Die Pfarrkirche "St. Leopold in Donaufeld"

PFARRE ST. LEOPOLD DONAUFELD

Memo

Zu Besuch beim Bischof von Floridsdorf

Die seltsame Geschichte der Pfarrkirche "St. Leopold in Donaufeld" – die als "Dom drüber der Donau" eigentlich eine Kathedrale für den "Bischof von Floridsdorf" hätte werden sollen.

Durch den Bau der Nordbahn und Nordwestbahn entsteht in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert nördlich von Wien und jenseits der Donau ein neuer städtischer Ballungsraum - schon bald ganz offiziell "Floridsdorf" genannt.

Ehrgeizige Pläne werden geschmiedet: Landeshauptstadt von Niederösterreich könnte die neue "Großgemeinde" werden. Und dann bräuchte sie nach österreichischem Verständnis natürlich auch einen eigenen (katholischen) Bischof.

Doch die "Reichshaupt- und Residenzstadt" Wien am anderen Ufer und ihr ehrgeiziger Bürgermeister Karl Lueger entledigen sich der lästigen Konkurrenz durch Eingemeindung. Aus der aufstrebenden Industriestadt wurde der 21. Wiener Gemeindebezirk. Landeshauptstadt wurde Jahrzehnte später dann St. Pölten. Aber: Die Kathedrale für den "Bischof von Floridsdorf" steht bis heute bereit.

Der Stuhl, die "Kathedra" für den Bischof von Floridsdorf.

Der Stuhl, die "Kathedra", für den Bischof von Floridsdorf.

MARKUS VEINFURTER

Drei wuchtige Figuren ganz vorne über dem Hochaltar ziehen gleich beim Betreten der Pfarrkirche "St. Leopold in Donaufeld" alle Blicke auf sich. In der Mitte steht die Muttergottes mit dem Jesuskind - zu ihrer rechten kniet der Heilige Markgraf Leopold, Landespatron von Niederösterreich, zu ihrer linken seine Ehefrau Agnes. Und davor an der Seitenwand steht er - und wartet seit mehr als 100 Jahren auf einen Besitzer: der Stuhl, die "Kathedra" für den Bischof von Floridsdorf.

Was beim Betreten der Kirche auf dem Kinzerplatz ebenfalls sofort auffällt: Der Fußboden ist sehr uneben. Bis zu 20 Zentimeter sind die Dellen tief. "St. Leopold" steht nämlich im Flussbett eines ehemaligen Seitenarms der Donau, und der Boden senkt sich bis heute. Die ehrgeizigen Pläne für Floridsdorf ruhten als von Anfang an auf einem höchst unsicheren Fundament.

"Die Donaufleder Pfarrkirche hat einen geheimnisvollen Ursprung. Aber ohne Zweifel stand dahinter die Idee, eine Bischofskirche zu errichten", sagt der Liturgiewissenschaftler Andreas Gottlieb Redtenbacher.

Bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts gab es jenseits der Donau nur Landwirtschaft und ein paar "Ansässigkeiten" und "Herrschaften" - zum großen Teil im Besitz von Stift Klosterneuburg. Mit dem Stift, ein Stück flussaufwärts am anderen Donauufer gelegen, lebt Floridsdorf bis heute in ständigem Blickkontakt. Ihm verdankt der Bezirk auch seinen Namen: Eine der kleinen Siedlungen wurde schon im 18. Jahrhundert nach Probst Floridus Leeb "Floridus-Dorf", später "Floridsdorf", genannt - aus Dankbarkeit: Wenn das Gebiet wieder einmal vom Hochwasser der Donau überflutet worden war, erließen die Chorherren ihren Bauern regelmäßig die Abgaben und unterstützten den Wiederaufbau.

Eine Karte von Floridsdorf um 1920

Floridsdorf um 1920

BEZIRKSMUSEUM FLORIDSDORF

Mit der Eisenbahn kommt dann der Fortschritt in die ländliche Idylle. Durch den Bau von Nord- und Nordwestbahn entstehen neue Verkehrsknotenpunkte, ideal für die Ansiedelung von Industriebetrieben. Diese wiederum werden durch die Stadterweiterung Wiens sukzessive ans andere Ufer der Donau verdrängt. Rauchende Schlote hatten im Wohngebiet des aufstrebenden Bürgertums keine Zukunft.

In relativ kurzer Zeit entsteht im Raum des heutigen Floridsdorf eine regelrechtes "Industriezentrum". Aus den kleinen Siedlungen werden Ortschaften: Leopoldau, Mühlschüttel, Neu-Leopoldau, Donaufeld, Jedlesee - und selbstverständlich Floridsdorf.

43 Fabriksschlote standen in Floridsdorf, heute sieht man nur noch drei oder vier.

Das führt dann 1894 zu einem ersten administrativen Schritt - zur Schaffung der "Großgemeinde Floridsdorf", sagt der Historiker Andreas Weigl vom Wiener Stadt- und Landearchiv: "Und es schaut ein Zeit lang ganz danach aus, als ob dieses Groß-Floridsdorf sogar Chancen hätte, Hauptstadt von Niederösterreich zu werden." Dahinter steckt Erich Graf von Kielmannsegg, der damalige Statthalter von Niederösterreich.

Wien will an sich "reichsunmittelbar" werden und würde damit aus dem Verband des Kronlandes "Unter der Enns" ausscheiden. Damit bräuchte Niederösterreich eine neue Hauptstadt. Auf der anderen Seite konnte die Entwicklung den Verantwortlichen in der Reichshaupt- und Residenzstadt nicht ohne Vorbehalte gefallen - vor allem nicht die Abwanderung der Industrie. An Dynamik gewinnen die Pläne zur "Eingemeindung" von Groß-Floridsdorf, so der der Historiker Andreas Weigl, aber erst durch die Pläne für einen "Donau-Oder-Kanal", der bei Floridsdorf in die Donau münde sollte.

"Wien musste strategische Schritte setzten um sich an die geplante Verkehrsader des Donau-Oder-Kanals anzubinden."

Eine schiffbare Verbindung von Wien über die Oder bis zur Ostsee hätte eine wirtschaftliche Schlagader des Kontinents werden können. Im heutigen 21. Wiener Gemeindebezirk wäre ein bedeutender Binnenhafen entstanden. Damit wird dem Wiener Bürgermeister Karl Lueger die potentielle Konkurrenz jenseits der Donau endgültig zu viel. Er will die aufstrebende Metropole - wie eine Vielzahl anderer Gemeinden diesseits der Donau - schlicht und einfach "eingemeinden".

Letztlich entscheidend dürfte die höhere Kreditwürdigkeit der Reichhaupt- und Residenzstadt gewesen zu sein. Floridsdorf kann sich die erforderlichen Investitionen in die eigene Infrastruktur nicht leisten. Wien kommt finanziell zu Hilfe - wofür Floridsdorf mit dem Verzicht auf die Selbständigkeit als Gemeinde bezahlen muss.

Aus dem Donau-Oder-Kanal wird ironischerweise nichts. Erhalten sind davon heute in Wien nur noch drei kleine Abschnitte in der Lobau - die allerdings von einem zweiten Anlauf für das Projekt aus der Zeit des Nationalsozialismus stammen.

"Wir kennen die Hintergründe nicht, warum die Kirche trotz der Eingemeindung von Floridsdorf, als Bischofskirche fertig gebaut wurde", sagt Andreas Gottlieb Redtenbacher, Liturgiewissenschaftler und Augustiner-Chorherr im Stift Klosterneuburg.

Der Traum von der Erhebung zur Landeshauptstadt war also rasch wieder ausgeträumt. Aber die Planungen für den "Dom drüber der Donau" gingen offenbar unbeirrt weiter. Bis in die Gegend um Brünn hätte das "Nordbistum" angeblich reichen sollen. Als 1904 der Grundstein der Kirche in Donaufeld gelegt wird, ist Floridsdorf jedenfalls bereits ein Teil von Wien.

  • Ein Zeichnung der Pfarrkirche "St. Leopold in Donaufeld"

    Zeichnung der fertigen Kirche St. Leopold.

    STIFTSARCHIV KLOSTERNEUBURG

  • Grundriss der Pfarrkirche "St. Leopold in Donaufeld"

    Skizze des Grundrisses der Kirche St. Leopold.

    STIFTSARCHIV KLOSTERNEUBURG

  • Gezeichnete Seitenansicht der Pfarrkirche "St. Leopold in Donaufeld"

    Skizze der Seitenansicht der Kirche St. Leopold.

    STIFTSARCHIV KLOSTERNEUBURG

  • Entwurfszeichnungen der Pfarrkirche "St. Leopold in Donaufeld"

    Skizze der Front- und Hinteransicht der Kirche St. Leopold.

    STIFTSARCHIV KLOSTERNEUBURG

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Die Kirche St. Leopold wird als "Kathedrale" fertig gebaut, mit einer "Kathedra" für ihren Bischof. Auch das nunmehrige Pfarrhaus hat die Ausmaße einer bischöflichen Residenz. Im Jahr 1914, keine zwei Wochen vor der Ermordung des Thronfolgers Franz Ferdinand in Sarajewo, wird die Kirche geweiht - von Kardinal Friedrich Gustav Piffl, Erzbischof von Wien und davor Probst von Klosterneuburg.

Nur der Turm wurde noch in der Planungsphase von 102 auf 96 Meter gekürzt, weil er sonst die Votivkirche (eine Stiftung des Kaisers!) überragt hätte. Er ist damit aber immer noch der dritthöchste Kirchturm Wiens, nach Stephansdom und Votivkirche. Mit einem Fassungsraum für 5.000 Menschen ist St. Leopold, wie wohl nur eine einfache "Pfarrkirche", bis heute eine der größten Kirchen Österreichs.

Service

Pfarrgemeinde St. Leopold Donaufeld
Stift Klosterneuburg
Bezirksmuseum Floridsdorf
Wiener Stadt- und Landesarchiv