Finger halten Wasserwaage

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

Nebenbeschäftigungen

Vom Marktwert der Glaubwürdigkeit

Journalistische Unabhängigkeit braucht wirtschaftliche Absicherung. Angestellte Journalisten verdienen in der Regel auch gut, wenngleich die Kollektivverträge zunehmend nach unten angepasst und umgangen werden. Dazu kommt: wenn Journalisten länger im Geschäft sind, dann genießen sie eine Bekanntheit, vor allem wenn sie für das Fernsehen arbeiten. Da entsteht ein Marktwert, und da ergeben sich lukrative Nebenbeschäftigungen, die journalistisch oft eine Gratwanderung sind.

2.000 Euro für eine Moderation mit allem Drum und Dran verlangt Christoph Kotanko. Er arbeitet für die Oberösterreichischen Nachrichten, war früher Kurier-Chefredakteur und hat viel Erfahrung mit Nebenbeschäftigungen dieser Art, bei Zeitungen gehören Auftritte im Rahmen von Verlags-Events zum täglichen Geschäft. Die 2.000 Euro sind für Journalisten, die ihre Prominenz aus regelmäßiger Bildschirmpräsenz etwa in der "Zeit im Bild" vor Millionen-Publikum schöpfen, die untere Kante. Der Satz für Fernsehstars liegt beim Doppelten, in manchen Fällen auch darüber.

2.000 Euro Honorar als Unterkante

Was macht es für Unternehmen oder Organisationen so interessant, aktive Journalisten aufzubieten? Natürlich der Promi-Faktor, sagt Kommunikationsberaterin Heidi Glück: "Fernsehjournalisten haben ein bekanntes Gesicht, Radiojournalisten erkennt man an der Stimme, Zeitungsleute kann man täglich in den Zeitungen lesen." Und dazu komme das Know-how, nicht jeder kann große Veranstaltungen moderieren oder präsentieren. "Journalisten sind da prädestiniert", sagt Glück. Und das sehen auch viele Unternehmen so.

Der ORF-Star und der Millionenspender

Der ORF hat eine interne Vermittlungsplattform, über die die "ORF-Stars" gebucht werden können. Betroffene erzählen, dass sie phasenweise mit Angeboten für Moderationen oder Präsentationen geradezu bombardiert worden sind. Die Liste der Referenzen kann im Internet eingesehen werden, und sie ist lang: von A1 Telekom bis Wirtschaftskammer. Ins Auge sticht ein Eintrag zu ZIB-Moderatorin Nadja Bernhard, sie wurde für eine Veranstaltung der IGO engagiert, das ist die Firma von Klaus Ortner, dem Millionenspender von Sebastian Kurz. Der Auftritt ist schon lang her, aktuell würde das aufgrund der neuen Umstände nicht genehmigt werden.

Der Ethikrat und seine Checkliste

Was geht und was nicht, darüber wacht im ORF ein eigener Ethikrat, auf dessen Checkliste stehen Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit ganz oben. Aber auch die Bindung von Mitarbeitern ans Unternehmen ist ein Punkt, der eine Rolle spielt. ORF-Leute sind gefragt, Auftritte in der Öffentlichkeit will man ihnen nicht verwehren, sie stärken auch das Image des Unternehmens. Jeder dieser Nebenjobs muss vom zuständigen Direktor abgesegnet werden, ab einer bestimmten Anzahl muss auch der Generaldirektor zustimmen.

Dieter Bornemann

Dieter Bornemann

ORF/URSULA HUMMEL-BERGER

"Kein Anschein von Befangenheit"

Redakteurssprecher Dieter Bornemann sagt über Nebenbeschäftigungen: "Klar ist, es darf nicht einmal der Anschein der Befangenheit bestehen. Ich kann zum Beispiel als Wirtschaftsredakteur selbstverständlich keine Veranstaltung für eine Bank moderieren. Weil ich nicht von jemandem Geld nehmen kann, über den ich potenziell berichte." Seit dem strengen Antikorruptionsgesetz von 2012 hat der ORF auch strenge Compliance-Regeln, die Nebenbeschäftigungen haben sich dadurch etwa in der ZIB auf einen überschaubaren Kreis von Leuten reduziert, die im Schnitt vielleicht einmal pro Monat etwas neben ihrer ORF-Tätigkeit machen.

Manche Dinge sind einfach verboten

Manche Dinge sind ohnehin strikt verboten. Redakteursvertreter Bornemann: "Alles was mit Parteipolitik zu tun hat, ist generell tabu, das dürfen wir nicht. Und das ist auch gut so. Auch Medientrainings sind unzulässig." Medientraining, das heißt, den Kunden beibringen, wie sie unangenehme Fragen vor der Kamera parieren oder diesen ausweichen können. Aktive Journalisten, die das tun, würden sich selbst beschädigen. Erlaubt sind Lehrtätigkeiten an Universitäten oder das Verfassen von Fachbüchern und Romanen inklusive Promotion. Das muss natürlich alles in der Freizeit stattfinden.

Unvorhergesehene Dinge passieren

Bei allen klaren Regeln: es bleibt ein Spannungsfeld, zumal auch immer wieder unvorhergesehene Dinge passieren. Der Inlandschef der Fernsehinformation, Hans Bürger, hat ein Werbevideo für die VOEST gemacht, das nur intern verwendet werden sollte, aber dann auf der blauen Seite von ORF.at aufgepoppt ist. Wobei Bürger für das VOEST-Video nach eigenen Angaben kein Honorar, sondern wörtlich "nur eine Linzer Torte bekommen" hat. ZIB-Moderator Tarek Leitner wiederum tauchte in einem Imagefilm einer Molkerei auf YouTube auf. Auch das sollte nie an die Öffentlichkeit gelangen.

Leser-Blatt-Bindung und Markenpflege

Der Zeitungsjournalist Christoph Kotanko ist dennoch der Ansicht: Journalisten müssen auch außerhalb ihrer jeweiligen Medien auftreten, selbstverständlich gegen Honorar, weil das ja etwas wert ist. "Man kann das natürlich sehr puristisch sehen, dann müsste man einen sehr strengen Maßstab anlegen. Mit meinen Erfahrungen als langjähriger Chefredakteur des Kurier weiß ich aber, dass man sich bestimmten Marketing-Maßnahmen nicht entziehen kann. Diese Präsenz ist in meinen Augen notwendig." Sie dient der Leser-Blatt-Bindung, das ist wichtig. Auch Ö3 zum Beispiel und Privatsender wie puls4 betreiben Markenpflege. Das Know-how und die Bekanntheit der Journalisten sind das Kapital.

ZDF-Frau Hayali entgegnet Kritik

Eine österreichische Besonderheit sind Nebenbeschäftigungen von Journalisten nicht. Im vorigen Sommer hat das NDR-Medienmagazin ZAPP thematisiert, dass die bekannte ZDF-Journalistin Dunja Hayali den "Gaming Summit" moderiert hat - das ist der jährliche Kongress ausgerechnet der deutschen Glücksspielautomaten-Branche. Hayali sagte damals gegenüber ZAPP: "Ich bin nicht käuflich. Ob Sie mir einen Euro geben oder hundert Euro, der Journalismus, den Sie auf der Bühne sehen, wird immer der gleiche sein, mit dem gleichen Anspruch, mit der gleichen Sorgfalt und mit der gleichen Freiheit." Viele sahen das anders. Die Debatte ließ Hayali nicht kalt, sie habe die Wirkung unterschätzt und bedauere das sehr, schrieb die Journalistin später auf Twitter.

Alexander Warzilek

APA/GEORG HOCHMUTH

Alexander Warzilek

"Nebenjob kann Hauptberuf gefährden"

Es ist eine Frage von Charakter und Persönlichkeit, wie man den Journalistenberuf lebt. Eine klare Grenzziehung sei unerlässlich, sagt Alexander Warzilek, der Geschäftsführer des Presserats. Er ist nicht grundsätzlich gegen Nebenbeschäftigungen, sie dürften aber nicht für Leute oder Firmen geleistet werden, über die man berichte. "Jeder Nebenjob kann die Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit eines Journalisten beeinträchtigen. Die Glaubwürdigkeit ist aber die wichtigste Währung im Journalismus, wenn ich die verliere, dann bin ich kein ernstzunehmender Journalist mehr", so Warzilek.

Es ist ein heikles Thema, das sieht man auch daran, dass nur wenige so offen darüber reden wollen wie etwa die deutsche Kollegin Dunja Hayali. #doublecheck hat vom ORF keine offizielle Stellungnahme erhalten, auch nicht von den betroffenen Kollegen und Kolleginnen. Und auch von puls4 war trotz mehrmaliger Nachfrage, wie dort mit Nebenjobs von Journalisten umgegangen wird, keine Auskunft zu bekommen.

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