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Ö1 Kunstgeschichten
"Alkoholikerbild" von Monika Helfer
Die Vorarlberger Autorin Monika Helfer war schon als kleines Mädchen fasziniert von der Welt der Bilder. Sie hat sich schließlich für den Weg einer Schriftstellerin entschieden, jedoch wurde ihr Sohn Lorenz Helfer Maler. Immer wieder illustriert er Erzählungen und Romane seiner Mutter, ebenso wie die seines Vaters Michael Köhlmeier. Bei Ö1 ist es umgekehrt: Monika Helfer schreibt über ein Gemälde ihres Sohnes. Die Ö1 Erstveröffentlichungsreihe "Kunstgeschichten" widmet sich dem Kunstblick von Autorinnen und Autoren. Redaktion: Ingrid Bertel und Edith-Ulla Gasser.
28. Juni 2019, 14:12
Neue Texte | 30 06 2019
Ö1 Kunstgeschichten - "Alkoholikerbild - Eine nicht komponierte Tragödie" von Monika Helfer. Es liest Sabine Lorenz.
Monika Helfer im Ö1 Archiv Literarisches Österreich
Warum ich gerade dieses Bild ausgewählt habe? Es stand an der Wand und schaute mich an. Das Motiv kam mir angedeutet vor und dennoch haarscharf getroffen, so als kennte ich den Mann, der als Alkoholiker gekennzeichnet war. Jeder kennt einen Alkoholiker und hat schon die halbleere Flasche gesehen. In diesem stumpfen Gelb und mageren Blau wird die Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung gesehen.
Nicht jedem Menschen gelingt es, hinter ein Bild zu sehen. Es muss auch das reine Schauen genügen können.
Noch weiß der Maler nicht, was er malen wird. Er steht dicht vor der Leinwand, so dass nur Farben, Formen und Linien zu erkennen sind. Dann tritt er zurück, weiter, noch ein Stück, noch ein Stück. Das Gemalte verändert sich, er weiß, die Bewegung im Bild ist recht gut, muss aber intensiver werden. Lange betrachtet er.
Er greift in die Farben, vermischt Rot und Gelb und Blau und Blau und Gelb. Er weiß, was der Betrachter aus dem Bild lesen wird, ist etwas, was er, der Maler, nie gedacht hat. Jeder hat seine eigene Interpretation. Das stört ihn und stört ihn zugleich nicht.
ORF/URSULA HUMMEL-BERGER
Monika Helfer, geboren 1947 in Au/Vorarlberg, begann im Alter von elf Jahren zu schreiben. Es war der Versuch, eine Sprache für den Schock zu finden, den sie durch den frühen Tod ihrer Mutter erlitten hatte. 1977 erschien Helfers Erstling "Eigentlich bin ich im Schnee geboren". 1981 heiratete sie den Schriftsteller Michael Köhlmeier, mit dem sie zwei gemeinsame Kinder hat: Sohn Lorenz ist Maler, Tochter Paula wollte Schriftstellerin werden. Sie verunglückte 2003 tödlich bei einem Spaziergang. Schwierige Familienbeziehungen sind ein zentrales Thema in Helfers Werk, wobei sie oft aus der Perspektive der Kinder erzählt, so etwa in ihren Romanen "Die wilden Kinder", "Oskar und Lilli" oder "Schau mich an, wenn ich mit dir rede".
Zwei Figuren sind zu sehen, eine dunkle, eine helle. Die dunkle Figur umringt die helle, die dunkle greift der hellen in die Stirn, so als wollte sie die helle fixieren um dann mit der Linken zum Schlag auszuholen. Bedrohlich will sich der Schlagarm senken. Der Helle versucht sich mit seinen Beinen zu wehren, er will mit seinem Bein dem Dunklen Einhalt gebieten, was kläglich scheitert. Die Beine verkeilen sich ineinander, die Füße suchen Halt. Auf der rechten Seite sieht man eine Flasche, halb steht sie, halb fällt sie. Die helle Figur versucht nach der Flasche zu greifen.
Der Dunkle muss der Dämon sein, vergeblich klammert sich der Helle an einer Linie fest.
Warum färbt sich das Hemd des Alkoholikers rot?
FELICITAS DARSCHIN
Sabine Lorenz arbeitet seit 1998 als freischaffende Schauspielerin, Autorin, Sprecherin und Regisseurin. Schon im zweiten Jahr ihres Schauspielstudiums in München wurde sie mit dem Lore-Bronner-Preis ausgezeichnet. Zu ihren Rollen zählten Medea, Kriemhild, Mirandolina, Nora, Alkmene, Elisabeth und Maria Stuart. Sie spielt nicht nur am Theater sondern auch in vielen ARD-, ZDF- und Kinoproduktionen. Als Autorin verfasst sie Film- und Romanadaptionen für die Bühne und schrieb u.a. das Drehbuch zu ihrem Kurzfilm "anna inside/out", bei dem sie auch Regie führte , und der 2005 beim Damascus International Film Festival ausgezeichnet wurde.
Als beim Anblick des halb fertigen Gemäldes ein Freund zum Maler sagte: "Das wird ein Alkoholikerbild", wunderte sich der Maler und schaute das Bild an, als hätte er die Figuren nie gesehen. Warum hatte er eine halbvolle Flasche gemalt? Eine, die aussieht, als würde sie gleich umfallen? Der Freund, der ein Alkoholiker ist, interpretierte das Gemälde ganz nach seiner eigenen Biografie. Er sah den verzweifelten Trinker nach der Flasche greifen, sah den Dämon über dem Trinker und über sich selbst. Der Trinker auf dem Bild wehrt sich mit Händen und Füßen, sein ganzer Körper verzerrt sich.
"Ich sehe die Qual", sagte der Alkoholiker zu seinem Freund, dem Maler, "du hast genau erfasst, worum es geht."
"Ich hab nur so drauflos gemalt", sagte der Maler. "Keine Ahnung."
"Du kennst doch auch den Dämon, jeder hat einen Dämon, er steht hinter dir und wartet nur darauf, dich zu vernichten."
Der Maler lachte und zog eine verlegene Grimasse. "Ich weiß nicht, ob ich einen Dämen habe. Habe ich einen? Keine Ahnung. Kannst du auch etwas Gutes über das Bild sagen?", fragte er.
"Über die Qualität des Malens kann ich nicht urteilen, ich bin kein Fachmann, ich denke aber, dass es gut gemalt ist, und der Inhalt ist erschreckend."
"Für dich ist das Bild erschreckend, weil es von deinem Problem spricht", sagte der Maler. "Aber überleg, könnte es nicht auch ein anderer Inhalt sein, vergiss die Flasche. Denke, es ist einfach eine Form, es sind Linien, Farben."
"Das ist ja das Erschreckende", sagte der Freund. "Es betrifft jeden Menschen, außer er ist blind und sieht nur, was er sehen will. Was gibst du dem Bild für einen Namen?"
"Jetzt, da du es schon so übermäßig interpretiert hast, bin ich befangen", sagte er Maler. "Balthus hätte wahrscheinlich ein Schulmädchen auf den Tisch gesetzt, ein eindeutiges. Lucian Freund einen sterbenden Hund dem Mann zwischen die Beine. Ich habe beim Malen keine Hintergedanken. Nicht einmal einen Gedanken."
"Was ist mit dem Unbewussten?", fragte der Alkoholiker, dem das Unbewusste so lange Zeit im Leben eine Ausrede gewesen war.
"Ich achte beim Malen auf das Licht", antwortete der Maler. "Auf welche Gegenstände soll es scheinen? Was bleibt im Schatten? Schatten und Licht sind mir wichtiger als ein Dämon und ein Unbewusstes."
"Du willst also nicht über das Unbewusste reden?", fragte der Freund.
"Was gibt es über geschmolzenen Schnee zu erzählen?", sagte der Maler. "Ich bin geprägt durch meine Erinnerung an Bilder, die ich gesehen habe, und Bilder, die mich angeschaut haben. Ich könnte sagen, dass der Beginn des Malens ein Geheimnis ist, wobei das Wort Geheimnis mir schon etwas zu kapriziös erscheint. Es muss eine Atmosphäre entstehen, das klingt glaubhafter. Da habe ich die Idee des Raums, den Hintergrund, der sich oft aus einem Fehler ergibt. Ich weiß nicht, herrscht die Atmosphäre im Bild oder im Atelier, während ich male. Ich denke nur an Farben und Formen und Linien."
"Wie ist das bei Francis Bacon?", fragte der Freund, Bacon war sein Lieblingsmaler. "Was wollen mir seine Figuren erzählen?"
"Wenn du mich fragst, gar nichts", sagte der Maler. "Ich glaube, Bacon war einer, der drauflosgemalt hat, und als er dann in seinem Gemälde etwas erkannt hat, konnte er es benennen."
"Das ist deine Meinung."
"Welche Meinung sollte ich denn sonst haben?"
"Sag, was empfindest du, wenn das Bild fertig ist?", fragte der Freund.
"Es interessiert mich nicht mehr. Es ist fertig."
"Hast du nicht zufällig ein Bier da?", fragte der Freund.
Es gibt eine Serviette aus der Zeit, als der Maler noch ein Schulkind war. Er war mit seinen Eltern in einem Restaurant gesessen und weil ihm langweilig war, zeichnete er mit Filzstift auf eine Serviette Figuren, sie berühren einander, als gehörten sie zusammen. Seine Mutter war beeindruckt, was sie aber nicht sagte, und nahm die Serviette mit. Jahre später zeigte sie es dem Maler, der sich wundertre. "Nicht schlecht", sagte er "ganz aus dem Unbewussten."
Die wichtigste Entscheidung des Malers war es, nur mehr aus dem Kopf zu malen. Auf der Akademie war ihm das Zeichnen nach Modellen verleidet.
"Beinahe immer", sagt der Maler, "übermale ich ein altes Bild, um ein neues daraus zu machen. Frische leere Leinwände inspirieren mich nicht. Sie schrecken mich nicht ab, aber sie ermuntern mich nicht."
Kann sein, sagt er, dass er von einem seiner alten Bilder einiges übernimmt, eine Hand, ein Knie. Es gibt gerade drei Bilder in seinem Oeuvre, die er gelten lässt und nicht übermalen möchte. Um diese drei Bilder würde es ihm leid tun.Wie die meisten Maler ist er kritisch mit sich selbst.
Er nimmt das alte Bild, übermalt grob und dünn, malt in kräftigem Kontrast zwei Linien, beide mit einem Knick - eventuell Ellbogen oder Kniekehlen -, um dann "richtig" daran zu arbeiten. Die geknickten Linien sind nun das Zentrum. Er achtet auf die Komposition, jede Bewegung verlangt eine Gegenbewegung. Irgendwann muss der Maler sich entscheiden, ob das Bild nun fertig ist oder nicht. Manchmal liegt die Leinwand auf dem Boden, dann beugt er sich darüber, als würde er eine Katze füttern. Er weiß nur, dass er Menschen malen will, ob Mann oder Frau ist noch ungewiss. Meistens werden es zwei Menschen. Manchmal entsteht ein abstraktes Bild. Das "Alkoholiker-Bild" war einmal ein "Kannenbild", das heißt, der Maler hat eine Teekanne aus Porzellan in zwei Hälften zersägt und sie dann gemalt. Die Namen der Bilder, wenn sie überhaupt einen Namen bekommen, sollen so wenig wie möglich über das Bild sagen. Am liebsten würde er seine Bilder einfach nummerieren. Wie Ludwig von Köchel das Verzeichnis der Werke von Mozart.