Manson Family

ASSOCIATED PRESS

Diagonal

Gurus, Geister, Gegenbilder

Es waren Bilder, die die Welt erschütterten. Sie zeigten drei junge Frauen mit gelöstem Haar und Mittelscheitel, strahlend, dann wieder kichernd auf dem Weg in den Gerichtssaal. Mit heller dünner Stimme trällerten sie ein liebliches Lied, komponiert von ihrem Guru Charles Manson, einem gescheiterten Musiker und Kleinkriminellen, der mehr als die Hälfte seines 35jährigen Lebens im Gefängnis verbracht hatte.

Den Ernst der Lage schienen die Frauen nicht zu begreifen. Denn alle Zeichen sprachen dafür, dass sie am Ende dieses Prozesses, der am 24. Juli 1970 begonnen hatte, zum Tode verurteilt würden. Susan Atkins, Patricia Krenwinkel und Leslie van Houten sahen wie viele junge Mädchen aus, die eben erst dem Teenageralter entwachsen waren und in einer der Westküsten-Kommunen den Hippie-Traum von Selbstverwirklichung, freier Liebe und Bewusstseinserweiterung lebten.

Doch ihnen wurde Ungeheuerliches vorgeworfen. Im Hochsommer 1969 verübten die Frauen an zwei aneinander folgenden Abenden ein Massaker, dem insgesamt sieben Menschen zum Opfer fielen – darunter die hochschwangere Hollywood-Schauspielerin Sharon Tate, Ehefrau Roman Polanskis. Die Opfer wurden in ihrer Villa in Beverly Hills überfallen und mit Messern niedergestreckt, allein auf Sharon Tate stachen die Mörder 16 Mal ein.

Auf die Haustür des Tate-Anwesens schrieb die damals 21jährige Susan Atkins mit dem Blut Sharon Tates das Wort "PIG". Einen Tag später wiederholte sich das bestialische Treiben in der Villa des Unternehmer-Ehepaars LaBianca. Die Reichen und Schönen Hollywoods waren in Alarmbereitschaft, Sicherheitsdienste machten ein gutes Geschäft, scharfe Hunde bewachten die Luxusherbergen von Beverly Hills und Bel Air. Die Angst ging um.

Charles Manson

Charles Manson auf dem Weg zu seiner Verhandlung

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Das Böse im Gewand der Unschuld

Nur zwei Jahre nach dem "Summer of Love" schien die Love&Piece-Euphorie der Hippie-Bewegung in ihr monströses Gegenteil zu kippen, so zumindest resümierte eine sensationslüsterne Presse, die mit detailreichen Geschichten über das ausschweifende Sexleben in der Manson-Kommune Auflage machte und den Voyeurismus des Spießers bediente. Der Prozess gegen die Mitglieder der Manson-Family zeigte der Öffentlichkeit junge Menschen, die von einem paranoiden Guru mit halluzinogenen Drogen gefügig gemacht und indoktriniert wurden.

Angeregt von den Rassenunruhen in den US-amerikanischen Metropolen hatte Manson seiner Gefolgschaft einen Rassenkrieg prophezeit, der mit der Auslöschung der weißen Bevölkerung enden werde. Allein die Mitglieder der Manson-Family, die in der Wüste einen verborgenen Eingang ins Erdinnere finden würden, würden laut Manson überleben.

Doch entgegen dieser Prophezeiungen, die, so glaubte Manson, im Beatles-Song "Helther Skelter" verkündet wurde, brach der Krieg der Rassen nicht aus. Manson wurde ungeduldig. Um den vermeintlich notwendigen Fortgang der Geschichte zu beschleunigen, befahl Manson seiner Gefolgschaft, in den noblen Villen von Bel Air ein Gemetzel anzurichten, das den Anschein eines afroamerikanischen Rachefeldzugs haben sollte. Wenige Tage bevor sich hunderttausende Jugendliche in Woodstock unter dem Symbol der Friedenstaube versammelten, ließ Manson sein Mordkommando ausrücken. Die Hippie-Bewegung, die 1969 in den USA längst kein Underground-Phänomen mehr war, hatte ihre Unschuld verloren.