammlung mit essayistischen und lyrischen Arbeiten von Herman Melville: "Die große Kunst, die Wahrheit zu sagen - Von Walen, Dichtern und anderen Herrlichkeiten". Zum Teil sind die darin enthaltenen Texte erstmals ins Deutsche übertragen worden. Melvilles Ringen mit dem Begriff "Wahrheit" durchzieht sein gesamtes Werk wie ein roter Faden, schreibt Alexander Pechmann, der die Texte für diesen Sammelband übersetzt hat, im äußerst informativen Nachwort. Gleich zu Beginn dieses Bandes steht ein Gedicht Melvilles mit dem Titel "Kunst", gefolgt von dem Essay "Skizzen einer Walfangreise". Die weiteren Texte erzählen vorwiegend von Südseereisen, aber auch die Themen "Amerikanische Literatur" oder "Antike Skulpturen in Rom" werden angeschnitten.
August Strindberg, "Der romantische Küster auf Ranö", Übersetzung: Angelika Gundlach, Mare
Die Handlung dieser kleinen, aber feinen Novelle ist schnell erzählt. Ein begabter und ehrgeiziger junger Mann namens Alrik Lundtstedt zieht Mitte des 19. Jahrhunderts von einer abgelegenen schwedischen Schäreninsel namens Ranö in die Hauptstadt Stockholm. Er möchte sich an der Musikakademie ausbilden lassen. Es ist eine echte Chance, der Provinz zu entfliehen und Karriere zu machen. Doch er kehrt zurück und nimmt eine Stelle als Küster, also Kirchendiener und Organist, auf seiner Heimatinsel an. Für etwas Größeres steht er sich selbst im Weg. Und dieses Sich-selbst-im-Weg-Stehen ist das eigentliche Thema der Erzählung, die Strindberg laut Verlag als "das prachtvollste, was ich gemacht habe" bezeichnet haben soll. Denn Alrik Lundtstedt, der romantische Küster auf Ranö, litt unter einem Kindheitstrauma. So würde man das jedenfalls heute bezeichnen. Würde er in der heutigen Zeit leben, dann hätten ihm seine Mitmenschen vielleicht geraten, sich einen Psychotherapeuten zu suchen. In einer Traumatherapie würde er vorsichtig an das schreckliche Erlebnis herangeführt werden, das ihn einst so verstört hat. Das ihm die Welt aber auch auf eine Weise verzaubert hat, so, dass sie zu einem einzigen großen Gedicht geworden ist. Alrik Lundtsedt ist nämlich ein Realitätsverweigerer. "Der romantische Küster auf Ranö" ist aber alles andere als ein düsteres Psychodrama. Gefeiert wird es als ein humoristisch - raffiniertes Meisterstück des Naturalismus, an dessen Ende Strindberg die Frage nach Wirklichkeit und Fiktion dann, auf einer anderen Ebene, noch einmal völlig neu stellt. Für sein Verweben von Traumwelt und Realität wird Strindberg zurecht auch als Vorläufer des Surrealismus gesehen.
"Der Spleen von Paris" von Charles Baudelaire
Ex libris | 21 07 2019
Andreas Puff-Trojan
Charles Baudelaire, "Le Spleen de Paris - Der Spleen von Paris", herausgegeben und neu übersetzt von Simon Werl, Rowohlt
Charles Baudelaire hat in der Hauptsache zwei Textsammlungen verfasst, in denen er die "modernité" in all ihren Facetten darstellte: die Gedichtsammlung "Fleurs du Mal" (die "Blumen des Bösen") und die Prosaminiaturen "Le Spleen de Paris" ("Der Spleen von Paris"). Einige Texte konnte der Dichter in Zeitungen abdrucken, die gesamten 50 Prosaarbeiten wurden erst 1869 posthum veröffentlicht. Der Schriftsteller und Übersetzer Simon Werle hat für den Rowohlt Verlag 2017 Baudelaires Dichtung "Fleurs du Mal" ins Deutsche übertragen. Nun folgen Baudelaires Prosaminiaturen "Le Spleen de Paris". Werles Übersetzungen versuchen dem Original treu zu bleiben, was dann in der Übertragung vielleicht etwas altmodisch wirkt, zugleich die Leser in die Zeit Baudelaires zurückversetzt. Im neuen Rowohlt-Band finden sich aber nicht nur die Texte aus "Der Spleen von Paris", sondern auch frühe Gedichte Baudelaires und frühe Prosaarbeiten, die bislang selten oder gar nicht übersetzt wurden. Baudelaire, der über seine Mutter englisch beherrschte und viele Erzählungen von Edgar Allen Poe ins Französische übersetzt hat, wusste genau was es mit dem englischen Wort "Spleen" auf sich hat: Es meint eigentlich das Organ Milz, deren Erkrankung man die Schuld für depressive Gefühle zuschrieb. Bei Baudelaire nähert sich der "Spleen" der "Melancholie" und dem "ennui", also der Langeweile an - angesichts einer stets sich wandelnden "modernité". Die Textsammlung "Spleen de Paris" hat allerdings auch einen Untertitel: "petits poèmes en prose", also "kleine Gedichte in Prosa". Aber das ist nicht ganz, was Baudelaire meint: Das Adjektiv "klein" bezieht sich eher auf die Prosa: Gedichte in Kurzprosa. Es geht Baudelaire um Rhythmus und Poesie der Großstadt, ein "poème en prose" ist eine neue, moderne Form der Dichtung, eine experimentelle Mischung von Lyrik und Prosa. Kurz gesagt: Auf die Prosa wird ein lyrischer Anschlag verübt.
Raymond Queneau, "Zazie in der Metro", Roman; aus dem Französischen übersetzt, mit Anmerkungen und einem Nachwort versehen von Frank Heibert, Suhrkamp
Einen sprachexperimentellen Roman samt Argot-Ausdrücken, Neologismen, verschiedenen Stilebenen der Mündlichkeit und intertextuellen Bezügen zu übersetzen ist eine Mammutaufgabe - erst recht, wenn das Original aus den 1950er Jahren stammt. "Zazie in der Metro" von Raymond Queneau erschien 1959 und wurde umgehend von Eugen Helmé ins Deutsche übertragen. Dessen kontroversiell diskutierte Übersetzung kam im gleichen Jahr heraus wie die Verfilmung durch den 28-jährigen Louis Malle: nämlich 1960. Jetzt hat es der preisgekrönte Übersetzer Frank Heibert unternommen, diesen avantgardistischen Bestseller und französischen Klassiker in ein zeitgemäßes Deutsch zu übertragen. Die comicartige Handlung umspannt ein Wochenende. Die etwa 13-jährige Provinzgöre Zazie wird von ihrer Mutter, die ungestört einem Liebesabenteuer nachgehen will, bei Onkel Gabriel in Paris geparkt, einem feinsinnigen Athleten, der seine Nerven gern mit klebriger Grenadine beruhigt. Zazie schleicht sich aus dem Haus ihres Onkels und streunt in Paris herum, Ziel: die Metro, sie will endlich mit der Metro fahren. Die ist aber durch einen Streik stillgelegt. Raymond Queneau, einst Surrealist, Herausgeber der Encyclopédie de la Pléiade, Mitglied der Académie Goncourt, Gallimard-Lektor, Drehbuchautor und Romancier ist 57 Jahre alt, als er mit "Zazie in der Metro" eine Roman-Parodie erschafft, in der er sich über den Diskurs über den modernen Roman lustig macht. Man kann die Handlung surrealistisch mit nächtlichen Traumfahrten versus vernünftigen Tagwelten deuten usw., sie bleibt dennoch nur die Bühne, auf der Queneau sein Sprachexperiment veranstaltet.
"Robinson Crusoe" von Daniel Defoe
Ex libris | 14 07 2019
Peter Zimmermann
Daniel Defoe, "Robinson Crusoe", übersetzt von Rudolf Mast, Mare Verlag
"Robinson Crusoe", erschienen 1719, ist die Geschichte eines jungen Engländers aus guten Verhältnissen, der, wie der Eichendorffsche Taugenichts, sich mit diesen Verhältnissen nicht arrangieren möchte. Er will nicht an Vaters Seite wohlhabend und satt werden, er will in die Welt hinaus, ein bisschen was erleben und selbst für sein Fortkommen sorgen. Robinson ist ganz und gar kein Abenteurer, er sucht die Gefahr nicht und möchte auch nichts erobern. Er will nur den Altvorderen beweisen, dass er es auch draufhat, sich eine Lebensgrundlage zu schaffen. Vaters Warnungen zum Trotz fährt er zur See und erleidet Schiffbruch. Es ist eine Geschichte vom Kampf gegen die Einsamkeit und gegen die Verzweiflung, am Leben zu sein, inmitten einer zum Glück nicht lebensfeindlichen Natur, und wie es ist, dieses Leben mit sich selbst zubringen zu müssen. Das Verhältnis von Wildnis und Zivilisation ist das eigentliche Thema des Romans, denn Defoe lässt seinem Helden wenig Zeit für Verzweiflung. Am Anfang wird noch mit dem Schicksal gehadert, doch schon bald macht sich Robinson ans Werk, um nicht nur sein Überleben zu sichern, sondern dies in Würde zu tun, denn auch sich selbst gegenüber ist der zivilisierte Engländer Haltung schuldig.
Jiri Weil, "Mendelssohn auf dem Dach", Roman, übersetzt von Eckhart Thiele, Wagenbach Verlag
Der tschechische Schriftsteller Jiri Weil war ein literarischer Außenseiter. 1933 übersiedelte er als glühender Kommunist 1933 nach Moskau, wurde ein Jahr später in ein Arbeitslager deportiert, flüchtete und kehrte nach Prag zurück. Dort musste er während der nationalsozialistischen Besatzung (um sein Leben zu retten, denn Weil war Jude) seinen Selbstmord vortäuschen. Der Schriftsteller versteckte sich übrigens bei der Nichte seines berühmten Landsmannes Franz Kafka. Die Ermordung der Juden während der NS-Zeit ist ein Thema, das sich wie ein roter Faden durch das Werk von Jiri Weil zieht. So auch durch den vor kurzem neuübersetzten Roman "Mendelssohn auf dem Dach". Die Statue des Komponisten Felix Mendelssohn-Bartholdy, der einer jüdischen Familie entstammte, soll vom Dach des Konzerthauses Rudolfinum entfernt werden. Doch bei welcher der Statuen handelt es sich um Mendelssohn? Was so komisch beginnt, wird im Laufe des Buchs ein großes, immer dunkleres und beklemmendes Bild Prags und seiner Bewohner unter der deutschen Besatzung.
Gestaltung
- Peter Zimmermann
- Julia Reuter