ORF/MARIA HARMER
Religion
Die Días de los Muertos in Mexiko
Allerheiligen in Mexiko. Mariachi-Gruppen spielen traditionelle Musik auf den Gräbern, und rund um die Friedhöfe formieren sich Menschen, als Skelette verkleidet, zu festlichen, lauten und fröhlichen Umzügen.
29. November 2019, 02:00
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Tao | 02 11 2019 | 19:05 Uhr
Kinder naschen Särge aus Schokolade und Verliebte schenken einander Totenköpfe aus Zuckerguss, auf deren Stirn sie den Namen der oder des Geliebten schreiben.
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"Ja, wir Mexikanerinnen und Mexikaner glauben, dass sie uns besuchen kommen. Meine Großväter und meine Großmütter kommen. Wir geben ihnen alles, unser Essen, das typisch für uns ist, damit sie kommen, uns besuchen und dann zurückkehren, um sich auszuruhen.“ Angela Ramirez, Mexiko-City
Allerheiligen in Mexiko ist ein mehrtägiges Fest! Ein Zusammentreffen von Verwandten und Freunden, von Arbeitskolleg/innen und Nachbarn. Doch hinter der lauten Fassade des scheinbar respektlosen Umgangs mit dem Tod verstecken sich auch leise, ängstliche und traurige Aspekte.
Die Días de Muertos entstanden in den Kulturen der Azteken, Tolteken, der Nahua und anderen Völkern. Für diese prä-hispanischen Kulturen war der Tod eine natürliche Phase im Kontinuum des Lebens. Die Toten galten als Mitglieder der Gemeinschaft und wurden im Geiste und in Erinnerungen am Leben gehalten. Während des Día de Muertos kehrten sie auf die Erde zurück.
"Eine Kultur, die den Tod verleugnet, verleugnet auch das Leben." Octavio Paz
Hinter dem vordergründig fröhlichen und humorvollen, ja fast koketten Umgang mit dem Tod stehen ein tiefer Respekt vor dem Tod selbst und die Vorstellung vieler Mexikaner/innen, dass die Verstorbenen rund um das christliche Fest Allerheiligen für 24 Stunden zu ihren Angehörigen "zu Besuch kommen". Das Tor in die jenseitige Welt scheint also in eben dieser Zeit einen Spalt geöffnet zu sein - die Schranke, die Leben und Tod voneinander trennt, scheint durchlässig zu werden.
"Der Kult des Todes ist, wenn er tiefgründig und vollkommen ist, auch ein Kult des Lebens. Beide sind untrennbar. Eine Kultur, die den Tod verleugnet, verleugnet auch das Leben", schrieb Nobelpreisträger Octavio Paz im "Labyrinth der Einsamkeit".
Der Tod ist in Mexiko Teil des Lebens. In den "Dias de los Muertos" mischen sich prähispanische Traditionen aus den Kulturen der Maya und Azteken mit christlichen Vorstellungen, die Hernán Cortez und die spanischen Eroberer vor genau 500 Jahren über den Atlantik gebracht haben nun zusätzlich mit Elementen des keltischen Halloween.
Die "Días de los Muertos" sind ein einzigartiges Fest; so einzigartig, dass das Fest, mit dessen Vorbereitung bereits Monate vorher begonnen wird, im Jahr 2003 von der UNESCO zum "Meisterwerk des mündlichen und immateriellen Erbes der Menschheit" erklärt wurde und seither Teil des Weltkulturerbes ist.
Ein wichtiger Bestandteil des Festes ist der Altar oder Ofrenda, der zu Hause oder auf einem Friedhof aufgebaut wird. Die Altäre sollen die Geister der Toten im Reich der Lebenden willkommen heißen. Daher werden sie mit Wasser, um den Durst der langen Reise zu stillen, Essen, Familienfotos und eine Kerze für jeden toten Verwandten ausgestattet.
Auch das Essen spielt eine zentrale Rolle bei den Feierlichkeiten. Denn die Toten haben nach ihrer langen Reise nicht nur Durst sondern auch großen Hunger. Daher werden auch die Lieblingsspeisen des Verstorbenen zubereitet und auf die Altäre gestellt. Daneben gibt es aber auch allgemein verbreitete Gaben.
Pan de muerto, das Brot der Toten, ist ein süßes Brot, das oft mit Anis gewürzt und mit Knochen und Schädeln aus Teig verziert wird. Kleine Teigtropfen symbolisieren Trauer.
Zuckerschädel sind Teil der traditionellen Zuckerkunst, die im 17. Jahrhundert von italienischen Missionaren mitgebracht wurde. Auf diesen Totenköpfen aus Zuckerguss kann man die Namen geliebter Menschen schreiben lassen.
Getrunken werden Pulque, ein süßes, fermentiertes Getränk aus Agavensaft, Atole, ein dünnflüssiger, warmer Brei aus Maismehl mit unraffiniertem Rohrzucker, Zimt und Vanille und heiße Schokolade.
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Die Tage der Toten werden je nach Bräuchen der jeweiligen Regionen unterschiedlich gefeiert. In Pátzcuaro, einer Gemeinde 360 Kilometer westlich von Mexiko-Stadt, versammeln sich die Menschen an den Ufern des Sees und paddeln in Kanus zu einer kleinen Insel, um dort auf dem Friedhof der Ureinwohner Nachtwache zu halten.
In Mixquic, einem Vorort von Mexiko-Stadt, werden die Glocken eines Augustinerklosters geläutet. Dann ziehen die Menschen mit Kerzen und Blumen zum Friedhof, um die Gräber ihrer Familien zu schmücken und Nachtwache zu halten.
Die kleine Stadt Tuxtepec ist für ihre Alfombras bekannt. Das sind kunstvolle Muster aus gefärbten Sägespänen, Blütenblättern, Reis, Kiefernnadeln und anderen organischen Materialien, die auf den Straßen der Stadt ausgelegt werden. Und in Aguascalientes, der Geburtsstadt des Schöpfers der populärsten Skelettfigur der Tage der Toten, José Guadalupe Posada, findet die Feier ihren Höhepunkt in einer großen Schädelparade auf der Avenida Madero.
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Weit über die Grenzen Mexikos hinaus bekannt sind auch die künstlerischen Darstellungen von Skeletten, allen voran "La Catrina", eine Figur, die symbolisch für die "Tage der Toten" in Mexiko geworden ist. "La Catrina" trägt einen auffälligen großen Hut, der ein Synonym für die reiche Oberschicht ist. Geschaffen wurde sie von José Guadalupe Posada - als Kritik an der vorrevolutionären mexikanischen Oberschicht. Er zeichnete führende Politiker und das "who is who" des damaligen Mexiko als Skelette.
Und bis heute sind diese Tage nicht nur Anlass für familiäre Feiern, sondern auch der Rahmen für gesellschaftspolitische Kritik: an einzelnen Politikern ebenso wie an der Korruption, aber auch Themen wie Migration und das Massaker von Tlatelolco vor 51 Jahren so wie der Umgang der Polizei mit den ermordeten Studenten im Bundesstaat Guerrero werden zum Thema.
Viva la Muerte! Es lebe der Tod!
Politisches Engagement, religiöse Traditionen und eine landesweite Fiesta: Die "Dias de los Muertos" in Mexiko haben viele Facetten.
Der Nobelpreisträger Octavio Paz drückte es so aus: "Für einen Pariser, New Yorker oder Londoner ist der Tod ein Wort, dass man vermeidet, weil es die Lippen verbrennt. Der Mexikaner dagegen sucht, streichelt, foppt, feiert ihn, schläft mit ihm; er ist sein Lieblingsspielzeug und seine treueste Geliebte. Vielleicht quält ihn ebenso die Angst vor ihm wie die anderen, aber er versteckt sich nicht vor ihm noch verheimlicht er ihn, sondern sieht ihm mit Geduld, Verachtung oder Ironie frei ins Gesicht."